Altes Kino Ebersberg:Alles andere als bequem

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Die Kabarettistin Christine Prayon kann derzeit nicht auftreten. (Foto: Christian Endt)

Christine Prayon polarisiert mit ihrem Programm "Abschiedstour"

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Die erste leise Ahnung, dass dieser Abend aus dem Rahmen des leicht verdaulichen Wohlfühl-Kabaretts fallen wird, bei dem der Mensch auf der Bühne und die Leute unten im Saal in der gleichen gesellschaftskritischen Harmonie baden, steigt 23 Minuten nach Beginn der Veranstaltung auf. Zuvor hat Christine Prayon enthüllt, künftig ins Yogafach wechseln zu wollen - darum auch "Abschiedstour". Denn wenn bei der Fülle von aktuellen Aufregern "das Aufregen so normal wird, dass man sich nicht mehr darüber aufregt", dann brauche man schließlich auch keine Kabarettisten mehr.

Folgerichtig dreht sich die Künstlerin um und geht ab. Also fast. Sie tut das so glaubhaft, dass vereinzelt zögerlich geklatscht wird. Was ihr nicht reicht, weswegen sie mehr Applaus einfordert. Doch im ausverkauften Alten Kino in Ebersberg passiert erst einmal - nichts. Das Publikum spielt nicht mit. Es ist verwirrt. Zumal sich die bisherige Meisterin der leisen Töne, gekonnt ausgereizten, überlangen Pausen und treffenden Beobachtungen - "früher waren Verschwörungstheorien noch theoretisch und abgefahren, heute ist die Realität der heiße Scheiß"- , unvermittelt verwandelt hat und nun als "GröCoZ" vorne steht. Dieser "Größte Comedian aller Zeiten" liefert mit seinen rassistischen und sexistischen Witzen unterster Schublade und dem inflationären Gebrauch von Perlen des "Hauptschulischen - wegen Stage Credibility, wallah!" den maximalen Gegenentwurf zur klugen Argumentationskette, mit der die vielfach preisgekrönte Kabarettistin zuvor begründet hat, warum die Utopie einer freien Gesellschaft eine radikale Transformation braucht, an der alle beteiligt werden. Selbst der Zalandosüchtling von nebenan und die Porsche-Cayenne-Vorstadtmutti.

Vielleicht ist der Typ mit dem breitbeinigen Gang und der Gossensprache auch deswegen so schwer erträglich, weil seine imaginäre muskelbepackte Brust und das überbordende Selbstbewusstsein in einer schmalen Germanistin stecken? Was offenbar das weibliche Publikum am wenigsten stört - zumindest beobachtet man mehrfach Begeisterung bei Frauen, wo Männer eher peinlich berührt sind. Sie dürfen aufatmen, als die wahre Gesinnung des GröCoZ ("Das ist Kunst und keine VHS") im Interview mit einer wunderbar überdrehten Brennpunkt-Moderatorin zum Vorschein kommt - mitsamt der Tatsache, dass er für seine gezielte Meinungsmache ein festes Gehalt bezieht. Es ist schon kurios: Jeder mag die "Heute Show", doch wenn Prayon eben nicht als "Birte Schneider" entlarvende Wahrheiten in den Raum stellt, dann macht sich Unbehagen breit.

Gut, dass die wandlungsfähige Rheinländerin noch viel mehr auf Lager hat: Eine Radioshow mit umwerfend komisch live gesungenem Jingle, in der nach absurden Nachrichten Quizteilnehmer vorgeführt, "Falschblinker" - nach außen rechts tun, aber heimlich Leberkassemmeln an Flüchtlingskinder verteilen - denunziert und Verbrauchertipps für "Pimp your Ego" geliefert werden: Statt für den Playboy für die SZ ausziehen, Leichenwagen zulegen für die subversive Note, Hummelpelz tragen. Oder die in all ihrer Grausamkeit poetisch-witzige "Schinkenpelz"- das nur Banausen als "Jingle Bells" kennen - Geschichte von Horst und Frank mit ihrem leider unterschiedlichen Heimatbegriff. Ganz zu schweigen vom zauberhaften Poetry Slam-Beitrag, für den man sie auf jeden Fall lieben muss.

Der Schlussapplaus spiegelt die Stimmung des ganzen Abends wider: Erst abwartend, fast verhalten. So, als könne man der eigenen Wahrnehmung nicht trauen. Und dann sind sie doch da, die Bravo-Rufe, bevor sich die Zuschauer überwiegend schweigend auf den Heimweg machen - ohne eifrigen Austausch über die besten Pointen der Show oder seligem Erinnern an einen amüsanten Abend. Sind sie beeindruckt? Betroffen? Fassungslos? Eventuell fühlt sich manch einer um die Begegnung mit "Birte Schneider" geprellt - da mag es in noch so deutlichen Worten in jeder Ankündigung stehen, dass genau diese Figur eben keinen Auftritt haben wird. Bei den anderen überwiegt das Gefühl, durch eine Frau, die "echt was im Kopf hat", wie es eine Zuschauerin formuliert, endlich wieder Kabarett erlebt zu haben, das wehtut. Das einen hinauskatapultiert aus der Komfortzone einer Postillion geschwängerten Gute-Laune-Satire. Keine leichte Kost, aber ein starker Eindruck.

© SZ vom 27.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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