Das Geschäft mit der Wiesn:Die Monster-Kirmes

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"Herzi Dirndl" und ein Klodeckel mit Wiesndekolleté-Verzierung: Jahr für Jahr wollen Nutznießer am lukrativen Bavarian Business im Spätsommer teilhaben - doch inzwischen gibt es kein Halten mehr.

Anne Goebel

Natürlich gibt es wunderbare Texte über die Wiesn, die Dichter immer inspiriert hat. Literarische Verbeugungen vor dem großen Rausch. Aber solche Hommagen an den Übergangsbezirk für saturnalische Ausnahmezustände zwischen Bavaria und Lindwurmstraße haben nie darüber hinwegtäuschen können, dass an den Trassen der Theresienwiese von heute an wieder der große Reibach gemacht wird. Die Autoren haben das auch nicht verschwiegen: die Geschäftemacherei im "Massenbetrieb" der "Monstre-Kirmes" (Thomas Mann) kommt fast immer zur Sprache. Es ist eben ein Geben und Nehmen: Das Oktoberfest ist die Bühne, sorgt für Musik, Staffage, Effekte. Die Besucher ihrerseits bezahlen dafür, sich ein paar Stunden lang inszenieren zu lassen.

Insofern ist klar, dass Jahr für Jahr mehr Nutznießer teilhaben wollen am lukrativen Bavarian Business im Spätsommer - aber es gibt doch jedes Mal den Moment, in dem man sich die Augen reibt: Soviel Wiesnbohei war noch nie, oder? In diesem Jahr blökten Aufrufe zum "Wiesn-Warmup" seit Beginn der großen Ferien von Rautenplakaten. Schaufenster werden mit Zuckerherzen und Brezn regelrecht zugehängt, letztere sind von der Sonne manchmal in erbärmliches Kamillenteegelb ausgebleicht - wobei es schon interessant ist, dass vor allem Apotheken und Fahrschulen ihre Auslagen mit Hingabe auf "Oans, zwoa, g'suffa" zu trimmen scheinen.

Im Grunde franst die Wiesn aus, ist ab Ende August überall Achterbahn in der Stadt. Keine Club-Night mehr ohne hippe Schürzenträgerinnen, in gewissen Biergärten gehen zum Lacostepolo eigentlich nur noch Lederhosen, und in einem Kaufhaus beim Stachus zirpt die ganze zweite Etage ("Lauschen Sie bayerischer Zithermusik im Trachtenplatzl!").

Da greift eins ins andere, das läuft wieder alles so geölt in diesem Jahr, dass eine große Münchner Werbeagentur einlädt zu einer Tagung über die fein verästelten Marketingstrategien des größten Volksfestes der Welt. Thema: "Die Kommunikations-Maschine Oktoberfest."

Was die Be- und Verkleidung betrifft, so gibt es kein Halten mehr. Die Marken heißen "Alpenflüstern", "Herzi Dirndl" oder "Trachtenbrummsel". Der Irrwitz 2011: karierte Hüllen für iPhones, Filzanstecker für die Schuhe ("Pimp your shoes") und ein verstörend bedruckter Kinderwagen in Wiesn-Edition - Kitz und Kitsch total, sogar ein Klodeckel mit Wiesndekolleté-Verzierung ist neuerdings erhältlich, eine Firma aus Appenweier im Schwarzwald hofft auf einträgliche Geschäfte.

Man muss die Wiesn wohl einfach als surreale Sause betrachten, der die Grenzen zwischen echt und gefälscht zusehends entgleiten. Staunen gehört dazu, schon immer. "Am schönsten war das Oktoberfest", schrieb Ernst Hoferichter, "wenn ich ganz allein durch die Schaubuden lief und mich über das Verzaubern wundern konnte."

© SZ vom 17.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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:Von Tatwaffen und Designobjekten

Bei der Wiesn geht es, abgesehen von Nebensächlichkeiten wie Fahrgeschäften, Musik oder Souvenirs, vor allem um eines: ums Bier. Auswärtige staunen noch immer über die Größe der Gläser. Dabei ist ein Maßkrug viel mehr als nur ein Behältnis für Bier - im Guten wie im Schlechten. Eine Typologie.

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