Typologie des Maßkrugs:Von Tatwaffen und Designobjekten

Bei der Wiesn geht es, abgesehen von Nebensächlichkeiten wie Fahrgeschäften, Musik oder Souvenirs, vor allem um eines: ums Bier. Auswärtige staunen noch immer über die Größe der Gläser. Dabei ist ein Maßkrug viel mehr als nur ein Behältnis für Bier - im Guten wie im Schlechten. Eine Typologie.

Astrid Becker und Christina Warta

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(Foto: dpa)

Punkt 12 Uhr wird Münchens Oberbürgermeister Christian Ude am Samstag im Schottenhamel-Zelt die erste Maß Bier zapfen. Dann geht es gut zwei Wochen lang - abgesehen von Nebensächlichkeiten wie Fahrgeschäften, Musik oder Souvenirs - auf der Theresienwiese vor allem um eines: ums Bier, natürlich aus dem Maßkrug. Gäste von auswärts zeigen sich noch heute immer wieder erstaunt ob der schieren Größe der Gläser, aus denen hierzulande getrunken wird. Und so mancher unterschätzt denn auch die Wirkung einer allzuschnell heruntergestürzten Maß. Einige Beispiele zeigen aber, dass ein Maßkrug mehr sein kann als nur ein Behältnis für Bier - im Guten wie im Schlechten. Eine Typologie. Der Maßkrug als Diebesgut Es ist eine andere Art des Sammelns von Maßkrügen, allerdings keine legale: der Maßkrugdiebstahl. Noch 1975 wurden pro Jahr rund 250.000 Maßkrüge auf der Wiesn geklaut. Doch seit in jedem Festzelt Ordner über die Besucher wachen, wird der Maßkrugdiebstahl meist am Ausgang vereitelt. 2010 wurden Gästen 130.000 Maßkrüge abgenommen, nur wenige dürften das sperrige Trinkgefäß erfolgreich von der Theresienwiese schmuggeln. Der Maßkrugdiebstahl habe mittlerweile nur mehr fünf bis zehn Prozent Anteil am gesamten Maßkrugschwund, sagt Wirtesprecher Toni Roiderer. "Der Rest wird z'ammgehauen", sagt er - von Gästen, aber auch von Schankkellnern, die im Akkord die Krüge füllen müssen. Der Maßkrugdieb ist kein Einheimischer. "Die nehmen einen Krug höchstens dann mit, wenn er noch nicht leergetrunken ist", sagt Polizeisprecher Gottfried Schlicht. Touristen dagegen sind stark auf eine Wiesn-Trophäe mit Augustiner- oder Hofbräu-Wappen aus. Ob der Maßkrugdieb alkoholisiert ist? "Ja, natürlich", sagt Schlicht. Wer erwischt wird und keinen festen Wohnsitz in Deutschland hat, muss eine Sicherheitsleistung von 50 Euro plus Gebühren zahlen - obwohl der juristische Wert des Bierkrugs lediglich auf fünf Euro festgesetzt wurde. "Die Vereinigung der Festwirte stellt vor jeder Wiesn einen generellen Strafantrag wegen Diebstahls geringwertiger Sachen", erklärt Schlicht. Andernfalls müsste bei jedem gestohlenen Bierkrug ein eigener Antrag auf Strafverfolgung gestellt werden. Noch eine Besonderheit beim Maßkrugdiebstahl: "Der Bierkrug ist nicht sicherzustellen, sondern der Brauerei zurückzugeben", sagt Schlicht. "Sonst wüssten Polizei und Staatsanwaltschaft nicht mehr, wohin mit all den Krügen." Christina Warta

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(Foto: AP)

Der Maßkrug als Sammelobjekt Mittlerweile hat die Zahl der Maßkrüge, die alljährlich als Sondereditionen herausgegeben werden, nahezu eine inflationäre Entwicklung angenommen: Da gibt es den offiziellen Wiesnkrug der Stadt, da gibt es den gemeinsamen Krug der großen Wiesnwirte, neuerdings sogar einen eigenen Krug der kleinen Wiesnwirte, und da gibt es noch einzelne Wirte, die eigene Krüge für ihr Festzelt auflegen. Gemein ist diesen Krügen nur eines: Sie bestehen aus Stein und dürfen deshalb auf dem normalen Oktoberfest nicht eingesetzt werden. Nach den Regularien der Veranstalterin, der Stadt, darf Bier dort nur in Glaskrügen ausgeschenkt werden - mit Ausnahme der Oidn Wiesn, wo die Steinkrüge sogar Pflicht sind. Trotzdem sind die Souvenirkrüge begehrte Sammlerobjekte: Für einen kompletten Satz aller offiziellen Krüge der Stadt - die grundsätzlich immer mit dem jeweiligen Oktoberfestplakat verziert werden - zahlen Liebhaber bis zu 2200 Euro. Allein der erste dieser Art, 1978 vom damaligen Wiesnwirtesprecher Richard Süßmeier initiiert, erzielt derzeit Preise von etwa 600 Euro. Den gemeinsamen Krug der großen Wiesnwirte gibt es hingegen erst seit 2002 - seit Toni Roiderer das Amt des Wirtesprechers übernommen hatte. Dass einzelne Wirte trotzdem noch Zeltkrüge anbieten, hat hingegen tatsächlich Tradition: Sie reicht mittlerweile mindestens 100 Jahre zurück. Astrid Becker

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(Foto: Stephan Rumpf)

Der Maßkrug als Designobjekt Florian Hufnagl, Direktor der Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne, spricht über das Design des Glasmaßkrugs auf dem Oktoberfest. Ist das Design des Krugs gelungen? Der klassische Maßkrug aus Glas ist zunächst ein Gegenstand der Tradition und nicht unbedingt des Designs. Aber es gibt auch moderne Bierkrüge, und da sind es gerade die bayerischen Glashersteller wie Theresienthal oder Poschinger, die sich diesem Thema widmen. Ziel ist ja, dass das Bier möglichst frisch und klar ausschaut. Insofern gibt es einen Wandel in der Tradition, und wenn das mit Gestaltung zu tun hat, nennt man das heutzutage Design. Das heißt aber, dass der klassische Maßkrug mit den kreisförmigen Vertiefungen... Die müssen gar nicht immer kreisförmig sein. Schon beim klassischen Bierkrug, der den Keferloher abgelöst hat, gab's auch Quadrate mit Rundungen drin. Und es gibt auch längsgerippte Krüge mit vier Eckpfeilern oder Verstärkungen an der Seite. Auch auf der Wiesn sind nicht alle Maßkrüge gleich. Aber sie sind alle rund. Aber die Verzierungen an den Wandungen sind unterschiedlich. Und wenn nicht, dann kommt es daher, dass es einen großen Hersteller gibt, bei dem die Brauereien alle kaufen. Ist der Maßkrug also ein Designobjekt oder nicht? Na ja, er ist ein gestaltetes Traditionsobjekt. Das Design steht beim Maßkrug an zweiter Stelle. An erster Stelle steht der Inhalt. Interview: Christina Warta

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(Foto: N/A)

Der Maßkrug als Kulturgut Die ersten Maßkrüge auf dem Oktoberfest waren schmucklos, grau und ziemlich wuchtig. Denn in der Anfangszeit der Wiesn wurde das Bier nicht in Glaskrügen, sondern in sogenannten "Steinzeugkrügen" kredenzt. Wer nun meint, es handele sich dabei um Keferloher, der irrt: Echte Exemplare dieser Gattung sind nicht grau, sondern farbig lasiert. Die ersten Wiesnkrüge verfügten auch nicht über eine Verzierung oder Emblem - und auch nicht über einen Eichstrich bei einem Liter. Nach einem Beschluss von 1809 galt in Bayern zunächst das bayerische Maß als Hohlmaß, was exakt 1069 Millimeter Flüssigkeit entspricht. Erst mit der Reichsgründung von 1871 wurden die damals in den Ländern geltenden, unterschiedlichen Maßeinheiten vereinheitlicht und das metrische System eingeführt. Erst seither versteht man unter einer Maß einen Liter Bier. Der Steinkrug wurde bis 1875 auf der Wiesn eingesetzt; mit dem Schriftzug der Brauereien versehen wurden die Krüge nach 1880. Glaskrüge gibt es auf dem Oktoberfest erst seit 1955 - laut Bier- und Oktoberfestmuseum, um damit dem Gast die Möglichkeit zu geben, die eingeschenkte Biermenge zu kontrollieren. Kenner vermuten allerdings mehr hygienische Gründe hinter dem Wechsel. Weil es noch keine Spülmaschinen gab, blieb auf den Steinkrügen gern ein brauner Rand vom Bier zurück. Astrid Becker

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(Foto: DPA)

Der Maßkrug als Tatwaffe Ein Maßkrug ist eine gefährliche Waffe. Immer wieder geraten Wiesnbesucher aneinander, die im Rausch mit dem Bierkrug zuschlagen. 2010 gab es 62 Maßkrugschlägereien, 2009 waren es 43, in den Jahren davor jeweils rund 60 Prügeleien. Richterin Ingrid Kaps vom Amtsgericht sagt: "Nach jeder Wiesn kommt auf uns eine Welle von Prozessen zu." Weil die Maßkrugschlägereien immer brutaler werden, stuft die Justiz sie seit einigen Jahren nicht mehr ausschließlich als gefährliche Körperverletzung ein, sondern hin und wieder als versuchtes Tötungsdelikt - etwa, wenn der Täter mit dem Maßkrug in Richtung des Kopfs seines Kontrahenten zielt. 2005 verurteilte das Münchner Schwurgericht erstmals einen Wiesn-Schläger wegen versuchten Mordes zu zwölf Jahren Haft. Am Institut für Rechtsmedizin der LMU München hat der Biomechaniker Jiri Adamec mit Kollegen in zwei Studien den Maßkrug erforscht, die Ergebnisse bilden die Grundlage für Gerichtsgutachten. "Neue Krüge sind fest, gebrauchte haben Mikroschäden und zerbrechen eher", hat Adamec festgestellt. Das 1,3 Kilogramm schwere Gefäß kann mit einer Ausholbewegung auf zehn Meter pro Sekunde beschleunigt werden, beim Auftreffen auf der Schädeldecke ist die Geschwindigkeit damit höher als bei einem Faustschlag. "Wenn der Krug zerbricht, sind Schnittverletzungen möglich. Wenn er nicht zerbricht, ist die Wucht des Schlages besonders groß", sagt Adamec. "Die einzige Möglichkeit, dass bei einer Maßkrugschlägerei nichts passiert, ist deshalb: nicht zuschlagen." Dass bislang noch niemand gestorben ist, hat für den Wissenschaftler vor allem einen Grund: "Die meisten Täter haben zwischen zwei und drei Promille." Sie schlügen zwar oft mit Wucht zu, würden aber meist kaum mehr zielen können. Christina Warta

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(Foto: Catherina Hess)

Der Maßkrug als Glasprodukt Am Mittwoch wurden die letzten Maßkrüge geliefert, rund 15.000 Stück braucht jedes Bierzelt für den Wiesn-Auftakt. "Es wäre eine mittlere Katastrophe, wenn keine Maßkrüge da wären", sagt Peter Gensthaler, Geschäftsführer von "Franz Herb". Die Puchheimer Firma verziert für einige Brauereien Maßkrugrohlinge mit dem entsprechenden Wappen. Bereits früh im Jahr wird mit der Produktion der Maßkrüge begonnen - und zwar in Österreich. Im Pressblasverfahren wird der 1,3 Kilogramm schwere Ein-Liter-Kugelseidel produziert. "Nur diese Firma liefert die richtige Qualität für den besonders harten Einsatz auf der Wiesn", sagt Gensthaler. Schlagfestigkeit und Temperaturwechselbeständigkeit würden anschließend von einem unabhängigen Institut geprüft. "Eine Reklamation gab es noch nie", sagt er stolz. Dann werden die Rohlinge in Puchheim bedruckt - 25.000 Stück pro Tag. Wie viele Krüge insgesamt geliefert werden, darf Gensthaler nicht verraten. Doch der Verschleiß ist mit den Jahren gestiegen. Im Hackerzelt etwa werden pro Wiesn zwischen 40.000 und 50.000 Maßkrüge benötigt, erklärt Festzeltchef Toni Roiderer. "Als ich angefangen habe, waren es nur 12.000." Übrigens: Eine Sollbruchstelle, wie oft kolportiert, haben die Krüge nicht. Die Kerbe, die früher am Henkel zu finden war, diente der Befestigung eines Deckels. Christina Warta

© SZ vpm 16.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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