Altes Kino:Nur ein bisschen böse

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"Die Leute finden mich mutig, dafür, dass ich hier oben stehe": Sarah Hakenberg. (Foto: Matthias Döring)

Wie die Kabarettistin Sarah Hakenberg Mut macht

Von Victor Sattler, Ebersberg

Grippe-Saison ist, wenn eine Kabarettistin ihr Publikum nach Medizin fragen muss und im ganzen Saal die Blister aus den Handtaschen gezückt werden. Indem sie einfach vertrauensvoll schluckte, was man ihr da an die Hand gab, eröffnete Sarah Hakenberg am Samstag ihr Soloprogramm "Nur Mut!" im Alten Kino Ebersberg. Das Medikament, das ihr gefüttert wurde? Hieß ausgerechnet "Islamint"! Diese erste Gelegenheit verschmähte sie, danach ließ Hakenberg aber keine mehr aus, um über die Islam-Angst der Deutschen zu lamentieren, als eine von vielen irrationalen Ängsten, die die Gesellschaft plagten.

"Wer hier im Raum hat Angst vor Terroranschlägen?", fragt Hakenberg. Eine einzelne Dame meldet sich entschlossen, blickt sich im betont regungslosen Saal um und nimmt ihren Arm dann etwas beschämt wieder herunter. Daneben, zählt Hakenberg auf, gebe es noch die Alarm-Auslöse-Angst beim Verlassen des Kaufhauses, die Angst vor hohem Alter, tiefem Wasser oder vor Flötenspielern. Den meisten davon widmete sie ein Lied am Flügel. Mit dünner, melodischer Stimme und mit Gusto parodiert sie verschiedene Genres. Bei all ihren Neurosen gibt es aber auch eine Angst, die ihr völlig abgeht: "Die Leute finden mich mutig, dafür, dass ich hier oben stehe. Dabei haben wir Bühnenkünstler einfach einen Gendefekt, was das angeht. Wir haben diese Angst nicht."

Die Leute finden sie mutig, immerhin war sie mal eine von ihnen. Zwar in Köln geboren, aber "als Baby verschleppt" und danach in Zorneding aufgewachsen. Von einer Zuschauerin wird Hakenberg nach dem ihr verliehenen Ernst-Hoferichter-Preis gefragt. "Der Hoferichter-Preis?", wiederholt Hakenberg verdutzt. "Sie haben den bekommen", stellt die Zuschauerin fest und verlangt eine Erklärung. Die Kabarettistin eiert herum, normal bekomme sie ja nie Preise verliehen, bringe in Wettbewerben immer die falschen Nummern auf die Bühne und selbst in diesem Fall "hätten die mir den Preis eigentlich wieder weggenommen, wenn sie gekonnt hätten".

Diese vielen Selbst-Geißelungen arbeitet sie in ihre Rolle ein. Als Künstlerin, Mutter und Wahl-Ostwestfalin darf sie keine dünne Haut haben. "Jetzt kommt ein Lied, das ist musikalisch extrem banal und simpel", warnt sie, "das hat man so tausendmal in anderen Liedern gehört. Es nervt sogar schon." Sie ist damit gerade am Tiefstapeln und Sympathien-Abstauben, mit der authentischen, überreflektierten Art, in der sie sich oft selbst unterbricht, aber auch Zwischenrufe zulässt oder einen billigen Reim nochmals variiert, um den hohen Ansprüchen ihres Publikums zu genügen. Viel Komik entsteht dadurch, wie liebevoll Sarah Hakenberg mit ihrem Material live umgeht, wie sie gluckst und erwartungsvoll blinzelt oder manchmal verspätet ein Lachen nachschiebt, als wären ihre eigenen drolligen Worte eben erst ganz in ihren Kopf aufgestiegen.

Am Anfang und Ende des Programms gibt sie sich moralisch. Sie will Kraft ihrer Lieder Homosexuellen und dem Islam ihren Schutz gewähren. Dazwischen wird sie "schwarzhumorig", das heißt, Hakenberg holt mit allen möglichen Verwünschungen nach den Gesellschaftsgruppen aus, gegen die sie Vendetta führt. Und das sind natürlich keine sexuellen oder religiösen Minderheiten, aber dafür, vielleicht nicht weniger geschunden, Eltern, die ihren Kindern abgefahrene Namen geben (der arme "Perschelbär", der eigentlich Pierre-Gilbert heißt, geisterte schon 2007 durch Axel Hackes Kolumne), Bänker, die irgendwas korruptes für Boni tun, oder noch schlimmer: Helene-Fischer-Fans. Natürlich muss im deutschen Kunstbetrieb außerdem gegen die AfD demonstriert werden, selbst wenn nur wie hier demonstriert werden kann, wie schurkisch der D-Moll-Akkord aus den drei Noten A, F und D klingt.

Ein Bänker war es damals, der ihr einmal nach einem Auftritt geraten habe, sie solle doch die harmlosen Passagen streichen und ganz auf schwarzen Humor setzen. Na gut: Jetzt steht er, der Bänker, im finalen Lied Hakenbergs am Rande einer Brücke. Sie folgt seinem macho-mäßigen Ratschlag - und dem der Kritiker -, mehr von dieser Mangelware Bösartigkeit zu liefern. Und sie flüstert ihm, am Abgrund stehend, also harmonisierend ein: "Trau dich!"

© SZ vom 11.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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