Digitalisierung:Mit Tipp-Ex und Typometer

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Wie hat man eigentlich vor 40 Jahren Zeitung gemacht? Manches war mühsamer als heute, und ungefähr genauso stressig, nur auf andere Art und Weise.

Von Klaus Schieder, Wolfratshausen

Ein Zeitungsredakteur mit Mitte 50 tut gut daran, den Nachkommen in seinem Berufsstand möglichst wenig von jenen Jahren zu erzählen, als er selbst noch ein Jungspund war. Schon deshalb, weil solche Erinnerungen eher langweilen. Vor allem aber, weil er heutzutage Gefahr liefe, ins prähistorische Museum eingewiesen und irgendwo im Mesolithikum aufgestellt zu werden. Wie vor 40 Jahren noch Zeitung gemacht wurde, kann sich ja niemand aus der Smartphone-Generation vorstellen. Typometer, Rechenscheibe, Spiegelbogen - all das sind für sie seltsame Begriffe aus einer längst vergangenen Epoche. Aber in der ersten Redaktion der SZ Bad Tölz-Wolfratshausen am Loisachufer in Wolfratshausen gehörten diese Utensilien zur täglichen Arbeit. Ebenso wie die hämmernde Schreibmaschine.

Es war eine uralte "Olympia", grau, etwa zehn Kilo schwer und mit Tasten, die einen Anschlagsweg von geschätzt einem halben Meter hatten. Der Hackstock fristete noch Anfang der Neunzigerjahre ein ungefährdetes Dasein in der Redaktion, obwohl er einen dermaßen ohrenbetäubenden Lärm erzeugte, dass der Kollege am Nachbartisch erst "Wie bitte??" und "Entschuldigung, das hab ich nicht verstanden ... " in den Telefonhörer brüllte, ehe er die Hand über die Muschel legte und leicht grantig darum bat, man möge jetzt kurz mal mit dem Tippen aufhören.

So entstanden viele Artikel etappenweise zwischen Telefonat und Telefonat, in den Zwangspausen blieb beim Blick aus dem Fenster auf die idyllische Loisach mit ihren Schwänen ja genügend Zeit, über die nächsten Sätze nachzudenken. Das war auch ratsam. Am Computer kann man heute alles beliebig oft korrigieren, damals auf Manuskriptpapier aber bloß einmal. Ein fader Einstieg, zu viele Tippfehler, eine ungeschickt formulierte Passage - schon musste man zu Tipp-Ex und Kugelschreiber greifen, einen neu getippten Absatz mit Schere und Tesafilm in das Manuskript pappen, überhaupt von vorne beginnen und die alte Version in Form von Papierbällchen um sich herum auf dem Teppichboden entsorgen.

Auch sonst war der Redaktionsalltag in dem Pumpenhäuschen am Loisachufer mühsam. Im vordigitalen Zeitalter mussten die Fotografen ihre Aufnahmen in einer Dunkelkammer entwickeln, die dort kaum größer war eine Besenkammer. Und das, bitteschön, hurtig. Denn schon am Nachmittag kam ein Bote nach Wolfratshausen, holte alle Abzüge und fuhr sie ins SZ-Haupthaus, seinerzeit noch in der Sendlinger Straße in München. Auf der Rückseite der Fotos pappten Zettel mit Höhe und Breite in der nächsten Ausgabe, vorher ermittelt per Rechenscheibe, einer Art rundem Rechenschieber.

Wer einen alten Artikel suchte, musste im Keller stundenlang alte Bände wälzen

Was das Layout angeht, krempelte der Redakteur seine Ärmel hoch, beugte sich über einen ungefähr halbmannshohen Spiegelbogen, knallte sein Typometerlineal darauf und fing mit Bleistift und Radiergummi zu malen an. Einen Anspruch auf absolute Exaktheit erhob diese Arbeit nicht. Die Länge der Texte, die er auf dem großen Bogen mit Überschrift, Anfangsbuchstaben und einer Schlangenlinie für die Platzierung in den Spalten einzeichnete, hatte er an korrigierten, zusammengeklebten Manuskripten abgezählt - so Pi mal Daumen. Die Größe der Fotos konnte trotz Rechenscheibe immer ein wenig abweichen - so Pi mal Daumen. Sei's drum. Der Metteur wird schon alles einrenken. Der war früher in der Druckerei für den manuellen Seitenumbruch zuständig und ist längst so ausgestorben wie das Mammut.

Vor der digitalen Revolution war die Arbeit in der Redaktion am Loisachufer schwerfälliger und damit auch oftmals schwieriger. Wenn plötzlich etwas Wichtiges geschah, konnte man das Layout vor 40 Jahren nicht mal eben mit ein paar Mausklicks ändern. Wenn ein Mitarbeiter einen Beitrag schrieb, musste er ihn persönlich vorbeibringen oder per Post schicken, anstatt ihn sekundenschnell zu mailen. Wer einen Artikel vom Vorjahr suchte, hatte nicht den großen Vorteil, einfach ein Stichwort in den Computer einzugeben - er musste in den Keller gehen und stundenlang alte Bände wälzen. Aber anders als heutzutage war er mangels Handy oder gar Smartphones auch nicht überall und jederzeit zu erreichen, musste seine Reportagen nicht noch online stellen oder von Berufs wegen in den sozialen Medien unterwegs sein. Der Alltag in der ersten SZ-Redaktion in Wolfratshausen war nicht stressiger, er war nur auf andere Art stressig.

Und doch um einiges ungesünder: Durch die Redaktionsräume im ersten Stock, wo danach mehr als zwei Jahrzehnte das Wolfratshauser Stadtarchiv untergebracht war, zog der Zigarettenqualm den ganzen Tag lang in dichten Schwaden. Ein Rauchverbot gab's damals ja noch nicht. Auch darüber sollte ein Zeitungsmensch mit Mitte 50 allerdings besser nicht so viel schwadronieren.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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