Demokratieprojekt:Unter einem gemeinsamen Dach

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Ein Bürgerrat entwickelt Ideen, um das Quartier am Lerchenauer See zu einem besseren Wohnort machen. Es geht um Boule-Felder und Spielplätze, aber auch um Treffpunkte für Frauen und Solidarität mit Senioren

Von Benjamin Stolz, Lerchenau

Die Rechnung des Demokratieprojekts "Schöner Leben 5.0 - Lerchenauer See für alle" ist an diesem Tag ganz simpel: Ein kreisrundes Zelt in der Mitte einer Wiese und ein Quadrat aus vier kleineren Pavillons sollen künftig eine bessere Lebensqualität in der Schwerpunktsiedlung am Lerchenauer See ergeben. Im freien Feld zwischen der Kapernaumkirche und typischen vier- bis fünfstöckigen Wohnhäusern befinden sich die Lerchenauer Bürger gerade in der wichtigsten Arbeitsphase ihres aktuellen Beteiligungsprojekts - dem gemeinsamen Austausch in einem "Bürgercafé". "Es ist schön hier, aber man hat das Gefühl, dass die Siedlung vielleicht vor 50 Jahren innovativ war", sagt Laura Stracke. Sie ist eine von 13 zufällig ausgewählten Anrainerinnen aus acht Nationen, die sich bereits im Oktober vergangenen Jahres zu einem zweiwöchigen Workshop getroffen haben, um als "Bürgerrat" über die Zukunft ihres Quartiers zu diskutieren.

"Der Bürgerrat basiert auf der Idee, Menschen einen Raum für Ideen zu geben und zu zeigen, wie man diese ins Leben bringt", erklärt Cordula Riener-Tiefenthaler vom Verein "Dynamic Facilitation", der diese Methode im politischen Alltagsdiskurs etablieren will. In einem solchen Rat beschäftigen sich kleine Gruppen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten. Für die Siedlung am Lerchenauer See einigte man sich in Absprache mit allen Beteiligten auf die Themen Unterstützung, Treffpunkte, Zukunftsgestaltung und Vermittlungsbüros. Wegen der Pandemie dauerte es Monate, bis die Teilnehmer ihre Ergebnisse endlich öffentlich bei einem gemeinsamen Termin vorstellen konnten.

Coronakonform hat das Quartiermanagement der Diakonie Hasenbergl zu gegebenen Anlass vier weit auseinander stehende Zeltpavillons errichtet. (Foto: Florian Peljak)

Coronakonform hat das Quartiermanagement der Diakonie Hasenbergl zu diesem Zweck vier weit auseinander stehende Zeltpavillons errichtet, vor denen Luftballons in unterschiedlichen Farben die einzelnen Stationen markieren. Das bunte Zelt in der Mitte entspricht einer Anlaufstelle, in der auch andere Bürger ihre Meinung kundtun können. Dort konkretisieren sich bis zum Ende des Tages Forderungen, die schließlich an politische Gremien weitergereicht werden.

Im Pavillon gleich links vom Eingang des Geländes steht Himmet Uslu hinter einem Biertisch. Der Rentner hat sich für sein Viertel drei Dinge auf einem Block notiert. Ein öffentliches Bücherregal zum Büchertauschen, einen Schachplatz und eine ebene Fläche, auf der man gut Boule spielen kann. Seine Workshop-Kollegin Ferdane Alidemi fordert mehr Solidarität mit alten Menschen. Alidemi ist seit neun Jahren Seniorenbetreuerin. "Gerade in diesen Zeiten müssen wir den älteren Leuten zum Beispiel beim Einkaufen helfen", sagt sie.

Wie wird ein Viertel lebendig? Dazu haben sich die Lerchenauer zusammen mit den Quartiersmanagerinnen Selen Schaeffer (links) und Sarah Ehrenstein (rechts) sowie Cordula Riener-Tiefenthaler Gedanken gemacht. (Foto: Florian Peljak)

Mit der Frage, wie man konkrete Bedürfnisse im Viertel auch in die Tat umsetzt, haben sich Paris Landuris und Ioannis Keramitzis im grünen Zelt gegenüber beschäftigt. Gute Ideen sind Keramitzis zwar wichtig, doch: "Wir brauchen vor allem Leute, die sagen, wir schießen euch zum Mars." Ginge es nach Keramitzis und Landuris, dann sollten die Quartiersanrainer künftig mit einem konkreten Problem in ein Vermittlungsbüro kommen und nach einer Beratungsstunde mit dem Kontakt einer passenden Ansprechperson wieder gehen dürfen. "Dieses Angebot muss niederschwellig sein", sagt Landuris.

Laura Stracke und Marion Fischer haben sich über die gestalterische Zukunft in ihrem Viertel Gedanken gemacht. "Es gibt hier nicht viele Freizeitmöglichkeiten für Kinder", findet Stracke. Oft müsse man bis ins Hasenbergl oder nach Moosach, damit auch die Kleinen auf ihre Kosten kämen. Fischer wünscht sich vor allem eine "lebendige Community". Rings um das Plakat der beiden hängen bereits Bilder-Vorschläge für Spielplätze oder eine Fitness-Anlage am Ufer des Lerchenauer Sees.

"Der Bürgerrat basiert auf der Idee, Menschen einen Raum für Ideen zu geben und zu zeigen, wie man diese ins Leben bringt", erklärt Cordula Riener-Tiefenthaler vom Verein "Dynamic Facilitation". (Foto: Florian Peljak)

"Insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund suchen nach Treffpunkten", urteilt Jyoti Joshi über ihren Workshop-Auftrag. Im Treff Lerchenau hält die gebürtige Inderin heute Englisch- und Yogakurse. Für sie gibt es trotzdem noch zu wenige gemeinsame Aktivitäten im Viertel: "Heute sammeln wir noch Ideen."

Als die ersten Vorschläge im runden Zelt diskutiert werden, beteiligen sich Bürgerräte und Anwohner. "Hier in der Schwerpunktsiedlung gibt es einen größeren Förderbedarf", sagt Sarah Ehrenstein, die im Auftrag der Diakonie Hasenbergl zusammen mit ihrer Kollegin Selen Schaeffer als Quartiersmanagerin tätig ist. Ihre durch die Fernsehlotterie finanzierten Stellen sollen das Leben in der Lerchenau langfristig aufwerten. Mittlerweile stehen die Anwohner selbst dafür ein, dass ihr Viertel lebendiger und attraktiver wird. So hat im Zelt noch einmal Ferdane Alidemi das Wort. "Wenn wir zusammenhalten, dann kann uns nichts Schlechtes passieren", beschließt sie ihre Projektvorstellung. Sie bekommt Applaus - auch von den anwesenden Bezirksausschussmitgliedern. Bald liegt es in ihren Händen, die Wünsche der Lerchenauer in die Tat umzusetzen.

© SZ vom 15.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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