Vor dem Dachauer Amtsgericht:Frau ergaunert 262 Handtaschen

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In der Zustellbasis der Deutschen Post in Unterschleißheim warten Pakete auf ihren Empfänger - eine 30-Jährige hat viele bestellt, aber nicht bezahlt. (Foto: Lukas Barth)

Eine 30-Jährige bestellt online Handtaschen für insgesamt fast 60 000 Euro, bezahlt sie aber nicht. Die Frau ist geständig, ungeklärt ist aber noch die Rolle von zwei Paketboten, die jede bewusste Beteiligung an der Betrugsmasche leugnen.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Der Lederaccessoires-Hersteller Liebeskind präsentiert auf seinem Online-Shop eine riesige Auswahl an Damenhandtaschen: Die "Frame Satchel L" für 279 Euro beispielsweise hat einen Henkel und überzeugt laut Liebeskind mit einem "funktionellen Design" und viel Stauraum. Dagegen sei die stylishe "Hobo Bag" für knapp 150 etwas für Trendsetter. Hat sich der Käufer für ein Modell entschieden, kann er per Paypal, Kreditkarte, Sofortüberweisung oder auf Rechnung zahlen. Und nur zwei Werktage später klingelt der Postbote mit dem Paket. Was Online-Shopping heutzutage alles möglich macht.

Das hat sich wohl auch eine 30-Jährige gedacht, als sie zwischen April und Dezember 2015 bei Liebeskind insgesamt 262 Taschen im Gesamtwert von fast 60 000 Euro einzeln und auf Rechnung bestellte. Nur, bezahlt hat sie für die Ware nie. Um an Geld zu kommen, überlegte sie sich eine Methode: Sie erfand für die Bestellungen jeweils einen Fantasienamen und gab als Lieferadresse echte Adressen meistens in Dachau und Bergkirchen an. Sie verfolgte die Lieferung online, am Tag der Zustellung rief sie den DHL-Postboten an, der in diesem Bezirk auslieferte und den sie persönlich kannte. Sie vereinbarte mit ihm einen Treffpunkt, um die Liebeskind-Pakete zu übergeben. Oftmals lieferten die Boten mehrere Taschen am gleichen Tag. Im Scanner unterschrieb die 30-Jährige immer mit ihrem Namen.

Sie verkaufte die Taschen auf Ebay

Als der Paketzusteller den Auslieferungsbezirk wechselte, zog sie die Masche mit dessen Nachfolger durch. Die Taschen im Kaufpreis zwischen jeweils 150 und 320 Euro verkaufte sie anschließend meistens für rund 80 Euro auf Ebay hauptsächlich an zwei Frauen. Mehrere zehntausend Euro erbeutete sie dadurch.

Jetzt mussten sich die 30-Jährige und die zwei Paketzusteller, 58 und 60 Jahre alt, im Dachauer Schöffengericht wegen gewerbsmäßigen Betruges verantworten. Die Angeklagte räumte unter Tränen die Vorwürfe ein. Ihr sei die Sache über den Kopf gewachsen, sagte sie. "Ich wollte aufhören, aber ich konnte es nicht." Ihr damaliger Freund, mit dem sie zusammenlebte, habe sie unter Druck gesetzt. Er habe ihr verboten zu arbeiten. Gleichzeitig habe er verlangt, dass sie die Inneneinrichtung für das Haus kaufen müsse, "weil ich keine Miete zahlte". Mit dem Geld durch den illegalen Taschenhandel habe sie unter anderem Möbel, Schränke und Geschirr erworben. Ihr damaliger Freund hatte immer "die neuesten Sachen" wollen, wie sie dem Richter erklärte. Ein Psychologe diagnostizierte bei ihr eine "Selbstwertproblematik".

Der Betrug läuft wie am Fließband

Vor Gericht entlastete die gelernte Kauffrau ihre Mitangeklagten: "Die Postboten wussten nichts. Es tut mir leid, dass ich sie mit hineingezogen habe." Im Prozess stellte sich heraus, dass das Amtsgericht München sie bereits im Februar zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe wegen Betruges verurteilt hatte. Der Sachverhalt sei ähnlich gewesen, so Richter Lukas Neubeck. In dem aktuellen Fall lief der Betrug über mehrere Monate hinweg wie am Fließband, ohne dass DHL oder Liebeskind etwas auffiel.

Ein Sicherheitsmitarbeiter der Post, der als Zeuge auftrat, sagte, Liebeskind sei bis heute in dieser Angelegenheit untätig geblieben. Das Ganze kam Ende 2015 nur deshalb ans Licht, weil es einem Aushilfszusteller komisch erschien, die Pakete mit den Fantasienamen an die Frau auszuliefern. Er meldete die Sache seiner Vorgesetzten. Die schaltete wiederum den Sicherheitsmitarbeiter ein, der daraufhin die Adressdaten der Pakete auswertete und anschließend alle vorangegangenen Liebeskind-Lieferungen überprüfte.

"Es ging einfach weiter"

Dabei kam heraus, dass die Angeklagte bei den Bestellungen sich selbst mit ihrem richtigen Namen als Ersatzempfänger angegeben hatte. DHL stoppte die fragwürdigen Lieferungen im Landkreis Dachau. Daraufhin versuchte es die 30-Jährige an einem anderen Ort, diesmal in Riemerling bei Ottobrunn im Landkreis München. Das fiel der Post allerdings schnell auf, weshalb die Angeklagte zu einem anderen Paketdienst wechselte und nicht mehr bei Liebeskind, sondern bei Zalando und Engelhorn bestellte. "Es ging einfach weiter", sagt die Frau vor Gericht.

Ende April 2016 war Schluss. Die Polizei klingelte an der Tür der Angeklagten: Hausdurchsuchung. Die Beamten stellten bei der Razzia mehrere Handtaschen sicher. Ihr Freund beendete die Beziehung und warf die 30-Jährige aus dem Haus. Seitdem sei sie mehrmals zusammengebrochen und bis heute in psychologischer Behandlung, sagt sie.

Viele offene Fragen

An diesem ersten Prozesstag blieben vielen Fragen offen. Erstens: Wie genau waren die beiden Paketboten involviert? Beide bestritten, von der Betrugsmasche gewusst zu haben. Sie hätten sich von der Angeklagten jeweils die Beststellbestätigung zeigen lassen. Auf den Paketen sei als Ersatzempfänger der Name der Frau gestanden, so der 58-Jährige. Dass die 30-Jährige die Pakete selbst abholte, habe einen Vorteil für ihn gehabt. "Der Paketzusteller hat einen großen Feind, und das ist die Zeit." Durch das Prozedere habe er sich Zeit gespart. Der 60-Jährige, der den Bezirk vom 58-Jährigen übernahm, sagte, er habe sich das Vorgehen bei seinem Kollegen abgeschaut. Beide Boten müssen, wie sie sagten, an einem Tag 250 bis 300 Pakete ausfahren. Welche davon für die Angeklagte bestimmt gewesen seien, hätten sie erst gewusst, als diese ihnen die ID-Nummern telefonisch mitteilte.

Daran zweifelte der Sicherheitsmitarbeiter der Post, der die Scannerdaten auswertete und vor Gericht als Zeuge auftrat. Laut seinen Recherchen hätten die beiden Zusteller oftmals innerhalb weniger als einer Minute mehrere Pakete gescannt. Diese hätten also schon geordnet im Postauto liegen müssen, schlussfolgerte er. Der Zeuge verwies außerdem darauf, dass die Boten keine Pakete auf der Straße übergeben dürften. "Das ist Vorschrift."

Die zweite offene Frage: Laut Anklageschrift lassen sich nur ein Teil der 262 fraglichen Lieferungen den beiden angeklagten Paketzustellern zuordnen. "Es gibt eine große Anzahl von Fällen, wo man die Zusteller nicht feststellen kann", sagte Richter Lukas Neubeck. Eventuell müssten die Daten genauer durchforstet werden.

Und letztlich bleibt auch die Rolle des damaligen Lebensgefährten der 30-Jährigen fragwürdig. Hatte er sie wirklich bedrängt? Die Angeklagte sagte: "Er wusste es. Aber es war ihm egal."

Der Prozess dauert an.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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