Westerholzhausen/München:Zeitgenossenschaft

Lesezeit: 3 min

Kurator Michael Semff über Rudi Tröger

Die Galerie des Aktionshauses Karl&Faber in München mit Oberlicht und der Orientierung nach Norden schafft die Atmosphäre eines großzügigen Ateliers. Deshalb schwärmt Kurator Michael Semff, ehemals Direktor der Graphischen Sammlung von der Atmosphäre und den auch daraus sich ergebenden Spaß, eine wirklich gelungene Retrospektive mit Gemälden von Rudi Tröger zu gestalten. Dazu hat Semff die Chronologie aufgegeben, wie sie zu erwarten gewesen wäre und für solche Anlässe üblich ist. Aber Semff gelingt es - auch über eine für die Präsentation zeitgenössischer Kunst ungewöhnliche Petersburger Hängung - die Zeitlosigkeit von Trögers Werk zu verdeutlichen. Sie liegt in dessen grundlegenden künstlerischen Anliegen über die Jahrzehnte hinweg. Die Eröffnungsrede von Michael Semff, die auch ein Geburtstagsgruß zum 87. Geburtstag des Künstlers war, drucken wir in Auszügen ab. Rudi Tröger lebt in Westerholzhausen bei Markt Indersdorf.

Michael Semff erinnerte zunächst an die wenigen großen Tröger-Ausstellungen in der Stuckvilla 1988, in der Münchner Rathausgalerie 1994, der Staatlichen Graphischen Sammlung 1999 und im Dachauer Schloss der Volksbank Dachau 2014. Karl&Faber biete somit die umfassendste Schau in München seit Jahren.

"Die Biografie des 1929 im Oberfränkischen geborenen Malers ist bar jeder spektakulären äußeren Ereignisse. 1957 beendete er sein Studium an der Münchner Kunstakademie, das er zwanzigjährig als Schüler von Hans Gött und Erich Glette begonnen hatte. Zehn Jahre später wurde er selber an diesem Ort zum Professor berufen, wo er ein Vierteljahrhundert lang lehrte und aufgrund seiner undogmatischen Offenheit und Toleranz eine große Zahl unterschiedlichster Talente fördern und auf den Weg bringen konnte.

Rudi Tröger: "Badesee" (Bildausschnitt) aus dem Jahr 1992. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Hier bei Karl&Faber präsentieren wir Tröger durchaus retrospektiv mit einigen bedeutenden Bildern der 60er und 70er Jahre, aber es war bei weitem nicht unsere Intention, alle Facetten dieses reichen Werks zu berücksichtigen. In Anbetracht der Tatsache, dass Tröger trotz seines mittlerweile beachtlichen Alters noch Tag für Tag mit der gleichen Obsession und Hingabe arbeitet, alte Bilder überarbeitet und neue beginnt, war es mir ein Anliegen, die Auswahl mit einem starken Akzent auch bis in die unmittelbare Gegenwart auszuweiten. Das heißt: Dass viele Bilder, Porträts, Landschaften wie Stillleben überraschen dürften, weil sie hier erstmals gezeigt werden und in einer sehr ausgesprochenen Weise den späten Stil des Malers offenbaren.

Bis zum heutigen Tag gilt für die Arbeit Rudi Trögers, was er selber bereits vor 40 Jahren geäußert hat, dass es sein Anliegen sei, die "Summe eines Seherlebnisses" sichtbar zu machen. Schon in den Gemälden der frühen 60er Jahre sind die Bildräume vielschichtig-schwingend angelegt. Sie prägt eine gleichsam zeichnerische Agilität, ein skripturaler Duktus, ohne dass die Grenze zum Gegenstandlosen im Sinne des im Strom der Zeit liegenden Informel je überschritten worden wäre.

Kunsthistoriker Michael Semff aus München. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nie ist Tröger der Verführung durch seine Bildmittel erlegen, sondern er hat es vermocht, sie untrennbar an seine Vision zu binden. Wie er es selbst ausdrückte: "Zeichnen und Malen bedeutet für mich Realisieren von Empfindungen mit bildnerischen Mitteln. Empfinden ist Voraussetzung." Tröger gehört durchaus zu jener schon seit längerem rar gewordenen Spezies von Malern, die auf die poetische Verwandlung ihrer Sujets zielen. Metamorphose vollzieht sich hier einzig durch die Versenkung in den Akt der Realisierung, den nie voraussehbaren Prozess des Erarbeitens, den Tröger erklärtermaßen noch vor dem erzielten Resultat als essentiell erachtet. Folgerichtig scheint seine Form nie fertig zu sein, bzw. zu Ruhe oder Stillstand zu kommen. Von Anbeginn sah sich dieser Maler einem unstillbaren Drang ausgesetzt, Gefundenes zu überarbeiten, zu verändern und zu zerstören, um endlich wieder von neuem aufzubauen oder auch ganz zu verwerfen.

Tröger hat sich von allem Anfang die Themen des klassischen Tafelbilds zur Aufgabe gemacht. Die bildnerische Verfahrensweise aber, die Komplexität der Genese eines jeden Werks, die den in der Regel langwierigen schöpferischen Prozess meint, offenbaren Züge der Fragilität, der Unruhe und des Zweifels, welche die Kategorie des Scheiterns stets mit einschließen. In ihnen gründet Trögers Zeitgenossenschaft, das Signum von "Gegenwart-Sein" im späteren 20. und frühen 21. Jahrhundert, das im nur oberflächlichen Blick auf diese Bilder in ihrer vermeintlichen Entrücktheit, ihrer oft altmodisch scheinenden Idyllik, kurzum ihrer Außenseiterstellung allzu leicht verkannt zu werden droht."

Rudi Tröger bei Karl&Faber, Amiraplatz 3, Luitpoldblock München, Montag bis Freitag zehn bis 18 Uhr (089/22 18 65).

© SZ vom 15.10.2016 / we - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: