Denkmalschutz:"Der falsche Ansatz"

Lesezeit: 4 Min.

Generalkonservator Mathias Pfeil verweigert der Türkenstraße den Ensembleschutz und macht klar, dass der Denkmalschutz nur unter strengen Bedingungen ein Instrument der Stadtgestaltung sein kann

Von Stefan Mühleisen

Die Türkenstraße hat einen vorderen Platz im Gedächtnis der Stadt, sie ist ein Erinnerungsort vor allem für die Zeit der Schwabinger Boheme. Eine Meile mit Geschichte und Geschichten von berühmten Literaten und Künstlern, die in der Kneipe "Simplizissimus" (Hausnummer 57) feierten oder sich im Kabarett der "Elf Scharfrichter" (Nummer 28) amüsierten. Auch vom Widerstand gegen das NS-Regime erzählt die Straße: Georg Elser, dessen Attentat auf Hitler 1939 knapp scheiterte, wohnte zeitweise zur Untermiete auf Nummer 97.

Mehr als 30 Häuser dieser Straße sind in der Denkmalliste eingetragen. Eine Straße mit "einmaliger Geschichte", wie der Bezirksausschuss Maxvorstadt unlängst an die Stadt schrieb, die jedoch gefährdet sei, "durch rücksichtlose Immobilienspekulanten zerstört zu werden". Das Gremium verlangte, die ganze Straße unter Ensembleschutz zu stellen. Es war ein fast verzweifelter Ruf nach dem Denkmalschutz, einer von vielen Rufen aus den Stadtvierteln nach diesem vermeintlich scharfen Schwert gegen den Vormarsch der Gentrifizierung.

Lokalpolitiker wollen Bauvorhaben in der Türkenstraße mit Hilfe des Denkmalschutzes eindämmen. Doch die Fachbehörden winken ab. (Foto: Florian Peljak)

Die Antwort des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD), der staatlichen Fachbehörde, liegt jetzt vor - und sie wirft ein Licht auf die oft missverstandene Funktion des Denkmalschutzes. Die Landesbehörde beschied den Maxvorstädter Politikern, ihre angeführten Gründe seien "baulich als solche gar nicht fassbar oder gar auf abgegangene Objekte bezogen". Man sei der Auffassung, der Bezirksausschuss fordere einen Milieuschutz, der aber über das Denkmalschutzgesetz nicht abgedeckt sei. "Es gibt die verbreitete Ansicht, dass der Denkmalschutz - gerade in den historischen und von Gentrifizierung bedrohten Stadtvierteln - die letzte Möglichkeit ist, Veränderungsprozesse, die einfach einen Gutteil der Normalität darstellen, aufhalten oder verhindern zu können", sagt der Chef des BLfD, Generalkonservator Mathias Pfeil, und fügt hinzu: "Das muss gar keine böse Absicht sein. Doch es ist der falsche Ansatz."

Es gibt viele Beispiele dafür, dass Mieter, Politiker oder Aktivisten denkmalschutzrechtliche Argumente und sogar Expertisen aufbieten, um Abriss- oder Modernisierungsmaßnahmen zu verhindern. So hat der Verein Altstadtfreunde ein Privatgutachten gegen den Physik-Campus der Ludwig-Maximilians-Universität an der Königinstraße ins Feld geführt. Für das Projekt sollen die alten Gebäude der Tiermedizin am Englischen Garten weichen. Sowohl einzelne Bauwerke als auch Teile des Ensembles seien als Denkmäler zu werten, hieß es in dem Gutachten. Nein, das seien sie eben nicht, insistierte das BLfD. Stadtplanerisch, so sagte Pfeil damals, mögen sie erhaltenswert sein. Denkmalschutzfachlich nicht.

Ein entscheidender Unterschied. Der Denkmalschutz kann nur unter strengen Bedingungen ein Instrument der Stadtgestaltung sein. Denn die Behörden müssen sich an die gesetzlichen Vorgaben halten, also ans Bayerische Denkmalschutzgesetz. Denkmäler sind demnach "von Menschen geschaffene Sachen oder Teile davon aus vergangener Zeit, deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt". Das Entscheidende dabei ist: Es muss ein klarer historischer Bezug vorhanden sein, um ein Haus oder ein ganzes Ensemble in die Denkmalliste aufzunehmen. Die reine Meinung, dies oder das sei ein wertvolles Relikt, ist Willkür und damit anfechtbar.

Ein Baudenkmal muss aber juristisch wasserdicht von historischer Relevanz sein, wie das BLfD und die Untere Denkmalschutzbehörde der Stadt im Fall der Walmdachvilla an der Kolbergerstraße 5 im Herzogpark schmerzlich erfahren mussten. Eine Bürgerinitiative und der CSU-Politiker Robert Brannekämper waren Sturm gelaufen gegen den geplanten Abriss, das Haus flog zunächst von der Denkmalliste, kam dann wieder hinein. Der Investor klagte - und bekam recht. "Die Gutachterschlacht um die Kolberger-Villa hat gezeigt: Es ist zum Scheitern verurteilt, wenn der Denkmalschutz für fremde Zwecke eingespannt wird", sagt der Chef der Lokalbaukommission, Cornelius Mager. "Wir können nicht aus politischen Gründen Denkmäler anerkennen." Das Beispiel zeigt auch, dass ein Gericht zu dem Schluss kommen kann, dass ein Denkmal zu unrecht in der Liste der schützenswerten Bauwerke steht. Und eben davor muss sich die städtische Untere Denkmalbehörde schützen, die Denkmal-Entscheidungen verantworten muss, etwa wenn es um die Verweigerung von Abrissgenehmigungen geht.

So zum Beispiel im Fall des Hauses an der Wagnerstraße 1 in Schwabing mit der Traditionsmusikkneipe "Schwabinger Podium": Der Eigentümer wollte sich das Recht auf Abbruch des Gebäudes vor Gericht erstreiten, zog denn aber seine Klage nach einer Entscheidung des BLfD zurück. Die Denkmalschutzbehörde hatte das Ensemble Altschwabing um einige Straßenzüge ausgeweitet - das Haus war plötzlich Teil eines schützenswerten Ganzen. Auch in diesem Fall gab es laute Rufe nach dem Denkmalschutz. Der Rückzug des Investors legt nahe, dass das Ensemble-Verdikt "gerichtsfest" ist, wie Juristen sagen. "Es ist nicht unsere Aufgabe, Erfüllungsgehilfe von Initiativen zu sein", stellt Generalkonservator Pfeil klar.

Das gilt auch, wenn die Initiative von der Stadt ausgeht, wie am Gezerre um die Münchner Dorfkerne deutlich wurde. Das BLfD wollte vor gut zehn Jahren 14 der 20 Dorfkerne die Ensembleeigenschaft streichen. In den Stadtvierteln erhob sich der Protest - und die Stadt protestierte mit. Denn ohne Schutzstatus verlöre sie ein Werkzeug, dem Wildwuchs in den dörflichen Reststrukturen zu verhindern. Nach langem Ringen ist für 18 der Ensembleschutz bestätigt. Allerdings: Die Auflagen der Denkmalschützer gelten weiter, die Baugenehmigungspraxis am Erhalt der Ensemble auszurichten. "Alle müssen an eine Tisch und zusammenhelfen", beschreibt LBK-Chef Mager das Ergebnis.

Thomas Goppel, Vorsitzender des Landesdenkmalrates - ein beratendes Gremium aus Politikern, Architekten, Kirchenvertretern - sieht Fachbehörden, Politik, Gerichte und freiwilliges Engagement gezwungen, aufeinander zu hören und "andere Sichten in eigene Entscheidungen einzubinden". Im Dialog entscheidet sich also, inwiefern der Denkmalschutz stadtgestalterisches Instrument sein kann.

Inwiefern er es nicht sein kann, illustriert der gescheiterte Vorstoß der Maxvorstädter Politiker: Er wollte, dass die öffentliche Hand den Zustand der Türkenstraße quasi einfriert im Bestand des Jahres 2019 - ein von oben verordneter, radikaler Veränderungsstopp. Mechthild Keßler, Leiterin der städtischen Unteren Denkmalschutzbehörde, drückt es so aus: "Man kann das Denkmalschutzgesetz, das auf dem Landesrecht basiert, nicht instrumentalisieren, um im Gewande des Denkmalschutzes Planungsrecht beziehungsweise Planungshoheit der Kommune betreiben zu wollen."

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: