Urteil des Schöffengerichts:"Perfides Vorgehen"

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Prozessakten liegen auf dem Tisch eines Gerichtssaals. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Ein 33-Jähriger nötigt mehrere sehr junge Mädchen zu sexuellen Handlungen per Video-Chat. Das Amtsgericht Dachau verurteilt ihn zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Um zu bekommen, was er will, erpresst der Erwachsene das minderjährige Mädchen. Er droht, er werde den Mitschnitt ihres letzten Videochats auf Facebook posten, wenn es sich weigere. Das Mädchen tut, was der Mann verlangt. Er zwingt sie zu sexuellen Handlungen. In einer Samstagnacht beginnt der Videoanruf auf Skype. Er dauert weniger als eine Minute. Täter ist ein 33-Jähriger aus dem Landkreis Dachau, der inzwischen in München bei seiner Mutter und seinem Bruder wohnt. Vorgeworfen wird ihm am Amtsgericht Dachau, Kinder mehrfach sexuell missbraucht zu haben. Er ging immer gleich vor, um seine Perversion auszuleben. Er kontaktierte sehr junge Mädchen auf Chatforen oder Facebook und brachte sie im Videochat auf Skype zu sexuellen Handlungen, während er zusah.

Er wusste, wie alt die Mädchen sind, weil sie es ihm in den Chats mitteilten. Eines ist zum Tatzeitpunkt zwölf Jahre alt, das andere über 14 und damit kein Kind mehr - im rechtlichen Sinne. Das Alter und die Personalien des dritten Opfers sind der Staatsanwaltschaft unbekannt. Es gibt nur Bilder, die ein junges Mädchen zeigen. Außerdem hat die Kriminalpolizei auf dem Laptop und Tablet des 33-Jährigen verbotenes kinder- und jugendpornografische Bilder und Videos gefunden.

Die Mädchen weigern sich erst, den Forderungen nachzukommen. Doch der Täter erpresst sie

Nun, mehr als drei Jahre nach den Taten, sitzt der Mann auf der Anklagebank des Schöffengerichtes am Amtsgericht Dachau. Anders als bei einem vorangegangenen Prozesstag im November gesteht er an diesem Montagvormittag alle Vorwürfe. Richter Daniel Dorner verurteilt ihn daraufhin unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie wegen Nötigung und Beschaffung kinder- und jugendpornografischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Dorner sagt in der Urteilsbegründung, der Angeklagte erwecke nicht den Eindruck, als hätte er sich so mit der Sache auseinandergesetzt, dass sich die Taten nicht wiederholen könnten. Bisher habe er sich schließlich noch nicht in eine Therapie begeben.

Im Moment der Urteilsverkündung zeigt der 33-Jährige erstmals, wie es in ihm aussehen könnte. Er legt die Hände auf sein Gesicht. Zuvor lässt er von seinem Anwalt ein Geständnis verlesen. Es tue ihm leid, er bereue, was er den Mädchen angetan habe. Er habe einen "Minderwertigkeitskomplex". Mehrere Beziehungen mit Frauen seien gescheitert. Den Mädchen sei er vermeintlich nahe gekommen. Er habe eine gewisse Machtposition ausüben können. Der 33-Jährige antwortet aber auch selbst auf Fragen des Richters, der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers eines Opfers. Manchmal verniedlicht er, was er getan hat. Einmal spricht er von "Blödsinn", als wäre das alles nur eine Spinnerei gewesen. Dorner sagt: "Mit Blödsinn hat das nichts zu tun." Es handle sich um ein "ganz perfides Vorgehen".

Auf Facebook, Snapchat und Skype gibt er sich als Jugendlicher aus. Etwa lädt er als Profilfoto das Bild irgendeines Jungen hoch, das er auf Google gefunden hat. Er macht seinen Opfern zuerst Komplimente. Er habe geschrieben, dass sie gut aussähen, sagt er vor Gericht. Gleichwohl merken alle Mädchen recht schnell, dass etwas nicht stimmt. Sie weigern sich, seinen Forderungen nachzukommen. Um sein Ziel zu erreichen, setzt er die Mädchen unter Druck.

Der Richter will vom Angeklagten wissen, ob er sich einmal gefragt habe, "was das bei den Mädels auslöst?"

Eines verliebt sich in die virtuelle Fake-Identität des Täters. Das nutzt der Mann aus und gibt sich über einen zweiten Account als ein Freund des vermeintlichen Verehrers aus. Er schreibt, er werde die Beziehung zerstören, wenn sie nicht tue, was er verlange. Auch die Zwölfjährige setzt er massiv unter Druck, damit sie mit ihm per Video chattet. Als sie abblockt, verschickt er ein Nacktbild von ihr an eine Facebook-Freundin. Diese konfrontiert die Zwölfjährige damit. Insgesamt kommt das Mädchen dreimal der Forderung des 33-Jährigen nach und lässt den Videochat zu.

Auch sein drittes Opfer zwingt er zu sexuellen Handlungen. Sie hätten sich gut unterhalten, sagt der Angeklagte. Als er zum ersten Mal mit dem Mädchen über Kamera chattet, ist es 13 Jahre alt. Er schneidet das Skype-Video mit und setzt es später als Druckmittel ein. Schließlich weigert sich das Mädchen, noch einmal mit ihm zu skypen. Er droht, das Video auf Facebook zu teilen. Die inzwischen 14-Jährige tut, was er verlangt. Sie schreibt ihm, dass er sie von nun an in Ruhe lassen solle und bekundet Selbstmordgedanken: "Ich werde von der Brücke springen." Was sie glücklicherweise nicht tut. Stattdessen geht sie zur Polizei.

Der Vater eines der Opfer hat rechtliche Schritte gegen den 33-Jährigen eingeleitet. Dessen Anwalt und Dorner wollen vom Angeklagten wissen, ob er sich einmal gefragt habe, "was das bei den Mädels auslöst?" Der 33-Jährige Angeklagte sagt, bei einem Mädchen habe ihn das beschäftigt, bei einem anderen habe er nicht darüber nachgedacht. "Der Kontakt war nicht so intensiv."

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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