Altes Kino Ebersberg:Liebevolle Gemeinheiten

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Christoph Walther und Stefan Schramm alias Ines Fleiwa und Cordula Zwischenfisch sind "Zärtlichkeiten unter Freunden". (Foto: Christian Endt)

Zärtlichkeiten mit Freunden präsentieren "Die schönsten Momente"

Von Michaela Pelz, Ebersberg

In manchen Familien, so sagt eine aus der Zeit gefallene Redensart, habe die Frau die Hosen an. Das gilt auch für die Zweimann-Kapelle "Zärtlichkeiten mit Freunden" - abgesehen davon, dass der (Ton-) Angeber mit den Drumsticks wie sein Bühnenpartner ein Mann ist, der wie eine Frau heißt. Ihre Performance nennen Christoph Walther und Stefan Schramm (so die bürgerlichen Namen) "Musikkasperett", was ansatzweise erahnen lässt, womit sie das Publikum gute zweieinhalb Stunden lang faszinieren, hin und wieder gequält aufstöhnen, ungläubig staunen und hemmungslos lachen lassen. So viel sei schon verraten: Gitarre, Trompete und vor allem Schlagzeug sind auch mit dabei.

Nun ist es ja so: Für kollektive Heiterkeit braucht man eine für jeden erkennbar lustige Situation. Gut funktionieren da zwei Kerle in den Vierzigern mit schief sitzenden Kunsthaarperücken, Sakko über Bermudas oder Jackett auf Batman-T-Shirt. Auch nicht schlecht: Eine konsequente Missachtung gängiger Klischees gemäß derer Y-Chromosom-Träger weder "Ines Fleiwa" noch "Cordula Zwischenfisch" heißen. Sollte das doch der Fall sein, vermeide man unbedingt den Artikel "der"!

Zuweilen speist sich die lautstarke Begeisterung über das Gehörte aber auch aus Erfahrungen und Erinnerungen, die vor allem eine bestimmte Berufs- oder Bevölkerungsgruppe teilt. Darum lachen bei Han's Klaffl die Lehrkräfte am lautesten und deswegen hat Maxi Schafroth ganz besonders viele Fans im ländlichen Raum. Die Vorstellung des Duos aus Riesa hat, den Klängen nach zu urteilen, an diesem Abend viele Sachsen ins Alte Kino nach Ebersberg gelockt. Hin und wieder müssen sie für ihre Nachbarn im voll besetzten Saal dolmetschen - etwa als Zwischenfisch erklärt, einen "grauen Star" vom Opa geerbt zu haben, womit er keine Augenkrankheit, sondern ein Moped meint.

Doch ostspezifische Begriffe machen nur einen Bruchteil der Anspielungen aus, die teilweise im Sekundentakt auf die Anwesenden einprasseln - und zwar im Wechsel mit platten Kalauern, geschliffener Rhetorik, entlarvenden Formulierungs-Versatzstücken von Achtsamkeitstraining ("Lass es zu, glaub an dich!") bis Preisverleihung für besondere Leistungen, doppelbödigem Bajuwaren-Bashing ("Klar klingt das blöd, wie die reden, sind aber trotzdem ganz normale Leute") und allgemeiner Publikumsbeschimpfung. Denn nicht nur der "erwerbsschwache Bodensatz aus der letzten Reihe" denkt bei "Darf bitte der Cordula runter?" an die Kindheitskontaktaufnahme mit Spielkameraden-Eltern via "Reinredeschlitze in Gegensprechanlagen".

Wortführer ist stets der Ex-Sprechwissenschafts-Student Zwischenfisch: Mit strengem Blick hinterm Kassengestell maßregelt er seinen Partner, um ihm kurz darauf fast mütterlich die Welt zu erklären. Das quittiert der blonde Engel mit rührend unschuldigem, erwartungsfrohem Gesichtsausdruck, bevor er gekonnt mit den Zuschauern flirtet. Den, zugegeben, überwältigend koketten Blick über geschürzten Lippen hätte Fleiwa aber gar nicht nötig: Mit musikalischer Glanzleistung sowie Live-Sampling verblüfft der studierte Elektrotechniker beim mehrstimmigen Trompetenspiel und macht auch an der Gitarre eine ausnehmend gute Figur. Etwa bei seiner verträumten Intonation von "Heart of Gold". Hier entpuppt sich hinter seinem Rücken der Kollege als sensationelles Bewegungs- und Koordinationswunder: Während er leise vor sich hingrummelnd (aus Gründen) trommelt und Pedale bedient, löst er Schrauben und Becken, bis am Ende des Stückes das Schlagzeug komplett abgebaut ist. Das jedoch passiert nicht etwa am Schluss, sondern direkt am Anfang.

Besser hätten "Zärtlichkeiten mit Freunden" nicht verdeutlichen können, was sie seit zwanzig Jahren mit gut ebenso vielen Preisen (unter anderem Passauer Scharfrichterbeil und Prix Pantheon) auszeichnet: Sie konterkarieren sämtliche Erwartungen, tauchen bei ihren Dialogen in die Niederungen des tiefsten Klamauks, um dann ohne Vorwarnung messerscharfe Gesellschaftskritik in den Raum zu stellen - sei es per beiläufigem Gestik-Verweis auf prügelnde Väter oder per liebevoll vorgetragener Schilderung jener unappetitlichen Randbedingungen, die ermöglichen, was sich in deutschen Haushalten gern findet: "Weber-Grill für 1800 Euro, aber Wurst für 89 Cent."

Die seit Kindertagen befreundeten Künstler überzeugen und irritieren, verleiben sich ihr komödiantisches Ausgangsmaterial ein, um es dann, ordentlich durchgewalkt, wie die selbst gebauten Papiertaschentuch-Ohrenstöpsel von Zwischenfisch wieder auszuspucken und tief in den Gehörgang zu verbringen. Mit wenigen Takten pflanzen sie Ohrwürmer (welche Erleichterung, wenn sich aus dem rudimentären Englisch die Spin Doctors herausschälen), entfesseln Lachstürme mit ihrem speziellen Hardrock-Gitarren-Adapter und präsentieren eine noch nie dagewesene Version von "Drummer Boy".

In einer anderen Redewendung heißt es: "Das Beste kommt zum Schluss." Dem Zwischenapplaus und den Beifallsstürmen am Ende nach zu urteilen, ist es bei "Zärtlichkeiten mit Freunden" auch am Anfang und in der Mitte der Fall.

© SZ vom 09.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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