Tödliche Schüsse am Amtsgericht Dachau:"Kriminelle Exzesse können wir nicht beherrschen"

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Nach den tödlichen Schüssen auf einen Staatsanwalt herrscht Fassungslosigkeit in Dachau. Amtsgerichtsdirektor Klaus Jürgen Sonnabend über die Stimmung in seinem Gericht, warum niemand die Tat vorhersehen konnte und wieso derartige Gewalttaten wohl niemals in den Griff zu bekommen sind.

Walter Gierlich

Rudolf U. stand am Mittwoch in Dachau vor Gericht - er soll Sozialabgaben nicht geleistet haben. Während der Urteilsverkündung zog er plötzlich eine Pistole, zielte zuerst auf den Richter Lukas N. und traf dann den Staatsanwalt Tilman T. tödlich. Nun äußert sich Amtsgerichtsdirektor Klaus Jürgen Sonnabend erstmals ausführlich dazu.

Klaus-Jürgen Sonnabend leitet das Amtsgericht in Dachau.  (Foto: Niels P. Joergensen)

SZ: Herr Sonnabend, gleich mal vorab: Wie geht es dem Richter Lukas N. und dem Protokollführer?

Klaus Jürgen Sonnabend: Die beiden sind äußerlich gefasst, man könnte aber sagen, vielleicht etwas überdreht und voller Trauer. Sie sind durch die aktuellen Ereignisse an einem Punkt angelangt, an dem sie das Ganze noch nicht richtig einschätzen können. Ihnen ist eine Versetzung innerhalb des Hauses oder nach München angeboten worden. Und selbstverständlich auch eine therapeutische Beratung.

SZ: Zum Geschehen selber: Der Angeklagte soll ja schon an den beiden vorherigen Verhandlungstagen als aggressiv aufgefallen sein. Hätte man bei ihm nicht eine Kontrolle anordnen müssen?

Sonnabend: Nach Hörensagen war die Situation so, dass diese Aggressivität sich im rein verbal-sachlichen Bereich bewegt hat, also nicht gegen Personen gerichtet war, in dem Sinne: "Was macht ihr mit mir?" Sondern es war eher eine kaufmännisch-sachliche Auseinandersetzung. Er bestand darauf, dass Kontounterlagen beigezogen und ausgewertet werden. Nur darin lagen die Auseinandersetzungen. Er ließ sich dann nach Zurechtweisungen wieder in die prozessuale Reihenfolge bringen.

SZ: Nach den Schüssen im Landgericht Landshut 2009 kündigte die Staatsregierung an, die Sicherheitsmaßnahmen an allen bayerischen Gerichten zu erhöhen. Was ist in Dachau konkret passiert?

Sonnabend: Das hat in formeller Hinsicht dazu geführt, dass ein Sicherungskonzept aufgestellt wurde, zuletzt erneuert im November 2010, bezogen auf alle drei Gebäude. Das ist ein Problem, dass wir drei Gebäude haben, nicht eine "Justizburg" oder ein konzentriertes Gebäude, wo wir nur einen Eingang zu sichern haben, sondern drei. Wir sind umgekehrt in der glücklichen Lage, dass wir eine große Nähe der Wachtmeister zum Sitzungssaal haben. Darauf basiert unser System, dass uniformierte Wachtmeister unmittelbar dort sind, wo sich die Leute aufhalten.

Es war auch im konkreten Fall so, dass die Wachtmeister zehn Meter vom Tatort entfernt waren und jedenfalls nachträglich helfen konnten. Es gehört auch dazu, dass die Wachtmeister visuell präsent sind, man sieht also immer uniformierte Wachtmeister um einen herumlaufen, und insoweit kommt da ein Abschreckungseffekt zum Tragen.

SZ: Aber die Wachtmeister sind ja in der Regel unbewaffnet.

Das Amtsgericht Dachau nach der Bluttat: Es herrscht Fassungslosigkeit in der Stadt. (Foto: dpa)

Sonnabend: Die Wachtmeister in kleinen Gerichten in Bayern sind sämtlich nicht bewaffnet - und das ist auch gut so bei der Nähe, in der Personen beieinanderstehen.

SZ: Wie viele Wachtmeister haben Sie denn am Amtsgericht Dachau?

Sonnabend: Es sind vier Wachtmeister.

SZ: Und die sind auf alle drei Gebäude verteilt?

Sonnabend: In der Vergangenheit war es ein atypischer Zustand, weil wir nur zwei Gebäude hatten. ( Das dritte Gebäude wurde in den vergangenen beiden Jahren renoviert, Anm. d. Red.) Da war in jedem Gebäude immer zumindest ein Wachtmeister zur Stelle.

SZ: Gibt es denn in Dachau - nach den Erfahrungen in Landshut - auch Metalldetektoren?

Sonnabend: Wir haben Detektorenkellen, mit denen Durchsuchungen gemacht werden können. Solche Durchsuchungen hat es sporadisch gegeben. Aber in der Regel kommt denen nur ein Abschreckungseffekt zu gegenüber Leuten, die häufiger präsent sind. Der konkrete Fall war da völlig atypisch, also da liegen keine Kausalitätsprobleme vor.

SZ: Würden Sie sich denn generell mehr Personal und mehr Sicherheitsgeräte wünschen für das Amtsgericht Dachau?

Sonnabend: Wie gesagt, wir haben die Problematik mit drei Gebäuden. Eine strikte Kontrolle, wie sie in München möglich wäre, dass nämlich rundum eine Überwachung stattfände - wie am Flughafen - , die würde erfordern, dass wir drei Frauen und sechs Männer bräuchten, um das Ganze bestreiten zu können. Das ist nicht drin.

SZ: Das ist also personell und finanziell nicht zu machen?

Sonnabend: Das ist im ganzen Lande nicht drin. Es ist ausgerechnet worden, man bräuchte 600 Wachtmeister, um ein perfektes Sicherheitssystem zu schaffen. Das ginge auf Kosten anderer Bereiche.

SZ: Justizministerin Beate Merk hat ja mehrfach gesagt, man wolle keine Trutzburgen. Jetzt gibt es aber einen Vorschlag der Deutschen Polizeigewerkschaft, die es schon als Gewinn an Sicherheit sehen würde, wenn man Taschen, Mäntel und Jacken am Eingang abgeben müsste, wie in jedem Museum auch. Könnten Sie sich so etwas vorstellen?

Sonnabend: Sie meinen also eine Garderobenlösung. Gut, die Tasche mag man abgeben, aber nehmen wir mal den konkreten Fall: Eine Handfeuerwaffe, die hat in die Innenhand gepasst und war bis 1972 völlig erlaubnisfrei. Mit anderen Worten, wer so extrem exzessiv vorgehen will, der hat die Waffe eh nicht in der Garderobe, sondern ganz woanders stecken. Also das Garderobensystem ist sicher Augenauswischerei.

SZ: Nächste Woche wollen Sie wieder in das renovierte Stammgebäude zurückkehren. Gelten denn dort höhere Sicherheitsstandards?

Sonnabend: Es ist bereits die Anschlussmöglichkeit für eine mobile Detektorenanlage vorgesehen, das ist der Bogen, der in Flughäfen verwendet wird und der bei Bedarf auch eingesetzt werden kann.

SZ: Aber mehr Personal kriegen Sie nicht?

Sonnabend: Das war nicht vorgesehen.

SZ: Wird das auch nach den aktuellen Geschehnissen nicht kommen?

Sonnabend: Es ist zweierlei zu beachten: Wir sind natürlich jetzt im Blickpunkt, und da gibt es verschiedene Probleme. Insofern gelten für eine Übergangszeit besondere Regelungen, aber wir können erwarten, dass wir im Alltag eine gesicherte Präsenz in drei Gebäuden haben. Es gibt kein Amtsgericht dieser Größenordnung, das drei Gebäude hat.

SZ: Wird es denn von Seiten der Justiz eine offizielle Trauerfeier für den ermordeten Staatsanwalt geben?

Sonnabend: Ein Termin steht noch nicht fest, auch nicht für die Beerdigung.

SZ: Wie geht es Ihnen denn persönlich? Werden Sie in Zukunft mit einem mulmigeren Gefühl in den Gerichtssaal gehen?

Sonnabend: Der konkrete Raum macht sicher enorm befangen. Ich habe 40 Jahre Tag für Tag in Sitzungssälen verbracht, und mir gelingt es deshalb, eine Gefahr als höchst unwahrscheinlich und mich nicht beeindruckend einzuschätzen. Ich habe aber selbstverständlich Respekt vor einigen, meist jüngeren Kollegen, die dies ein wenig anders sehen und die ich auffordere, sich die Freude am Beruf durch derart singuläre Vorgänge nicht nehmen zu lasen.

Allerdings bin ich der Verantwortliche hier und habe sehr wohl den Rahmen überdacht, in dem ich hier Verantwortung ausüben kann und ausüben muss. Ich sehe die Sache auf der einen Seite sehr positiv, dass ich sagen kann, wir haben die Sicherheit, auf die es im Alltag und eigentlich immer ankommt. Wir sind sehr sicher, es gibt keine Schlägerei, es hat sich hier noch nie jemand bei Auseinandersetzungen eine blutende Lippe geholt, es gibt keinerlei Ausschreitungen. Jeder Gast ist in einer Gastwirtschaft gefährdeter, jede Kassiererin in einem Supermarkt mag gefährdeter sein. Wir haben unsere Wachtmeister am Ort.

Die normale Sicherheit, die beherrschen wir. Derartige kriminelle Exzesse mit solcher Heimlichkeit können wir nicht beherrschen. Das überschreitet die Verantwortung, die man trägt.

SZ: Das ließe sich also nur mit einer Rundumabschottung wie im Landgericht München machen?

Sonnabend: Von 100 Gerichtsgebäuden in Bayern ist eine derartige absolute Sicherheit in dreien gewährleistet.

© SZ vom 14.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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