Dritte Start- und Landebahn:"Für den Münchner gibt es kein finanzielles Risiko"

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Vor dem Bürgerentscheid am Sonntag wird es emotional in München: Grünen-Politiker Magerl spricht von Lügen, Flughafen-Chef Kerkloh von seiner Kindheit in einem Zechen-Gebiet. Und dann gibt es noch die Frage, ob die Abstimmung nicht nur eine Farce ist. Ein Streitgespräch.

Birgit Kruse und Dominik Hutter

Der eine will die dritte Startbahn im Erdinger Moos unbedingt bauen, der andere will sie unbedingt verhindern; der eine kämpft vehement dafür, der andere vehement dagegen: Michael Kerkloh, der Chef des Münchner Flughafens, und Christian Magerl, Landtagsabgeordneter der Grünen, reden trotzdem miteinander. Im Hochhaus der Süddeutschen Zeitung trafen sich die beiden wenige Tage vor dem Bürgerentscheid zum Streitgespräch.

Herr Kerkloh, bei dem Bürgerentscheid über die dritte Start- und Landebahn dürfen Sie nicht abstimmen. Haben Sie schon einen Paten in der Stadt , der seine Stimme in Ihrem Sinne abgibt?

Michael Kerkloh: Leider will ja Bürgermeister Hep Monatzeder, mit dem ich schon oft Musik gemacht habe, nicht mein Pate sein. Aber ich habe hundert andere. Alle meine Freunde in der Stadt werden für die dritte Bahn stimmen.

Und wie ist es bei Ihnen, Herr Magerl?

Christian Magerl: Monatzeder hat sich dem Freisinger Oberbürgermeister versprochen. Ich habe Theresa Schopper als Patin. Wir sind uns sozusagen versprochen. Also, natürlich nur für die Abstimmung.

Können Sie uns mit einem Satz erklären, warum es die Bahn dringend braucht beziehungsweise nicht?

Kerkloh: München wird dadurch zukunftsfähiger: Es geht um Arbeitsplätze, Verkehrsverbindungen, Reisemöglichkeiten, Erreichbarkeit. Die Region hat am Ende eine bessere Zukunft mit der dritten Bahn. Von negativen Auswirkungen ist München nicht betroffen.

Magerl: Man kann nicht immer nur München sehen, man muss auch an das Umland denken. Und für die Menschen dort hat der Bau erhebliche Nachteile: mehr Lärm und mehr Dreck. Wir werden eine ungeheure Naturzerstörung erleben, und München wird ein erhebliches finanzielles Risiko eingehen. Die sichere Finanzierung ist bislang nicht mehr als ein Glaubensbekenntnis von Ihnen. Es wäre nur fair gewesen, wenn Sie das Finanzierungskonzept vor dem Bürgerentscheid öffentlich gemacht hätten.

Kerkloh: Fest steht: Für den Münchner gibt es überhaupt kein finanzielles Risiko. Das Geld ist da. Meine Gesellschafter hätten mich schon lange in die Wüste geschickt, wenn wir einen wackeligen Finanzplan hätten. Wir sind davon überzeugt, dass wir nicht einmal Kredite aufnehmen müssen. Außerdem berücksichtigen wir bei den Berechnungen die aktuelle Wirtschaftskrise.

Magerl: Wir haben in Deutschland keine Wirtschaftskrise und hatten auch im vergangenen Jahr keine.

Kerkloh: Aber im Rest von Europa. Und München ist ein Flughafen mit europäischem Einzugsgebiet. Das spüren wir natürlich. Statt der üblichen acht oder zehn Prozent Wachstum haben wir eben nur vier. Aber wir haben Wachstum . . .

. . . und nach den eigenen Prognosen die Kapazitätsgrenzen bald erreicht.

Magerl: Für die Anwohner ist die Belastungsgrenze bereits jetzt erreicht. Man kann den Leuten nicht noch mehr zumuten. Wo Sie indes die Grenze für die Betroffenen sehen, davon habe ich bislang noch nichts gehört. Sie reden immer nur von Wachstum.

Kerkloh: Dafür kann ich Ihnen was über die Belastungsgrenze des Flughafens sagen. Die ist erreicht. Wir haben zehn Stunden am Tag, an denen wir keine neuen Anfragen mehr unterbringen, wir können trotz Interessenten keine neuen Airlines ansiedeln. Das kann man sicher ein oder zwei Jahre schieben. Aber man kann das Problem nicht ignorieren.

Also am Ende doch noch eine vierte Start- und Landebahn, wie es in den ersten Plänen für den Flughafen stand?

Für Sonntag sind die Münchner aufgerufen, über die dritte Start- und Landebahn am Flughafen im Erdinger Moos abzustimmen. (Foto: dpa)

Magerl: Mit einer Einstellung, die nur an Wachstum und Wohlstand und nicht am Wohlergeben der Menschen orientiert ist, sicher. Dann reden wir auch gleich über die Absiedlung von ganz Freising.

Kerkloh: Darüber reden wir nicht. Wir können über die nächsten zehn oder 15 Jahre einigermaßen seriöse Aussagen über die Verkehrsentwicklung treffen. Eine weitere Bahn reicht da völlig.

Die Flugbewegungen sind im ersten Quartal 2012 rückläufig; das Fluggastaufkommen steigt, der Flughafen kommt an seine Kapazitätsgrenzen. Was stimmt nun?

Magerl: Die Flugbewegungen stagnieren seit sieben Jahren - egal, wie sich die Fluggastzahlen entwickeln. Sie sind auf dem Niveau von 2005. Die Flughafengesellschaft geht in ihren Gutachten für das Jahr 2025 von 480.000 Flugbewegungen aus - ohne dritte Start- und Landebahn. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) spricht von über 520.000. Doch in diesem Jahr werden es etwas unter 400.000 sein. Ihre Prognose, die Ihrer Planung zugrunde liegt, Herr Kerkloh, ist grottenfalsch. Egal, ob Sie irgendwann mal wieder mit einem Wirtschaftsaufschwung rechnen.

Kerkloh: Dann bitte die ganze Wahrheit, Herr Magerl. Es stimmt, dass wir derzeit unter unseren Spitzenwerten liegen. Die hatten wir 2008. Aber unser Projekt ist nicht auf die nächsten zwei oder drei Jahre ausgerichtet, sondern muss auch das Flugaufkommen im Jahr 2030 abdecken. Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erklären, dass es in den nächsten 20 Jahren kein Wachstum mehr gibt. Alle Länder wollen raus aus der Krise: Und Wachstum heißt immer, doppelte Anzahl des Passagierwachstums.

Herr Kerkloh, Sie sind viel in der Gegend unterwegs. Wie ist es, den Leuten zu sagen, dass sie Opfer von übergeordneten Interessen werden?

Kerkloh: Dass es Betroffene gibt, ist mir bewusst. Ich weiß, wie das ist. Ich bin in einem Zechen-Gebiet großgeworden, da ist die Belastung größer als im Flughafenumland. Aber das heißt nicht, dass jegliche Lebensqualität verloren geht. Für die Betroffenen werden wir was tun. Aber aus einer größeren Sicht heraus muss Politik abwägen, ob der Nutzen für ganz Bayern höher zu bewerten ist als die Nachteile für die Anwohner. Und der Flughafen ist für ganz Bayern wichtig. Dass man in Freising teilweise eine negative Haltung hat, verstehe ich. Die Stadt wird mit einem Stadtteil betroffen sein. Die Belastungen sind unbestritten.

Magerl: Es ist ganz Freising betroffen. Diese Relativierung nur auf Attaching ist unerhört.

Kerkloh: Dass es aber keine Flugroute über Freising geben wird, das wissen Sie.

Und was werden Sie für die Betroffenen tun?

Kerkloh: Von den 1,2 Milliarden Euro Gesamtkosten sind 600 Millionen für den Bau. Der Rest fließt zum Großteil in den Grunderwerb und Ausgleichszahlungen für die Betroffenen. Weil die Wünsche und Ansprüche der Betroffenen sehr unterschiedlich sind, setzen wir dabei auf individuelle Lösungen, die den persönlichen Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werden.

Magerl: Wir haben schon so viele Versprechen gehört, die nicht eingehalten oder erst sehr spät umgesetzt worden sind. So wie Sie aus der Vergangenheit Ihre Zukunftsprognosen ableiten, leiten wir aus leidvollen Erfahrungen aus der Vergangenheit die Skepsis gegenüber Ihren Versprechen ab.

Seehofer will den Bürgerwillen nicht respektieren, die Grünen im Landtag auch nicht. Ist die Abstimmung nicht eine einzige Farce?

Magerl: Nein. Das ganze Verfahren ist schon mal per se asymmetrisch, weil ja nur München abstimmen darf. Das finanzielle Risiko trägt ja auch der Münchner. Und darüber stimmen die Bürger ja im Wesentlichen.

Kerkloh: Ein Nein bei der Abstimmung ist ein klarer Stopp für die Bahn. Viele Leute glauben das nicht. Doch das ist eine ganz grundsätzliche Entscheidung, die hier getroffen wird. Ich nehme sie also sehr ernst. Und selbst wenn sie sich für die Bahn entscheiden, ist der Bau noch nicht durch. Wir warten erst die Entscheidungen der Gerichte ab, trotz Baugenehmigung.

Herr Kerkloh, Sie leben in Flughafennähe. Wie viele zusätzliche Maschinen werden künftig über Ihr Haus fliegen?

Kerkloh: Wir wissen noch nicht ganz genau, wie die Flugrouten verlaufen werden. Im Moment haben wir etwa 1200 Starts und Landungen pro Tag, im Verlauf der nächsten 15 Jahre wird dieser Wert auf etwa 1600 ansteigen. Die neue Bahn wird voraussichtlich überwiegend für Landungen genutzt werden. Aber unser Ziel ist Lärmvermeidung, wo auch immer es geht. So gibt es zum Beispiel im Moment noch Vorgaben, nach denen bei einigen Abflügen südliche Stadtteile von Freising überflogen werden. Da suchen wir gemeinsam mit der Flugsicherung nach Lösungen.

Magerl: Auf einmal doch. Sie haben vorhin noch gesagt, dass Freising nicht überflogen wird.

Kerkloh: Ich rede von der südlichen Peripherie von Freising, die Kernstadt wird nicht überflogen. Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass wir jetzt schon mehr machen als gesetzlich erforderlich ist. Was übrigens nur selten erwähnt wird: In den betroffenen Gebieten wohnt eine ganze Reihe von Flughafenbeschäftigten. Die haben natürlich zwei Seelen in ihrer Brust. Schließlich geht es auch um ihren Arbeitsplatz.

Magerl: Das ist das Problem: diese große Unsicherheit. Wir wissen immer noch nicht, wie genau geflogen werden soll. Und wir sind damals schon angelogen worden, was die Abflugrouten anging.

Kerkloh: (schüttelt den Kopf) Davon weiß ich nichts.

Magerl: Natürlich, 1988. Wirtschaftsminister Anton Jaumann musste damals zurücktreten. Das wissen die Leute draußen noch sehr genau. Man weiß: Alles, was derzeit gesagt wird, ist vorläufig.

Kerkloh: Sie können aber nicht bestreiten, dass wir auch indirekt Arbeitsplätze bei anderen Unternehmen schaffen.

Magerl: Das sagen Sie immer, aber das können Sie nicht belegen. Die These ist weit übertrieben, Sie blasen sich ungeheuer auf.

Kerkloh: Glauben Sie etwa, dass die Europazentrale von Microsoft hier wäre, wenn wir keinen leistungsfähigen Flughafen hätten? Oder das Forschungszentrum Europa von General Electric? Ich sage ja nicht, dass alle Arbeitsplätze vom Flughafen abhängen. Aber zu behaupten, wir hätten keine induzierende Wirkung, ist weit weg von der Realität.

Fliegen Sie selbst, Herr Magerl?

Magerl: Selten. Der letzte Flug war eine Reise des Landtagsausschusses. Da sind wir von Frankfurt nach Miami geflogen, weil die Lufthansa kurz vorher die Direktverbindung München-Miami gestrichen hat.

Wo waren Sie zuletzt, Herr Kerkloh?

Kerkloh: Vergangene Woche in Helsinki. Die haben übrigens drei Startbahnen - bei 15 Millionen Passagieren pro Jahr.

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