Amtsgericht Ebersberg:Teure Brotzeit

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Wegen wiederholter Diebstähle muss eine 65-Jährige eine hohe Geldstrafe zahlen und sich in Therapie begeben

Von Nathalie Stenger, Ebersberg

Ein wenig von der Putenbrust, außerdem Cheddarkäse, eine Flasche Treviso und zweimal Walnusssalami. Was nach einem Einkauf für eine schmackhafte, abendliche Brotzeit klingt, wurde für eine 65-jährige Frau aus dem westlichen Landkreis nun zu einem Termin beim Ebersberger Amtsgericht, agierte sie bei ihrem Besuch im Supermarkt nämlich nicht nach dem üblichen Prinzip "Kaufen", sondern "Stehlen". Obwohl die Angeklagte eine Wiederholungstäterin ist, muss sie nicht ins Gefängnis, stattdessen kommt sie mit einer hohen Geldstrafe und einer besonderen Weisung davon.

"Ich habe ein Problem", gab die Frau auf der Anklagebank direkt zu Beginn der Verhandlung offen zu. Grund seien ihre Depressionen. "Ich habe das nicht bewusst gemacht, ich erinnere mich eigentlich gar nicht mehr und das ist das Schlimme."

Im September vergangenen Jahres habe die Angeklagte Lebensmittel im Gesamtwert von knapp unter 19 Euro entwendet, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Warum sie denn nicht bezahlt habe, wollte Richterin Vera Hörauf wissen. Die Angeklagte antwortete, sie wisse es nicht, Geld hätte sie dabei gehabt. "Da hat es bei mir einfach einen Schalter umgelegt."

Dass der Betrag kein sonderlich hoher ist, wissen die Prozessbeteiligten sehr wohl. Allerdings handelte es sich bei dem Diebstahl vor einem Jahr nicht etwa um ein einmaliges Delikt - zehn Einträge seit 2002 finden sich im Bundeszentralregister. Bei den meisten geht es dabei um das Erschleichen von Dienstleistungen, also etwa Schwarzfahren, und Diebstahl. Doch damit nicht genug: Besonders schwierig macht die Situation der Fakt, dass die Tat in zweifach offener Bewährung - beide wegen Diebstahl - begangen wurde. Die Staatsanwaltschaft forderte deshalb jetzt vier Monate Freiheitsentzug.

Dass dies nicht die Lösung für seine Mandantin sein könne, betonte der Pflichtverteidiger. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe sei eine Reaktion auf einen gesunden Menschen, aber offensichtlich sei die Angeklagte krank. "Hier haben wir eine Frau, die jeden Tag kämpft, aufzustehen", sagte er. Und tatsächlich: Im Laufe der Verhandlung wird immer deutlicher, wie sehr die 65-Jährige unter ihrer psychischen Krankheit leidet. Sie müsse sich vieles aufschreiben, erzählte sie Staatsanwältin und Richterin schweratmend, es gebe oft Momente, da wisse sie nicht mehr, was sie vor zehn Minuten gemacht hätte. Aktuell wohne sie bei ihrem 30-jährigen Sohn, "alleine ging nicht mehr", so die zweifache Mutter, ihren Unterhalt bestreite sie durch Hartz IV. "Ich bin bald seit zwei Jahren krankgeschrieben und habe Anfang Juni die Kündigung erhalten." Sie nehme vier verschiedene Antidepressiva und jede Nacht eine Schlaftablette. Auch damals schon, zum Zeitpunkt des Diebstahls, bestätigte sie auf Nachfrage ihres Anwalts. "Hier können wir nicht normal vorgehen", so dieser.

Eine Option, da sind sich Richterin und Rechtsanwalt einig, wäre also ein baldiger Therapiebeginn in der psychosomatischen Klinik in der Kreisstadt. Laut einem Bewährungshelfer sei die Aufnahme in die Tagesklinik im September realistisch. "Ich will da hin", betonte auch die Angeklagte, "ich brauche die Klinik". Dem Einwand der Richterin, man könne sich nicht sicher sein, dass die Angeklagte nicht doch wieder rückfällig würde, widersprach diese. "Meine Kinder sind sehr dahinter und ich selbst möchte eine Schnittstelle." Schon zuvor hatte sie Therapien in der Klinik nicht angetreten.

Letztendlich kam die 65-Jährige doch noch knapp ohne Gefängnis davon, in aller Dringlichkeit betonte die Richterin aber erneut den Ernst der Lage: "Das ist mein letzter Versuch mit Ihnen." Stattdessen wurde aus dem ursprünglich zweistelligen Betrag, den die Lebensmittel gekostet hatten, eine vierstellige Geldstrafe, 120 Tagessätze zu je zehn Euro. Außerdem, so lautete das Urteil, nehme man die Weisung mit auf, bei einem freien Platz in der Klinik die Therapie anzutreten. Wenn die Angeklagte sich weigere, die Therapie anzutreten, oder diese selbst verschuldet abbreche - das überwache die Bewährungshilfe - dann werde man die beiden laufenden Bewährungen widerrufen und der Einkauf ohne Bezahlung endet doch noch hinter Gittern.

© SZ vom 04.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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