Wohnen:Fades Produkt, tolles Etikett

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Warum gewöhnliche Häuser als "Palais" beworben werden

Von Gregor Schiegl, Dachau

Würden Sie nicht auch gerne in der "Residenz in den Amperauen" wohnen? Wie sich das schon anhört, sofort steigen vor dem inneren Auge Bilder eines Barockbaus auf, eingebettet in eine Parklandschaft mit alten Bäumen und weiten Wiesen, durch die lieblich die Amper im Sonnenschein mäandert; man möchte sofort sein Pferd satteln und zur Jagd ausreiten. Der Autor dieser Zeilen hat das Privileg, in diesem fabelhaften Anwesen zu wohnen, nein zu residieren! Doch ehe der Sozialneid aufflammt: Es handelt sich um ein Mehrfamilienhaus aus den frühen Neunzigerjahren in blassem Limoncellogelb mit doppelt verglasten Plastikfenstern und Tiefgarage. In dem Haus lebt es sich tatsächlich ganz angenehm, es gibt sogar Parkettboden und ein bisschen Grün drumherum, aber so feudal wie es klingt, ist es bei weitem nicht: kein Stuck, kein Marmor, keine schmucken Vestibüle. Die Amper ist nahe, aber sehen kann man sie nicht.

Längst gibt es Werbeagenturen, die sich auf Immobilien-Promotion und Immobilien-Marketing spezialisiert haben. Sie verdienen ihr Geld damit, Gebrauchsarchitektur von der Stange sprachlich zu veredeln zu exklusiven "Residenzen", "Höfen" oder "Gärten", auch wenn der Garten im Zweifelsfall ein einsamer, mickriger Kirschlorbeerstrauch ist und die Residenz ein schnödes Mehrfamilienhaus. Was der Unfug soll? Ein Anbieter für moderne Bauträgerpoesie erklärt es auf seiner Homepage so: "Die Identität Ihres Projektes in Form einer Marke zu präsentieren, setzt auf den gesellschaftlichen Trend hin zu einem ausgeprägten Markenbewusstsein und verschafft Ihrem Vorhaben ein unverwechselbares Gesicht nach außen. Lebt es sich doch viel schöner im 'Campo Rosato' als in der Rosenackerstrasse." Eben.

Die Wiener Professorin Anita Aigner, die mit ihren Studierenden das Thema Immobilien-Marketing erforscht, hat ihre Erkenntnisse dazu in einem Bericht der österreichischen Zeitung Der Standard jüngst so zusammengefasst: "Im Vordergrund steht nicht die kulturelle Identität, sondern der möglichst schnelle Kapitalumschlag. Ein hipper, moderner und Internationalität verströmender Name hilft dabei." Neu ist das nicht. Das Woolworth Building, das Chrysler Building und das Empire State Building in New York sind frühe Beispiele von Immobilien-Branding, Donald Trump hat dasselbe in mit seinem Trump Tower gemacht. Und im Landkreis Dachau wird auch längst gebrandet, was das Zeug hält, dafür braucht man keine Wolkenkratzer.

Das riesige Karlsfelder Neubaugebiet, das vor einigen Jahren westlich der Bahn hochgezogen wurde, wurde mit Blick auf die Zielgruppe gut betuchter Familien "Nido" getauft, was "Nest" bedeutet, aber im Italienischen eben bedeutend netter, hipper und sogar ein bisschen edel klingt. Sobald die Häuser einmal verkauft oder vermietet sind, gerät die Marketing-Poesie allerdings schnell wieder in Vergessenheit. Der Volksmund findet neue, treffendere Bezeichnungen, die diese Quartiere meist nie wieder los werden. Verdientermaßen.

© SZ vom 30.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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