Dino-Schau "Im Reich der Giganten":Schade um die Pflanzenfresser

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Kinder lieben Dinos - vor allem, weil sie ausgestorben sind. Bei der Dino-Schau in München waren sich die meisten da nicht mehr so sicher.

Violetta Simon

Alles strömt Richtung Olympiahalle. Ich ströme mit - in der einen Hand eine Kinderhand, in der anderen zwei Tickets, die mir den immerwährenden Mama-Bonus sichern werden: Eintrittskarten für die Dino-Show Im Reich der Giganten. Mit dem Besuch des Elf-Millionen-Euro-Spektakels habe ich bei meinem Sohn für immer einen Stein im Brett. Wie vermutlich 90 Prozent aller Sechsjährigen will er "Dinoforscher, was sonst", werden.

Allerdings kennt er die Viecher nur aus Büchern oder Trickfilmen. Auf Kika stolpern sie als sprechende, knuffige Saurierkinder durch ein Land vor unserer Zeit und solidarisieren sich mit Vegetariern. Das ist auch gut so, denn wenn bei Wickie der "schreckliche Sven" am Horizont erscheint, ruft mein Kind bereits mit dünner Stimme nach Verstärkung.

Ein Kollege, Doktor der Philosophie, gibt mir Einblick in die kindliche Seele mit auf den Weg: "Weißt du, warum Kinder Dinos so lieben? Weil sie ausgestorben sind. Weil sie ganz sicher sein können, dass es keine Saurier mehr gibt, deshalb." Wenn das so ist, dürfte meinem Sohn wohl das Popcorn im Hals stecken bleiben, wenn plötzlich ein lebensgroßer, brüllender Tyrannosaurus rex durch die Arena stampft. Jetzt, nach 65 Millionen Jahren, heißt es, sind sie zurück - und nun auch in München.

Vielleicht erleidet der Kleine ja einen Schock? Hätte ich ihn öfter mit Bionicle-Figuren spielen lassen sollen? Oder Fluch der Karibik, Teil 1 bis 3, gucken lassen? Jetzt ist es ohnehin zu spät, wir kämpfen uns zur Tribüne durch, deren Klappstühle problemlos aus dem Jura stammen könnten. Dort, wo schon ZZ Top synchron mit den Bärten wippten, Jethro-Tull-Star Ian Anderson einbeinig in die Querflöte blies und Eros Ramazzotti ins Mikro knödelte, klafft nun ein überdimensionales Maul, dessen scharfe Zähne ein bisschen an das Wilde-Kerle-Logo erinnern.

Es dröhnt und donnert - vielleicht war es ja doch keine so gute Idee, sich so weit nach vorne zu setzen. Heraus kommt kein Monster, sondern ein kleiner Mann. Er stellt sich als Paläontologe namens Huxley vor und bittet, beim Fotografieren auf Blitz zu verzichten, weil es die Tiere nervös mache. (Zwar wird weiter geblitzt, aber dafür ruft mein Sohn nun panisch, sobald ich die Kamera auf die Bühne richte: "Nicht blitzen!")

Der Paläontologe beginnt zu erzählen, das Kind verfällt in den TV-Modus: Kinn klappt nach unten, Augen geradeaus. Scheinwerferlicht fällt auf ein Gelege mit Dino-Eiern, aus denen zwei Junge schlüpfen. Eins ist sicher: Wenn Unterricht mit BBC-Filmmusik unterlegt wäre, die Lehrerin vor einer Leinwand stehen würde, umrahmt von einem Monstergebiss - die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Schüler wäre ihr gewiss.

Der erste Dino betritt die Bühne. Es ist ein Liliensternus. Die ledrige Haut, die Bewegung der Muskeln - er sieht verdammt echt aus, soweit man das als Mensch des 20./21. Jahrhunderts beurteilen kann. Die Techniker benutzen dazu eine Art "Muscle-bags"-System: Dehnbares Maschengewebe wird mit Styroporkugeln gefüllt und über die beweglichen Körperteile gezogen. In den kleineren Figuren stecken Menschen, der menschliche Gang verrät sie ein bisschen.

Liliensternus schnappt sich eines der frisch geschlüpften Dinobabys, mampft es und brüllt. Der Sohn beißt genüsslich in seine Breze ("Hast du gehört, der hat gerülpst!"). Nein, Angst sieht anders aus.

Die Mama kommt angewankt. Sie wirkt beeindruckend, obgleich etwas behäbig. Typisch Pflanzenfresser. Die größeren Tiere sind ferngesteuert und werden von einer Art fahrbarem Untersatz gestützt. Jeder Saurier trägt unter anderem bis zu 132 Meter Hydraulikschläuche und einen Kilometer Kabel in sich, braucht rund sieben Kilowatt Strom von zwölf Lkw-Batterien. Jeder Riese wird von zwei "Puppenspielern" gesteuert. Dazu benutzen sie sogenannte Voodoo-Dummys, also Miniaturen mit identischen Funktionen. Der "Puppenspieler" bewegt die kleine Figur; ein Computer analysiert die Bewegungen und überträgt sie über Funk auf den Dinosaurier, der dann die Bewegung ausführt.

Damit das Tier nicht gegen die Bande fährt, ist darunter noch ein Fahrer versteckt, der es durch die Arena lenkt.

Es donnert schon wieder. Der Kontinent - eine Felskonstruktion - bricht vor den Augen der Zuschauer auseinander, der Moderator erzählt von tektonischen Verschiebungen und kündigt einen großen Einbruch an: "Haltet euch gut fest!" (Der Sohn, Breze im Mund, krallt sich mit beiden Händen an der Stuhllehne fest.) Willkommen im Jura. Pflanzen sprießen, Palmen wachsen vor unseren Augen. Die Bühne betritt ("Muss ich mich immer noch festhalten?") ein Stegosaurus, gefolgt von einem riesigen Brachiosaurus mit seiner noch größeren Mutter. Vom Sprecher erfahren wir, dass das Tier pro Jahr eine Tonne zulegt, obwohl es sich ausschließlich von Farnen und Kiefern ernährt - "ganz ohne Pommes!"

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie die Dinos die Kurve kriegen ...

"Wie lange dauert das noch?" - "Warum denn das jetzt?" - "Weil es so toll ist!"

Die Riesen posieren geduldig, mümmeln an den Kunstpflanzen, um ein gutes Motiv abzugeben ("Mama, nicht blitzen!"). Immer wieder müssen sie in den Kurven rangieren, um ihre eingeschränkte Bewegungsfreiheit zu kompensieren ("Will der jetzt einparken, oder was?").

Nach der Pause hat auch schon die Kreidezeit begonnen. Während wir Popcorn holten, sind zig Millionen Jahre vergangen. Ein Flugsaurier ( Ornithocheirus) schwebt durch die Luft. Genauer gesagt: Er hängt an Nylonfäden, während auf der Leinwand hinter ihm eine karge Landschaft vorbeizieht. Da kommt Nostalgie auf! Dieselbe Technik wie bei den Autoszenen in den Filmen der fünfziger Jahre.

Das Licht wechselt, die Musik steigert sich ins Dramatische, der Sprecher scheint hörbar beeindruckt. Das alles ergibt die erforderliche Spannung, die man bei einem Preis von rund 50 Euro pro Kopf erwarten darf. Fasziniert scheinen vor allem die Kinder, die es ausnahmsweise weniger stört, dass der Zuschauer selbst in der ersten Reihe auf Abstand gehalten wird.

Dabei gibt sich der Erzähler wirklich Mühe. Als ein Torosaurus einen gigantischen Haufen macht, kommt er freudig angelaufen und versenkt seinen Arm bis zum Ellbogen in den Fäkalien. (Mein Junge jubelt.) Als der Paläontologe die Hand wieder herauszieht, befindet sich darin ein Mistkäfer. Ergriffen fällt er auf die Knie. Ein Blick auf einen der Monitore veranlasst den kleinen Sitznachbarn zu der enttäuschten Bemerkung: "Der Arm ist ja ganz sauber!"

Das Ende der Kreidezeit ist gekommen. Der gepanzerte Ankylosaurus rangiert um die Kurve und schwingt dabei seinen 80 Kilo schweren Keulenschwanz. Als die Musik für einen Moment nachlässt, summt die Hydraulik der Dinos wie ein Staubsauger. Doch schon wartet das nächste - und letzte Highlight: eine gigantische, fleischfressende Kampfmaschine - der Tyrannosaurus rex. Aus dem Dunkel tritt, oder besser, tapst ein knochiges T-Rex-Baby. ("Das soll ein Tyranno sein??") Brüllen kann er auch nicht, nur jämmerlich krähen.

"Aber der Ausgewachsene kommt auch noch, oder?" "Weiß nicht". "Dann musst du schreiben, dass ich ganz enttäuscht war!"

Der Große kommt. Bei seiner Verfolgungsjagd hat er Probleme, um die Kurve zu kommen. Er hat offenbar eine Fahrschule besucht und versucht's mit: "Wenden in drei Zügen". War es das, was in der Ankündigung mit "unfreiwilliger Komik" gemeint war? Immerhin, wenn der Große brüllt, und kurz darauf der Kleine kräht, lachen die Zuschauer jedesmal.

Dann knallt's, gleißendes Licht füllt den Raum. Ein Komet ("Hä? Ich dachte, das war ein Meteorit!") rast mit 30 Kilometern in der Sekunde auf die Erde zu und macht der Dino-Ära ein Ende. Zum Glück, tröstet uns der Erzähler, gibt es noch ein paar Dinosaurier auf der Erde: die Vögel. Über das Ende der Show sind vor allem die Kinder untröstlich.

Immerhin, auf dem Heimweg setzt mich mein Sohn davon in Kenntnis, dass er ziemlich froh ist, dass er nicht vor Velociraptoren und Tyrannosauren flüchten muss. "Nur um die Pflanzenfresser ist es echt schade."

Ganz klar: Die Theorie des Kollegen muss neu überdacht werden.

Die Dino-Schau "Im Reich der Giganten" läuft noch bis Samstag, 20. März, in der Münchner Olympiahalle. Infos und Termine unter www.dinosaurier-live.de

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