Dritte Start-und-Landebahn:Deutschlands wichtigstes Verkehrsprojekt

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Braucht der Münchner Flughafen eine weitere Startbahn? Ja, sagen Wirtschaft, SPD, CSU und FDP. Nein, sagen Grüne, Umweltschützer und Anwohner. Bis 18 Uhr sind die Bürger der Stadt zur Abstimmung aufgerufen - das Ergebnis dürfte knapp werden.

Marco Völklein

Wenn Michael Kerkloh seine Argumente vorträgt für eine dritte Start- und Landebahn am Münchner Flughafen, dann redet er schnell, rattert Zahlen herunter, wird zwischendrin mal laut, wenn er sich aufregt über ein Argument der Gegenseite. Ganz am Ende seines Vortrags aber senkt der Flughafen-Chef die Stimme, beugt den Oberkörper vor. Jetzt kommt das Wichtigste. "Am Sonntag", sagt er und macht eine Kunstpause, "am Sonntag entscheiden die Münchner über eines der wichtigsten Verkehrsinfrastrukturprojekte in ganz Deutschland."

Etwas mehr als eine Millione Münchner entscheiden über die Zukunft des Flughafen München. (Foto: dapd)

Seit sieben Jahren plant Kerkloh den Bau einer dritten Start- und Landebahn. Als der Airport vor 20 Jahren in einer spektakulären Über-Nacht-Aktion umzog, vom Münchner Stadtrand weit weg in den Norden, waren ursprünglich sogar vier Bahnen geplant. Zwei wurden letztlich realisiert. Und mit diesen zwei Bahnen gelangt der Flughafen nun "an seine Kapazitätsgrenze", sagt Kerkloh. Um zusätzliche Flüge abwickeln zu können, um weiter wachsen zu können, brauche man die vier Kilometer lange und 1,2 Milliarden Euro teure Betonpiste.

Dagegen allerdings gibt es breiten Widerstand. Vor allem in den Landkreisen Erding und Freising im Norden der Landeshauptstadt fürchten die Menschen noch mehr Lärm und Dreck. Dazu mehr Druck auf ohnehin überlastete Straßen, übersteigerte Mieten und überlaufene Kindergärten. 84.000 Einwendungen hatte die Genehmigungsbehörde zu beachten, als sie vor knapp einem Jahr die Baugenehmigung erteilte. Seitdem herrscht Aufruhr im Münchner Norden.

Langjährige CSU-Mitglieder traten aus, um gegen den Pro-Startbahn-Kurs ihres Ministerpräsidenten Horst Seehofer zu protestieren. Auch in der SPD gab es Krach, weil deren designierter Spitzenkandidat, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, nur gegen Seehofer antreten will, wenn die Sozialdemokraten sich für das Projekt aussprechen. Das Problem ist nur: 2009 hatten die auf einem Parteitag beschlossen, gegen den Bau zu sein. Im Juli soll nun ein Sonderparteitag dieses Votum wieder einfangen. Vielleicht aber kommt es zu diesem Parteitag erst gar nicht.

Denn am Sonntag entscheiden nun eine Million Wahlberechtigte in der Stadt darüber, ob die vier Kilometer lange Piste samt Rollwegen und dritter Feuerwache gebaut werden soll. Oder eben nicht. Bayerns Grüne hatten die Idee für diesen Bürgerentscheid, um auf einem durchaus verschlungenen Weg das Projekt zu stoppen - mit der Folge, dass die direkt Betroffenen in Freising und Erding gar nicht darüber abstimmen dürfen, sondern nur die Münchner. Um diesen Weg zu verstehen, muss man wissen, dass Freistaat, Bund und die Stadt München Anteilseigner des Flughafens sind.

Vor einem Baubeginn müssen die drei Gesellschafter das Projekt absegnen. Dieser Beschluss muss aber einstimmig fallen. Und da setzen Grüne im Bündnis mit Freien Wählern, Linken, Piraten und Naturschützern an: Per Bürgerentscheid wollen sie den Startbahn-Befürworter Ude zwingen, in der Gesellschafterversammlung gegen das Projekt zu stimmen. Gelingt ihnen das, "liegt das Projekt für lange Zeit auf Eis", sagt Kerkloh.

Die Chancen dazu stehen gar nicht schlecht. Selbst Befürworter räumen ein, dass es knapp werden dürfte. Wie nervös das Befürworter-Lager aus CSU, FDP und SPD ist, wurde am Donnerstag im bayerischen Landtag deutlich: Da schoben sich die Parteien schon mal gegenseitig die Schuld zu für den Fall, dass die Münchner gegen die Pläne stimmen. Ex-CSU-Chef Erwin Huber warf Ude vor, er mache "Brotzeit, während andere arbeiten". Tatsächlich hatten sich aber weder Ude noch Hubers Nachfolger Seehofer mit Verve in den Wahlkampf geworfen. Podiumsdiskussionen und Streitgespräche mussten meist die Rathaus-Fraktionschefs von SPD und CSU absolvieren.

Die sehen im Flughafenausbau eine Stärkung für den Wirtschaftsstandort Bayern. 22.000 neue Jobs verspricht Flughafen-Chef Kerkloh, zudem werde der Tourismus profitieren. Und ein Flughafen, der dank seiner Drehkreuz-Funktion München mit mehr als 200 Zielen weltweit verbinde, sei auch wichtig, um ausländische Unternehmen in Bayern anzusiedeln. Die Ausbaugegner bezweifeln dies. Sie beklagen einen "massiven Natureingriff" - und stellen vor allem die Notwendigkeit für den Bau infrage. Denn die Zahl der Starts- und Landungen liege derzeit auf dem Niveau von 2005.

In den Boomjahren 2007 und 2008 wickelte der Flughafen 5,4 Prozent mehr Flüge ab als 2011. Zudem werde der weiter steigende Ölpreis Flüge in Zukunft so teuer machen, dass die Nachfrage eher zurückgehen werde. "In 20, 30 Jahren werden uns unsere Kinder fragen: Wieso habt ihr das gemacht?", sagt Christian Hierneis vom Bund Naturschutz. Die derzeitige Branchenkrise sei ein erster Beleg dafür, dass es in der Luftfahrt in Zukunft eher abwärts gehe als aufwärts.

In der Tat herrscht Unruhe nicht nur am Münchner Standort der Lufthansa, der mit Abstand wichtigsten Fluggesellschaft an der Isar. Der Konzern hat ein Sparprogramm aufgelegt und 3500 Stellen zur Disposition gestellt, um sich zu wappnen gegen steigende Kerosinkosten und die stärker werdende Konkurrenz aus Nahost. An den Münchner Ausbauplänen ändere das aber grundsätzlich nichts, sagt der zuständige Lufthansa-Manager Thomas Klühr.

Langfristig werde der Flugverkehr wachsen, vor allem wegen der "Zukunftsmärkte" in Asien, Mittel- und Südamerika. Mit der dritten Bahn könne München ein Stück vom Kuchen abhaben. Dann werde der Konzern die Zahl der hier stationierten Langstrecken-Jets um zehn auf 35 erhöhen. Jeder dieser Jets bringe 300 bis 400 neue Jobs. Komme die Bahn aber nicht, werde das Wachstum an anderen Airports stattfinden, in Wien oder Brüssel zum Beispiel.

Ähnliches befürchtet auch Flughafen-Chef Kerkloh: Während China viel Geld in neue Flughäfen investiere, werde bei einem Nein der Münchner "auf Jahrzehnte hinaus" in Deutschland bei der Luftverkehrsinfrastruktur "nichts mehr passieren", sagt er. Zudem sende ein Stopp der Münchner Pläne "ein hochpolitisches Standortsignal" aus. Kerkloh sagt das und senkt noch einmal die Stimme: Dies zeige nämlich, "dass selbst in Bayern einige Sachen nicht mehr gehen."

© SZ vom 16.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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