Das ist schön:Endlich wieder wichtig

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Die Theater blühen wieder auf - und mit ihnen die Kritiker

Von Karl Forster

Es war ein sehr munterer Beitrag neulich in den ARD-Tagesthemen. Wie die Israel-Korrespondentin Susanne Glass voller Begeisterung davon berichtete, dass ihr der Kellner beim ersten Post-Corona-Tanzabend in der Kneipe das Bier über die Schulter geschüttet und diesen Fauxpas mit den Worten begründet habe, er sei halt nach eineinhalb Jahren Lockdown aus der Übung mit dem Service. Das ist sehr nachvollziehbar. Und der Kellner aus Tel Aviv ist nicht allein mit seinem Defizit bezüglich der trinkkulturell so wichtigen Disziplin.

Zwar ist es nicht so, dass es in diesen eineinhalb Jahren der kulturellen Austrocknung nichts gegeben hätte, was ein spezielles Können in kulturell relevanten Disziplinen jenseits des Bierausschanks verlangte. Aber es ist halt was anderes, vor einer Videokamera "Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche" streamend zu flöten als vor Publikum drunten im Parkett. Und es ist, Blick auf die andere Seite, für den Rezensenten etwas anderes, die schauspielerische Intensität des flehenden Romeos bei der Balz auf dem kleinen Bildschirm zu würdigen als in Reihe drei eines echten Theaters.

Und so müssen jetzt, da es wieder losgeht mit dem lang ersehnten Live-Erlebnis, beide aufs Neue üben. Der den Romeo gebende Schauspieler, der nun endlich wieder das Husten des Publikums genießen darf, und der Kritiker, der den stumpfen Bleistift, mit dem er Romeos Werben und Sterben gnädig als für einen Live-Stream gar nicht so übel befunden hat, nun wieder tauschen soll gegen die spitze Feder. Und er wird nachforschen müssen in seinem Hinterstübchen, wohin sich all seine Lieblingsmetaphern und die seine überragende Blitzgescheitheit verratenden Lieblingsfremdwörter verzogen haben. Doch wetten dass? Er findet sie alle wieder, die Idiosynkrasie, die Mediokrität, den Eskapismus der Virilität in der Postmoderne. Vom Narrativ als Flucht in den Existenzialismus ganz zu schweigen.

Doch Romeo & Co haben eine, wenn auch wohl zeitlich nur begrenzte, Chance im Kampf um die Gunst der gefürchteten Rezensentenriege: Sie besteht in deren Lust an sich selbst. Kritiker würden das natürlich nie zugeben, und wenn, dann nannten sie es Selbstreferenzialität. Sie werden sich im Wohlgefühl des Wiederdaseins im Parkett, des Wiederwichtigseins bei der Premierenfeier wortgewaltig ausbreiten; werden räsonieren, wie böse die Zeit war, die ihnen das strenge Wort verbot; werden dem Leser mitteilen, wie gut ihr Hintern wieder auf diesen vermaledeit unbequemen Stuhl im Theater passt; welch Wohltat es ist, die feuchte Aussprache des Schauspielers vorne an der Rampe regengleich im Gesicht zu spüren. Erst dann, lange danach, kommt die Würdigung von dessen dramatischer Leistung, natürlich unter Einbeziehung des Fremdwörterlexikons.

Aber vielleicht kommt ja alles anders. Vielleicht kommt der Rezensent, die Rezensentin (neudeutsch: das Rezensierende) auf die Idee, dass es der Kultur im Allgemeinen und Romeo und Julia im Besonderen gut täte, würde man deren Nachbetrachtung so gut verstehen, dass die Lust im Leser wächst, sich ein Ticket für die nächste Vorstellung zu besorgen. Ja, das wäre wirklich schön.

© SZ vom 05.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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