Amtsgericht Ebersberg:Damit es bei einem Ausrutscher bleibt

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Bernhard Wacht führt mit den Jugendlichen lange Vorgespräche. Bei seiner Bewertung verlässt er sich auch stark auf sein Bauchgefühl. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Jugendgerichtshilfe in Ebersberg unterstützt junge Leute, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen. "Ich arbeite mit Beziehung, aber auf Distanz", so beschreibt einer der Fachleute seine Herangehensweise

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Ganz in Schwarz ist der 19-jährige Angeklagte gekleidet, der recht schüchtern wirkt. Schwarz auch die Robe seines Verteidigers, der hinter ihm Platz genommen hat und in seinen Laptop tippt. Schwarz die Robe der Staatsanwältin, welche ein dickes Gesetzbuch auf dem Pult aufgeschlagen hat und sich Notizen macht. Einzig einen farbigen Pullover trägt der Jugendgerichtshelfer Sven Kautz.

Nach Aufforderung durch den Richter erhebt er sich und trägt vor der Handvoll Zuhörer, die ins Amtsgericht Ebersberg gekommen sind, schnell und sachlich seine Einschätzungen zum Angeklagten vor. Dem jungen Mann wird vorgeworfen, bei einer Demonstration Widerstand gegen die Polizei geleistet zu haben, unter anderem durch einen Tritt gegen einen Beamten. Kautz erzählt, was er in einem Gespräch mit dem Angeklagten einen Monat zuvor eruierte: Von der Schullaufbahn des jungen Mannes, dessen finanzieller Situation, dem Abbruch seiner ersten Ausbildung. "Er hat einen gesprächsbereiten und sehr zurückhaltenden Eindruck gemacht", schildert Kautz. Auf Grund seiner persönlichen Entwicklung und der Tatsache, dass der Angeklagte noch bei seinen Eltern lebe, schlage er vor, Jugendstrafrecht anzuwenden. "Zwei Tage soziale Dienste", rät Kautz und setzt sich. Der Richter nickt und schließt die Beweisaufnahme.

Sobald die Polizei gegen junge Leute aus dem Landkreis ermittelt, wird auch die Jugendgerichtshilfe Ebersberg darüber in Kenntnis gesetzt. Außer Kautz besteht diese aus zwei weiteren Mitarbeitern, Bettina Judt und Bernhard Wacht. Vergangenes Jahr wurden 351 Verhandlungen gegen junge Menschen geführt, und es kam zu 144 außergerichtlichen Einigungen. "Ebersberg ist ein sehr ruhiger Landkreis", kommentiert dies Teamleiter Wacht. Dabei gebe es einen Unterschied zwischen den städtischen Regionen wie Markt Schwaben oder Poing und dem ländlicheren Süden des Landkreises. "Auf dem Land gibt es noch mehr soziale Kontrolle, weil jeder den anderen kennt", so Wacht, "möglicherweise wird dort deswegen weniger angezeigt."

Bernhard Wacht ist Sozialpädagoge, hat 15 Jahre in einem Heim für verhaltensauffällige Jugendliche gearbeitet und ist seit 1997 in der Jugendhilfe im Landratsamt tätig, zu der auch die Unterstützung im Strafverfahren gehört. Von seinen Klienten sagt er: "Dauerkunden gibt es schon, aber eher wenige." So habe er die Erfahrung gemacht, dass Jugendkriminalität in der Regel ein vorübergehendes Phänomen sei. Zumeist falle diese in eine Phase, die wohl jeder kennt, der mal jung war: keine Lust auf Schule, Unsicherheit, was man will im Leben, schrittweise Loslösung vom Elternhaus. Dabei sei es verkehrt zu denken, die meisten jugendlichen Täter kämen aus prekären Verhältnissen, so Wacht. Kriminalität im Jugendalter habe nichts mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht zu tun, sondern eben mit dem jungen Alter.

"Wenn sie öfter erwischt werden, reicht es den meisten jugendlichen Straftätern", so Wacht. Daher ist das Strafrecht für Jugendliche auch in seiner Grundausrichtung komplett anders als für Erwachsene: Während Erwachsenenstrafen abschreckend wirken sollen, will man im Jugendstrafrecht etwas zur Willensbildung der jungen Täter beitragen. "Da gibt es viele Möglichkeiten, wie man mit den Leuten arbeiten kann", sagt Wacht.

So etwa in Sachen Drogen: 132 Mal wurde im Jahr 2019 gegen Jugendliche im Landkreis wegen Betäubungsmitteldelikten ermittelt, es ist somit die am häufigsten begangene Straftat. Oft werden diese Delikte in außergerichtlichen Einigungen verhandelt, ohne dass es ein gerichtliches Strafverfahren gibt. Bei Erstverstößen, so Wacht, würden meist Ableistungen sozialer Dienste gefordert, welche zumeist über den Ebersberger Verein Brücke koordiniert werden, oder das Mitmachen bei einem FreD-Kurs (Frühintervention bei erstauffälligen Jugendlichen).

Kommt es zur Gerichtsverhandlung, ist die Jugendhilfe im Strafverfahren dazu da, den jungen Angeklagten einen Überblick über das Verfahren zu geben. "Die Teilnahme an diesem Angebot ist freiwillig", betont Bernhard Wacht. Dazu gehört überdies ein ausführliches Gespräch, in welchem der Jugendhelfer die Lebens- und Tatumstände aus Sicht des Angeklagten zu eruieren versucht. Dieses Gespräch ist Grundlage des Berichts, den der Jugendhelfer dann mit einem Ahndungsvorschlag im Rahmen der Beweisaufnahme vorträgt.

Die meisten Angeklagten nehmen das Angebot wahr. Dabei gilt, so Wacht: Je jünger die Klienten, desto häufiger sitzen auch die Eltern mit am Tisch. Es komme jedoch auch durchaus vor, dass 20-Jährige in Begleitung eines Elternteils auftauchten. Interessant sei es hier für ihn, die Interaktion zwischen Eltern und Kind zu beobachten. "Zuerst frage ich Plattitüden ab", so Wacht. Wohnort, Geschwister, Verhältnis zu den Eltern, Ausbildung, Finanzen. Schließlich würde die Tat angesprochen, die Anklage durchgegangen. "Ich versuche, durch die Schilderung des Angeklagten herauszufinden, wie er die Tat sieht", erklärt Bernhard Wacht. Bei seiner Bewertung verlasse er sich nicht nur auf seine jahrelange Erfahrung, sondern auch aufs Bauchgefühl. "Sie glauben gar nicht, wie offen junge Leute sein können", sagt er. Letztlich gelte jedoch immer, den Einzelfall zu betrachten, die individuelle Biografie. Dabei dürfe Sympathie keinen Ausschlag geben. "Ich arbeite mit Beziehung, aber auf Distanz", formuliert es der Jugendhelfer.

Wie bei allen Strafverfahren hat auch im Jugendgericht der Angeklagte das letzte Wort. "Ich rate den Jugendlichen, nicht schon vorher einen langen Monolog zu üben", sagt Wacht. Letztlich sei man doch recht aufgeregt in der Situation und verheddere sich schnell. So wie der junge Angeklagte, der sich ganz zu Ende des Gerichtstermins noch um Kopf und Kragen redete. Eigentlich sah es nämlich ganz gut aus für ihn, erzählt Wacht, und er entschuldigte sich im Schlusswort reuevoll für sein Fehlverhalten. Doch dann hob er nochmals an: ". . .aber Schuld ist eigentlich sie selber!", und deutete verärgert auf das anwesende Opfer. Bernhard Wacht schüttelt leicht den Kopf und sagt: "Manchmal ist es gescheiter, einfach nichts zu sagen."

© SZ vom 05.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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