Am Samstag in der Alten Brennerei:Schneegestöber in a-Moll

Lesezeit: 3 min

Anregend unterfordernd: Gitarrist Andreas Dombert und Videokünstler Ralf Oberleitner zeigen in Ebersberg Minimal Music und Live-Visuals

Von Daniel Fritz

Minimal Music, ist das nicht so ein Genre geprägt von vagen Vorstellungen und undichtem Halbwissen? Wie in jeder Musiksparte, erklärt Andreas Dombert, Artist in Residence bei EBE-Jazz, gibt es hier nicht die eine Richtung, sondern unzählige Subgenres verschiedenster Kulturkreise: Quasi Minimal-Klassik bis Minimal-Techno. Wer mehr über Minimal Music erfahren möchte, dem sei gleich der Vortrag des Regensburger Gitarristen am Samstag, 19. Oktober, um 16 Uhr in der Musikschule Ebersberg empfohlen.

Zum kleinen Einstieg: Gleich einem Muster, einem Geflecht, das sich kontinuierlich, aber langsam wandelt, entwickelt "Minimal" seine Kraft durch Reduktion und die Evolution der Wiederholung. Rhythmen, Themen und Harmonik folgen nicht bewährten kompositorischen Prinzipien wie Spannung und Auflösung oder Frage und Antwort, sondern verändern sich über einen längeren Spannungsbogen - nur eben minimal. Als Gegenkonzept zu einer bis ins kleinste Detail ausnotierten Musik in teils riesiger Besetzung kann auch die Vorgabe des Komponisten für ein Werk minimal sein: Eine auf Formeln reduzierte Musizieranleitung mit großem Gestaltungsraum für den Künstler als Befreiung aus der Sackgasse der musikalischen Regeln, ein Beschränken aufs Wesentliche.

Gitarrist Andreas Dombert präsentiert in der Alten Brennerei des Ebersberger Kunstvereins sein Minimal-Music-Projekt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit dem Alleingang ohne Mitmusiker, dem Erforschen einer gitarrenuntypischen Musik und der intensiven Auseinandersetzung mit ganz kompakten Konstruktionsprinzipien entsteht auch in Dombergs Schaffen erneut ein Gegenpol zu vergangenen Projekten und Arbeitsweisen. Ist Wiederholung auch die treibende Kraft der Minimal Music, ein Sich-Wiederholen will der Künstler vermeiden.

An diesem Sonntag in der Ebersberger Galerie Alten Brennerei ist Andreas Dombert beides: Komponist sowie ausführender Musiker, und im Gegensatz zum ursprünglichen, oft unterkühlten US-amerikanischen Minimalismus der Siebziger nimmt er sich selbst bewusst nicht heraus aus der Gleichung: Seine Spielweise ist expressiv und persönlich. Er interpretiert zwei seiner Stücke auf einer Jazzgitarre mit simpler Tontechnik ohne Klangeffekte. Im Raum gibt es ein paar Sitzgelegenheiten, einige Besucher stehen, die Atmosphäre passt zum Ort: Kunstperformance in kleinem Rahmen. Tief am Boden sitz Ralf Oberleitner vor einem Laptop nebst ein paar Controllern und wirft live und interaktiv Videoprojektionen per Beamer an die Wand. Ein Mikrofon vor dem Verstärker versorgt seine Grafik-Algorithmen synchron mit Impulsen des Gitarrenspiels. Zu Beginn wünschen sich die beiden Künstler Ruhe - verbunden mit der Bitte, sich auf das ungewohnte Experiment einzulassen und dem vielleicht langatmig erscheinenden Vortrag nicht gleich den Stempel "langweilig" aufzudrücken.

"Like the Birds sing" heißt das erste, knapp vierzigminütige Stück - eher eine dreisätzige Suite sich entfaltender Motive, in deren erstem Satz in einer Art akustischen "Herauszoomens" sogar dreifach dasselbe Material in sich steigernden Tempi wiederholt wird. Aus reinen Quarten wachsen und verebben die anfangs sechstönigen Reihen und wandeln sich von konsonanten Hohlklängen zu schwebenden, arpeggierten Akkorden, die man nach klassischer Musiktheorie sicher nicht alle als wohlklingend bezeichnen würde. Die kleinen Substitutionen jedoch machen jeden frischen Ton wertvoll; es zählt der eine sparsame neue Farbtupfer, nicht eine Bebop-Flut an Skalentönen oder komplexe Vielklänge.

Ergänzt wird die akustische Kunst von Andreas Dombert von etlichen optischen Finessen: den Spiegelungen in einer Installation von Anton Bosnajk und einer Videoperformance. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Domberts präzise, schnelle und bemerkenswert ausdauernde Spieltechnik macht deutlich, dass die vermeintliche inhaltliche Reduktion hier keine Notlösung eines mittelmäßigen Instrumentalisten ist. Er wirkt wie ein sanfter Denker, ihn fasziniert die Wirkung dieser Musik und man spürt, dass er sich auch selbst damit immer wieder auf eine neue Reise begibt. Der Reiz für den Zuhörer liegt neben der meditativ-anregenden Wirkung auch im aktiven Antizipieren: Wo geht die Linie hin, wann und wie mag sich wohl ein Parameter der Schleife ändern?

Eigentlich könnte man gut die Augen schließen und den Trip des schleichenden Wandels wirken lassen. Wären da nicht die grafischen Projektionen Oberleitners. Aus einem unbewegten weißen Rund entspinnt sich mit der Zeit eine Kolonie verschieden großer Kreise. Diese wandern, schrumpfen und wachsen, begegnen und trennen sich. Die Schlichtheit ist fordernd und will interpretiert werden. Der menschliche Hang zur Pareidolie macht aus den Kreisen schnell Lebewesen und weckt Assoziationen in Richtung "Sozialverhalten in der Gruppe". Einfache Zellen teilen sich wie unter dem Mikroskop, atmen, tanzen und plötzlich sind die simplen Formen zu einer Population der Weißkreise geworden, die so einiges miteinander erleben. Die Gitarre hat sich zwischenzeitlich von den Tonreihen hin bis zu rasanten Schlagmustern gesteigert; man hört adaptierte Trommelrudiments wie den Paradiddle und fast mehr brasilianisches Straßengetrommel als Gitarrensound. Die repetitive Musik stimuliert und lässt viel Raum für außermusikalische Geschichten - langweilig ist das sicher nicht. Viele entscheiden sich auch tatsächlich mit geschlossenen Augen für die eigene, innere Reise.

(Foto: N/A)

Beim zweiten, circa zehnminütigen Stück ist die Wand flächendeckend gefüllt mit kleinen, schwebenden Partikeln. Domberts Spiel, ein schnelles, flirrendes Tremolo mit dem Plektrum, ergänzt sich mit den Visuals zu einer Art "Schneegestöber in a-Moll". Melodiöse Ausflügler brechen aus dem Grundtongebrodel und kehren stets dahin zurück. Schnee wird zu Plankton und Algen im Gegenlicht, dann ein Funkenflug vor Gewitterhimmel.

Das Publikum wirkt neugierig und entspannt, das besondere Nischenprogramm wird aufmerksam verfolgt und sichtlich genossen. Jeder Besucher sieht und hört hier eigentlich das Gleiche, der reduzierte Input aus Musik und Grafik führt aber sicherlich je nach Erwartung, Stimmung und Deutung zu vielen, sehr unterschiedlichen Erlebnissen und Interpretationen. Wenn das mal nicht inspirierende Kunst ist.

"Jazz Talk" über Minimal Music mit Andreas Dombert am Samstag, 19. Oktober, um 16 Uhr in der Ebersberger Musikschule

© SZ vom 15.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: