Das ist nicht schön:Unerbittlich fantasielos

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Ein hässliches Wort dominiert seit Langem die Kulturszene

Von Karl Forster

Es ist ein sehr eindeutiges, keinen Widerspruch duldendes Wort. Rein klanglich betrachtet, hat es, wie im Deutschen üblich, außerordentlich viele Konsonanten. Drei Vokalen stehen acht mächtige Mitlaute gegenüber, respektive werden von ihnen eingepfercht, vorne von einem kurzen, prägnanten "g", am Ende von einem ins Endlose dehnbaren "n", was der Bedeutung des Wortes bezüglich solcher Endlosigkeit leider eine deprimierend treffende Referenz erweist. Die Rede ist von "geschlossen", diesem derzeit vor allem im Zusammenhang mit kulturellen Institutionen gebräuchlichen Adjektiv. Es ist eine typisch deutsche Unerbittlichkeit, die dieses Wort ausstrahlt, eine Härte, die in seiner Kurzform "zu" auch noch jegliche Verbindlichkeit vermissen lässt. Kurz: Es ist ein sehr unangenehmes Wort.

In anderen Sprachen wirkt "geschlossen" wenigsten ein bisschen versöhnlicher. Das französische "fermé" beispielsweise klingt doch nach "ein bisschen was geht immer", im sanften "chiuso" der Ariensprache Italienisch keimt die Hoffnung, es könnte bald wieder "geöffnet" auf dem Schild stehen; das "kleistó" im lärmigen Griechischen kann auch heißen: "Ich mach' ja gleich morgen wieder auf."; und schwingt bei "imefungwa" in Suaheli nicht auch die savannenhafte Weite Ostafrikas mit. Einzig dem russischen "zakryto" könnte man einen Bezug zu dem ebenfalls dreisilbigen Wort "geschlossen" andichten, klingt das doch, zumindest im Bairischen, nach "Zakrament! Scho wieda zua!"

Es sind ja nun in den letzten zwölf Monaten nahezu sämtliche Variationen rund um das Wort "geschlossen" durchdekliniert worden, wobei sich zeigte, dass es vor allem bei im weitesten Sinn kulturellen Institutionen und Ereignissen benutzt wurde. Dass bei solchen Anwendungsbeschlüssen die Logik meist auf verlorenem Posten stand und steht, wirft ein eindeutiges Bild auf die Relevanz des Begriffs Kultur in den Köpfen jener, die dieses "geschlossen!" befehlen.

Man denke nur an die Corona-Gefahren-Diskrepanz zwischen dem spärlich lustigen und abstandstechnisch mehr als fragwürdigen Münchner Event "Sommer in der Stadt" auf der einen Seite und einem trotz perfekten Hygienekonzepts seit Monaten zugesperrten Opernhaus (wahlweise Theater, Kleinkunstbühne, Kino und so weiter) auf der anderen. Als sei das Kettenkarussell am Olympiaberg ein Ersatz für den "Freischütz" in der Oper, einen Zimmerschied-Abend in der Lach & Schieß oder den Bären-Gewinner der jüngsten Berlinale. Über eine Wiederholung des städtischen Corona-Gaudi-Sommers wird heftig nachgedacht. Letztendlich zeigt die fatal häufige Verwendung des Wortes "geschlossen" für kulturelle Ereignisse doch nur die grandiose Unfähigkeit jener, die es aussprechen, Zustände in Relation zu ihrer Bedeutung zu setzen - für die Menschen, für das Leben. Das ist nicht nur nicht schön. Es macht traurig.

© SZ vom 27.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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