Der Münchner Stadtrat:Bühne frei

Lesezeit: 6 min

Die Arbeit im Stadtrat kann langwierig und mühsam sein, doch es gibt unterhaltsame Abweichungen von der Tagesordnung. Und auch hinter den Kulissen wird Politik gemacht

Von Heiner Effern und Dominik Hutter

80 Münchner Stadträtinnen und Stadträte treffen sich an diesem Mittwoch, 13. Dezember, zur letzten Sitzung dieses Jahres. (Foto: Catherina Hess)

Die Tagesordnung allein macht es noch nicht. Wer eine Stadtratssitzung in München verfolgt, der wird erkennen, dass deren Ablauf durch Rituale, Gewohnheiten und auch Schrullen geprägt ist, die sich in keiner Geschäftsordnung finden. So kann manchmal selbst eine Diskussion über die trockenste Materie noch zum kleinen Schauspiel werden.

Die Sprechregelung

Wer als Stadtrat etwas sagen will, muss an eines der beiden Rednerpulte gehen. Also, ans richtige natürlich, denn normalerweise benutzen SPD, Grüne und Linke das vom Saaleingang gesehen rechte, während CSU, FDP und diverse Kleinparteien das linke bevorzugen. Die ÖDP verteilt sich gerne auf beide Mikrofone. Falls ein CSU-ler mal ans "falsche" Pult geht, sorgt das für schelmisches Gekicher (so sind Politiker). Kürzlich musste CSU-Mann Hans Theiss ans rechte Pult, weil die Mikrofonanlage so unfein knisterte, dass kaum etwas zu verstehen war. Dieses Problem hat den Stadtrat nun einige Wochen begleitet. Dabei wurde die Anlage bereits vom Fachmann untersucht und läuft einwandfrei, wie Bürgermeister Josef Schmid (CSU) erklärte. Es gilt als möglich, dass zu viele elektronische Störsender und -empfänger - sprich: Mobiltelefone - im Raum sind. Darauf sollen die Mikrofone nun ausgelegt werden.

Die Besucher

Manchmal sind Zuhörer auf der Galerie herzlich willkommen ("Wir begrüßen die Klasse 3d der Gustav-Gans-Schule"), manchmal müssen sie von der Polizei abgeführt werden, wie im Januar 2017 eine Bekannte des rechtsradikalen Stadtrats Karl Richter, die von oben herab lautstark in den Saal pöbelte. Allen gemein ist: Einfach haben sie es nicht, dem Geschehen zu folgen. Die Tagesordnungen sind heillos unübersichtlich, das Abstimmungsverhalten gelegentlich schwer durchschaubar, und es gibt nicht-öffentliche Themen, bei denen alle Besucher die Galerie verlassen müssen. Nicht erwünscht sind Aktivisten, und so fragte SPD-Fraktionschef Alexander Reissl erst einmal nach, wer bei der Debatte über den Kohle-Bürgerentscheid da so massenhaft in den Saal strömte. Aber, o weh, es waren Vertreter des Gesamtpersonalrats, die zu der für diese Sitzung anberaumten Gedenkminute für verstorbene städtische Mitarbeiter gekommen waren. Kann passieren, sah aber nicht gut aus.

Auch Kommunalpolitik bedeutet: Akten wälzen, Vorlagen kennen, eben viel Papierkram. (Foto: Catherina Hess)

Floskeln

Bestimmte Sätze fallen am Rednerpult immer wieder. "Erst einmal Dank an die Verwaltung" zum Beispiel, was nicht nur nett gegenüber den städtischen Mitarbeitern ist, sondern auch staatsmännisch wirkt. Der Satz macht unfreiwillig klar, wer die Hosen anhaben will, und das ist natürlich die Politik. Zu den kryptischen Floskeln zählt "Begründung wie im Ausschuss", was gerne bei Abstimmungen im Plenum gesagt wird. Leider muss für viele Stadträte und noch mehr Zuhörer der Inhalt des Gesagten offenbleiben - wer weiß schon, wie die Begründung im Ausschuss lautete, wenn er nicht zufällig dabei war. Es dürfte nicht ganz einfach sein, sich vor diesem Hintergrund eine politische Meinung zu bilden. Verhängnisvoll ist auch der zweifellos zu den Top-Floskeln zählende Satz "Ich beantrage Vertagung". Da dem meistens gefolgt wird, müssen interessierte Zuhörer unverrichteter Dinge wieder abziehen. Und die Tagesordnung der nächsten Sitzung wird noch länger (zum Glück kann man dann ja wieder vertagen).

Weißwurstzimmer

Für den Sitzungsbereich des Rathauses gilt: Hinter der Tür ist nicht immer das, was drüber steht. Das "Ausschusszimmer" zwischen Großem und Kleinem Sitzungssaal wird nicht für Ausschüsse genutzt, sondern heißt im Rathaus-Sprachgebrauch Weißwurstzimmer. Weil dort früher Weißwürste kredenzt wurden. Längst ist die Genusssucht aus den neugotischen Hallen gewichen, es gibt nur noch Kaffee, Getränke und kleine Brotzeiten. Der Raum ist ideal für Pausen, Hintergrundgespräche und wird auch für demonstrative Auszeiten genutzt, wenn das am Saal-Mikrofon Gesagte unerträglich wird.

Gegnerschaften

Ein Stadtrat ist kein Ponyhof, und wenn es keine Differenzen gäbe, entstünde auch keine politische Debatte. Ein paar Gegnerschaften aber sind legendär, weil sie immer wieder durchscheinen. Die zwischen Grünen und ÖDP etwa, die sich selbst nach einem gemeinsam beworbenen Bürgerentscheid noch im Stadtrat zoffen. Konkurrenz im Öko-Lager ist nicht erwünscht, auch wenn die beiden Parteien sich weltanschaulich ansonsten ziemlich unterscheiden. Wenig Sympathie herrscht auch zwischen den auf die Internationale verpflichteten Linken und der Bayernpartei. Manchmal mögen sich auch SPD und CSU nicht, obwohl sie verbündet sind. Aber das hat es in der Partnerschaft der Sozialdemokraten mit den Grünen auch schon gegeben. Von allen gemieden wird der rechtsradikale Stadtrat Karl Richter, der über Facebook schon einmal ein altes Hitler-Wahlplakat postet. Die Isolation gilt als Beitrag zur wehrhaften Demokratie.

Die Montagsrunden

Es wäre naiv, den politischen Meinungsbildungsprozess allein im Sitzungssaal zu verorten. Fraktionen benötigen halbwegs einheitliche Meinungen, sonst sind es keine Fraktionen mehr, und für eine Koalition gilt das Gleiche. Im Münchner Rathaus wird Politik vor allem am Montag gemacht. Dann tagt die Referentenrunde, startend um elf Uhr und bestehend aus den "Stadtministern", dem Oberbürgermeister und den Bürgermeistern. Es folgt die sogenannte Mittagsrunde, bei der die Spitzen der Bündnispartner SPD und CSU strittige und weniger strittige Entscheidungen auskarteln. Oder sich ohne Ergebnis trennen, dann wird das Thema zumeist vertagt. Am Nachmittag dann, Start 14 Uhr, finden Fraktionssitzungen statt, an denen ebenfalls die Bürgermeister der jeweiligen Couleur teilnehmen (wenn sie Zeit haben). Danach wissen die Stadträte, wie sie zu den meisten Themen stehen und welche Hände bei "Ja" und welche bei "Nein" oben sind. Oder ob die eigene Fraktion einen Änderungsantrag stellt. In Fraktionssitzungen kann es durchaus kontrovers zugehen, weil natürlich in Wahrheit nicht alle derselben Meinung sind. Manchmal wird im Stadtrat auch innerhalb von Fraktionen unterschiedlich abgestimmt, aber diese Fälle sind eher selten. Dann geht es oft um Gewissensfragen oder aber um Versprechungen, die einzelne Stadträte den Bürgern vor Ort gemacht haben, die aber die komplette Fraktion nicht einhalten kann.

Die Klingel

Stadträte darf man sich keinesfalls vorstellen wie brave Schüler, die aufmerksam den Vorgängen im Klassenzimmer folgen. Wird nicht gerade ein Knallerthema besprochen, daddeln sie am Handy, lesen in Tablets oder auch noch ganz klassisch in Papierzeitungen. Wird es angesichts zu vieler Nachbarschaftsgespräche zu laut, ermahnt der Sitzungsleiter die Schwätzer mit einer Glocke, die vor ihm am Pult steht. Gerne verlassen Stadträte auch den Sitzungssaal, ratschen vor der Türe im Weißwurstzimmer (auch mit Kollegen aus anderen Fraktionen) oder sie verhandeln über Politisches (gerade mit Kollegen aus anderen Fraktionen). Steht nach einer Debatte eine Abstimmung im Saal an, drückt der Sitzungsleiter, also einer der drei Bürgermeister, auf eine Klingel, die im Weißwurstzimmer für Aufbruchstimmung sorgt. Einmal in diesem Sommer folgten die SPD-ler dem Klingeln nicht gleich, und die CSU sah die Chance, sie mit einer schnellen Abstimmung zu düpieren. Fraktionschef Manuel Pretzl versuchte sogar, die Türe zuzuhalten, und forderte lautstark, dass keiner der säumigen Schwätzer mehr in den Saal dürfe. Das geriet allerdings zum Bumerang: Die SPD-Stadträte und auch einige von den Grünen drängten in den Saal und stimmten verspätet mit. Dazu verübelten sie Pretzl, dass er einen guten Brauch ausnützen wollte: Wenn Karl Richter seinen rechtsextremen Sprachmüll absondert, verlassen viele Stadträte, auch von der CSU, demonstrativ den Saal.

Haushaltsreden

Im November bringt die Stadtregierung traditionell den Haushaltsentwurf für das Folgejahr ein. Dabei lobt sie ihren Finanzplan und die darauf fußende Politik ausgiebig. Wie im Bund und Land nutzt die Opposition die Haushaltsdebatte zu einer Generalabrechnung mit dem Rathausbündnis. Da ohnehin klar war, wer was sagen würde, bot Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) heuer im Scherz an, die Reden einfach ausfallen zu lassen. Diese seien "selten wirklich vergnügungssteuerpflichtig". Spannend allerdings schon, da in den vergangenen Jahren der Haushalt ein weiteres Ritual hervorbrachte. CSU und SPD bekannten sich ein ganzes politisches Jahr zu mehr Sparsamkeit. Auch die Opposition forderte sie in großen Teilen vehement. Nichtsdestotrotz stimmten das ganze Jahr über die meisten Stadträte in den Ausschüssen fröhlich für neue Stellen und Initiativen. Und am Ende wunderte man sich, dass trotz Rekordeinnahmen das Geld knapp wurde.

Weihnachtsritual

Nach zwölf Monaten voller Diskussionen Anträge, Debatten, Erfolge und Niederlagen lädt der Oberbürgermeister in der letzten Sitzung im Dezember den gesamten Stadtrat zum Mittagessen in den Ratskeller ein. Dem Vernehmen nach soll es dort weit weniger kontrovers zugehen als im Sitzungssaal. In den vergangenen beiden Jahren allerdings war der vorweihnachtliche Politfriede schwer gestört. 2016 ärgerte sich Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) so sehr über das Gremium, dass er seine eigene Einladung boykottierte. Hauptschuld trug allerdings nicht der wenig geliebte Regierungspartner CSU und auch nicht die Opposition, sondern seine eigene SPD-Fraktion. Die gab in der Debatte um die Vergabe des Kulturstrands ein schwaches Bild ab und wurde auch noch überstimmt. Daraufhin soll der OB einen Apfel in seinem Büro dem Menü im Ratskeller vorgezogen haben. 2015 endete der letzte Redebeitrag mit einem Eklat. So traditionell der Stadtrat mittags gemeinsam tafelt, hält am Ende der Sitzung der älteste Stadtrat eine Weihnachtsrede. CSU-Senior Reinhold Babor nutzte die Gelegenheit, das Flüchtlingsjahr 2015 mit einer vorweihnachtlichen Das-Boot-ist-voll-Botschaft abzuschließen. Viele Stadträte verließen den Saal, auch Babors CSU-Fraktion verurteilte seine Worte scharf. Da die Stadtspitze offenbar Wiederholungsgefahr sah, wurden die Regularien geändert: Nun hält nicht mehr der älteste, sondern der dienstälteste Stadtrat die Jahresabschlussrede. Die Ehre, die letzten, traditionell versöhnlichen Worte des Jahres zu sprechen, blieb bei der CSU: Walter Zöller schickt die Stadträte in die Weihnachtsferien.

© SZ vom 13.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: