Theater:Der Preis des Neuanfangs

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Die Thoma-Gemeinde könnte mit ihrer Inszenierung von Ödön von Horváths Stück "Figaro lässt sich scheiden" einen mutigen Kommentar zum aktuellen Weltgeschehen abgeben. Doch anscheinend traut sie sich nicht so richtig

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Seit ihrer Uraufführung 1784 hat Pierre Augustin Caron de Beaumarchais' Komödie "Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro" (La folle journée ou le mariage de Figaro) jede Menge Adaptionen erlebt, in denen - anders als im Original - nicht unbedingt Figaro den Grafen und damit der Witz die Gewalt besiegt.

So ist Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Le nozze di Figaro" die abgründigste Oper überhaupt zum Thema Sex, (fast) ohne Crime. Peter Turrini verzichtet in seinem 1972 uraufgeführten Stück "Der tollste Tag" gleich ganz aufs Happy End. Ödön von Horváth ist Jahrzehnte vor Turrini viel radikaler: "Figaro lässt sich scheiden", heißt seine 1937 in Prag erstmals gezeigte Komödie. Nun hat sich die Ludwig-Thoma-Gemeinde unter der Regie von Wolfgang Möckl dieses Lehrstücks über die Auswirkungen von Revolution, Flucht, Anpassung und Idealen angenommen. Am Freitag war Premiere im Thoma-Haus.

So erzählt von Horváth die Geschichte vom tattrigen, gleichwohl lüsternen Grafen Almaviva (glaubhaft: Edi Hörl), von seiner namenlosen Gattin (eine den Ehemann betüttelnde Brigitte Fiedler), vom alerten Kammerdiener Figaro (ein längst dem Sinn für Unsinn entwachsener René Rastelli) und seiner von einer großen Familie träumenden, dem Grafenpaar treu ergebenen Ehefrau Susanne (eine manchmal naive, manchmal weise Angelika Mauersich): Die Revolution ist ausgebrochen. Welche, lässt von Horváth im Ungewissen. Graf und Gräfin nebst ihrem Dienerpaar fliehen ins Nachbarland. Bevor sie sich im neuen Leben mehr oder weniger einrichten können, steht ihnen die entwürdigende Prozedur von Grenzkontrollen und Aufenthaltserlaubnis bevor (fantastisch: Fini Kron als radikale Offizierin). Der Graf denkt nicht daran, auf seinen gewohnten Luxus zu verzichten. Steht der ihm doch qua Geburt zu, glaubt er. Seine Gräfin übt sich in milder Nachsicht, versucht ihrem Gatten den unaufhaltsamen finanziellen und sozialen Abstieg halbwegs erträglich zu machen, finanziert ihm mit ihrem letzten Geld seine Kaffeehaus- oder Was-auch-immer-Besuche.

Figaro ahnt, dass sein Arbeitgeber ihn mit in den Untergang ziehen könnte. Er kündigt mit Ehefrau Susanne den gräflichen Dienst auf und eröffnet ein Friseurgeschäft. Seiner Frau verspricht er, ihr endlich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Der Kammerdiener a. D. richtet sich ein. Er ist der geborene Geschäftsmann, immer adrett, immer alert, immer servil. Susanne kann und will so nicht leben, will sich nicht verbiegen, zumal keine Aussicht auf Schwangerschaft besteht. Scheidung, getrennte Wege, getrenntes Leben. In dem treffen sich die wackere Susanne und der heruntergekommene Graf erneut. Figaro trickst derweil seinen alten Rivalen Pedrillo (fantastisch und völlig in seiner Rolle aufgehend: Zoraiz Off) aus, nimmt dessen Stelle als Schlossverwalter ein. Und entdeckt, was ihm fehlt: seine Frau und Kinder.

Dieser Plot müsste eigentlich eine Steilvorlage für die Thoma-Gemeinde sein. Hat sie doch in den vergangenen Jahren immer wieder lustvoll und mutig heiße Eisen angepackt. Wie beispielsweise mit Herbert Achternbuschs "Plattling" und Rainer Werner Fassbinders "Bettleroper". Die Erwartungen waren also hoch, zumal die Themen Flucht, Abschottung und Integration derzeit niemanden kalt lassen. Doch warum auch immer: Am Premierenabend will der Funke zum Publikum nicht immer überspringen. Dabei hat Regisseur Möckl ein wahres Großaufgebot von Darstellern zur Verfügung: von bewährten, erfahrenen wie Hansi Kron und Gertrud Weber bis zu ganz jungen, mit Feuereifer spielenden wie Leander Möckl und Marius Gerling.

Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Premieren-Nervosität? Oder übergroßer Respekt vor den in ein luftiges Gewand gehüllten Fragen nach den persönlichen Konsequenzen, die sich aus großen Umwälzungen ergeben? Wie auch immer: Möckl in einer Doppelrolle als um Susanne werbender, gehemmter Forstbeamter und als schmieriger, pseudoerotisch agierender, gieriger Barbesitzer Cherubin sowie Zoraiz Off als in jeder Beziehung wilder Revolutionär mit Til-Schweiger-Gehabe sind die Idealbesetzung für den komödiantischen Teil dieser nachdenklich stimmenden Geschichte um den Preis, den Menschen für ihren sozialen Aufstieg, für ihr Arrangieren mit den Verhältnissen zu zahlen bereit sind. Oder eben nicht bereit sind.

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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