Dramatik-Förderpreis:Weiter im Text

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Die in Israel geborene Autorin Liat Fassberg überzeugte die Jury mit ihrem Stück zu Zwangsadoptionen. (Foto: Gina Bolle)

Autorin Liat Fassberg überzeugt die Jury in München

Von Yvonne Poppek, München

Einzelne Worte laufen über die Mitte der Seite, manchmal auch über den rechten Seitenrand. Bisweilen ergeben sie einen Satz. Zeitungsausschnitte, Zahlen, Lexikoneinträge sind wie in einer Collage um die Worte geklebt, mit Büroklammern fixiert, provisorisch irgendwie. Es sind die traurigen Ergebnisse von Liat Fassbergs langer Recherche zur Zwangsadoption, zur systematischen Entwendung von Kindern aus ihren Familien im 19. und 20. Jahrhundert. Weltweit.

Die 1985 in Israel geborene Autorin hat dies in "In the name of" schlaglichtartig montiert, in einer Arbeit, die so viel Ähnlichkeit mit einem Drama hat wie ein Isarkiesel mit dem Matterhorn. "In the name of" lässt sich nicht einfach vom Blatt spielen, es wirft eher die Frage auf, ob es sich um einen Theatertext handelt. Die Jury des "Münchner Förderpreises für deutschsprachige Dramatik", der vom Kulturreferat München, dem Drei Masken Verlag und den Kammerspielen vergeben wird, hat sich hier klar positioniert: Liat Fassberg wurde am Samstagabend mit dem mit 10 000 Euro dotierten Hauptpreis ausgezeichnet. Eine Entscheidung, die für die Kammerspiele längere Auswirkungen hat.

Fünf Theatertexte von sechs Autoren waren an dem Abend in szenischen Lesungen in der Therese-Giehse-Halle und im Live Stream zu sehen. Während die Jury vorher nichtöffentlich die Hauptpreisgewinnerin bestimmt hatte, stand der Publikumspreis noch zur Entscheidung an. Dazu galt es aber erst einmal, einen fünfstündigen Abend zu bewältigen. Ein kleiner Kraftakt, der aber dadurch belohnt wurde, das fünf komplett unterschiedliche Themen und Herangehensweisen gezeigt wurden, vielmehr gespielt als gelesen vom großartigen Kammerspiel-Ensemble.

Da gab es den Hippster-Monolog "dein schweigen" von Maxi Zahn, der um Nachtleben, Drogenkonsum, Sex kreist, um Wert und Käuflichkeit von Gefühlen. Regisseur Jan Bosse hatte Christian Löber dafür in einen Pflanzenkäfig mit Haschischplantagen-Flair gesperrt, quasi als optisches Pendant für die selbstbezogenen, rauschhaften Konflikte der Figur, für diese Ich-Befragung in einer überreizten Mini-Welt. Hannah Bründl, 1996 in Österreich geboren, griff mit ihrem Stück "Drained" sehr viel weiter in die Gesellschaft hinein. Auf verschiedenen Zeitebenen und in mehreren Handlungssträngen umreißt sie in aller Widersprüchlichkeit Tristesse und Trauma einer einst florierenden Kleinstadt, die nun dahinsiecht. Während Bründl auf Rollenzuschreibungen verzichtet, aber eine dialogische Form erhält, setzt das Berliner Autorenduo aus Ivana Sokola und Jona Spreter für ihr Stück "Tierversuch" - einer Mischung aus dem Film "Das Experiment" und Valie Exports Hunde-Performance, bei der sie ihren Partner angeleint durch Wien führte - noch auf gängige Dramenstrukturen und einer der Kernthemen des Dramas: die Liebe.

Die Münchnerin Raphaela Bardutzky schickte ihr Stück "Fischer Fritz" ins Rennen. Sprachgewandt, komisch und dramatisch zugleich befasst sie sich mit den Themen Familie, Heimat und der Pflege im Alter. Regisseur Emre Akal begriff den Text als Libretto, interpretierte ihn wunderbar rhythmisch. Bardutzky erhielt dafür den Publikumspreis - wobei sie die 5000 Euro Preisgeld mit den anderen Autoren teilen will. Liat Fassbergs großartige Arbeit stand zu all den Texten vollkommen quer, keine Figuren, kein Handlungsort, kein Konflikt. Dies skizzenhaft auf die Bühne zu übertragen oblag Regisseurin Anne Kapsner. Ihre Umsetzung mit Andre Benndorff, Marie Dziomber und Wiebke Puls war genauso zwingend wie eindringlich. Die Auswirkung ist unmittelbar: Als Gewinnerin des Hauptpreises wird Fassberg mit den Kammerspielen zusammenarbeiten, zwei ihrer Stücke werden dort uraufgeführt. Das ist ein Glück.

© SZ vom 28.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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