SZ-Serie: An der Amper:Gemächlich durchs Grün

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Wer sich treiben lässt von der Amper, hat länger etwas von der Fahrt. Wer dagegen fleißig paddelt, kommt nach anderthalb Stunden in Schöngeising an. (Foto: Günther Reger)

Mit dem Schlauchboot von Grafrath nach Schöngeising - dieses Erlebnis auf dem Fluss bietet Annette Irzinger an. Seit 17 Jahren führt sie den Bootsverleih, der bislang einzige, der Fahrten auf der Amper anbietet.

Von Sebastian Mayr, Grafrath

Die rot-gelb-schwarzen Schlauchboote drehen sich im Kreis. Das erste stößt zwei Mal gegen das Ufer und trudelt danach gegen einen Betonpfeiler der Amperbrücke. Das zweite Boot findet zwar auf Anhieb den Weg, der unter der Brücke hindurchführt, rotiert dabei aber langsam wie ein Kreisel, der allmählich zum Stehen kommt. Nur das dritte Schlauchboot, ein graues, etwas kleineres, fährt von Anfang an geradeaus. Während sich die acht Fußballväter aus Röhrmoos mit ihren Kindern auf den etwas mehr als sechs Kilometer langen Weg von Grafrath nach Schöngeising machen, sitzt Annette Irzinger schon wieder in der Fahrerkabine des gelben Kleinbusses.

Die 47-Jährige hat die Boote auf dem Anhänger von Schöngeising zum Parkplatz bei der Grafrather Wasserwacht gebracht und den 25 Ausflüglern erklärt, wie man paddelt und wie wichtig es ist, die Ruder nicht zu verlieren. Jetzt hat sie Pause, bis die Gruppe eineinhalb oder zwei Stunden später beim "Unter'n Wirt" in Schöngeising ankommt. Zeit für einen Kaffee, an manchen Tagen aber auch nur zum Aufräumen des Schöngeisinger Stadls, in dem sie Boote und Fahrräder lagert.

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Irzinger ist die Strecke schon oft gefahren, bestimmt hundert Mal, sagt sie. Seit einigen Jahren gehört das Lager in Schöngeising zu ihrem Unternehmen. Vorher brachte die 47-Jährige die Boote immer eigens an die Amper. Früher wurde das Angebot, auch dort zu fahren, nur vereinzelt angenommen. Inzwischen sagt die Unternehmerin, sei es ein gutes Zubrot geworden. Doch das Hauptgeschäft findet noch immer auf der Isar statt, die schneller und wilder ist als ihr gemächlicher Zufluss.

Die Amper ist ein ruhiger Fluss, sie treibt gemütlich und gleichmäßig dahin. Zwischen Grafrath und Schöngeising sind bis auf die Schlauchboote und ihre Mitfahrer kaum menschliche Spuren zu sehen. Der Fluss fließt mitten durchs Grün. Erst auf dem letzten Stück der Strecke führt eine Straße am Ufer entlang. Vorher ist alles ruhig. Enten und Schwäne schwimmen auf der Amper, an den Ufern und in der Luft sieht man Vögel. Das Wasser fließt geräuschlos und gleichmäßig nach Nordosten. Diese Idylle und ihre Stimmung, findet Annette Irzinger, ist etwas Besonderes.

Auch wenn die Saison für Rafting, Schlauchbootfahren und andere Events gerade erst losgeht: Annette Irzinger sieht man an, dass sie viel Zeit im Freien verbringt. Ihr Gesicht ist braungebrannt und obwohl es kaum mehr als 15 Grad warm ist, trägt sie nur Jeans und T-Shirt. Die 47-Jährige hat in München Betriebswirtschaft studiert, bevor sie in die Firma ihres Vaters einstieg und diese schließlich leitete. Jetzt verbringt sie ihre Zeit gleichermaßen draußen und hinter dem Schreibtisch in Gauting, wo sie ihr Büro hat.

SZ Grafik (Foto: SZ Grafik)

Das Unternehmen, das "Action- und Funtours" heißt, hat ihr Vater in den Achtzigerjahren gegründet. Ursprünglich wurden nur Raftingtouren auf österreichischen Flüssen angeboten. Nach und nach kamen die heimischen Gewässer dazu. Vor 17 Jahren hat Annette Irzinger die Firma übernommen. Seitdem ist ihr Jahr zweigeteilt. Im Winter hat sie fast durchgehend frei, im Sommer arbeitet sie jeden Tag.

Zwei- bis dreitausend Leute fahren jedes Jahr mit Irzingers Booten von Grafrath oder Stegen nach Schöngeising oder Fürstenfeldbruck. Auf diesem Abschnitt der Amper ist die Gautinger Firma der einzige Anbieter für geliehene Boote. Doch im Sommer ist der Parkplatz bei der Grafrather Wasserwacht schnell voll. Dann kommen viele Wassersportler und Familien mit ihren eigenen Schlauchbooten, Kanus und Kanadiern. Jetzt, im Frühjahr und Frühsommer, ist der größte Teil des Flusses fürs Bootfahren gesperrt. Die Vögel brüten im Ampermoos und in den Amperauen, bis zum 15. Juli darf nur der Abschnitt zwischen Grafrath und Schöngeising befahren werden.

Zwischen Ammersee und Fürstenfeldbruck fahren Firmen, Vereine und Schulklassen, Rentner und Eltern mit kleinen Kindern. Passiert ist dort noch nie etwas. "Das geht fast nicht", glaubt Annette Irzinger. Man müsse bloß aufpassen, nicht mit dem Kopf gegen einen langen Ast oder mit dem Fuß gegen einen Stein im Wasser zu stoßen. Bei den Röhrmooser Bootsfahrern fällt die Bilanz harmlos aus:

Annette Irzinger, 47, ist oft draußen unterwegs. Ihr Job ist es unter anderem, die Schlauchboote zur Einlassstelle zu transportieren. (Foto: Günther Reger)

Ein Junge ist vom Boot gefallen und hat sich ein paar Kratzer am Schienbein zugezogen, ein anderer ist beim Aussteigen ins Wasser getreten. Die Ausflügler aus Röhrmoos sind alleine unterwegs. Einen Guide braucht es für die Halbtagsfahrt nicht. Auch Schwimmwesten haben sie nicht bestellt. Zwischen Grafrath und Schöngeising gibt es keine Stromschnellen oder andere schwierige Stellen. Wer ins Wasser fällt, schwimmt im schlimmsten Fall ein paar Meter neben den Booten her und lässt sich dann wieder an Bord ziehen. Dass alle Mitfahrer schwimmen können, hat Annette Irzinger vorher abgefragt.

Ans Ziel käme man auch ohne zu paddeln. Nur, dass es dann ein ganzes Stück länger dauern würde. Wer die Ruder einsetzt, erreicht den "Unter'n Wirt" nach eineinhalb bis zwei Stunden. Die Gruppe aus dem Dachauer Land lässt sich nicht treiben. Nicht viel länger als eine Stunde dauert es, bis die ersten Stimmen am Schöngeisinger Wasserwerk zu hören sind. Das Wehr versperrt die Weiterfahrt, wer das Ziel erreichen will, muss aussteigen.

Die Schlauchboote werden ans Ufer gezogen, die kleine Kolonne trägt sie am Kraftwerk vorbei, hinter dem Wehr geht die Bootsfahrt weiter. Kaum mehr als fünf Minuten dauert die Unterbrechung. Die Boote, die mit Luft aufgepumpt sind, sind leicht genug, dass auch zwei Erwachsene und eine Handvoll Kinder eines tragen können. Es sind Rafting-Boote, mit einer besonders robusten Außenhaut, die auch den Zusammenprall mit spitzen Steinen aushält. Rund 60 Kilogramm wiegt ein Schlauchboot, bis zu elf Mitfahrer haben Platz.

Auch, wenn es wieder das gleiche Boot ist, das sich vor dem Start ein paar Mal dreht: Jetzt, beim zweiten Einstieg, sieht alles schon viel routinierter aus. Ein Kind nach dem anderen klettert von der grünen Wiese ins rote Boot, die Erwachsenen kommen zum Schluss und stoßen sich vom Ufer aber. Wieder ist das graue Boot das letzte. Ganz nah am rechten Amperufer treiben die drei Boote auf die nächste Brücke zu. Ein paar hundert Meter weiter ist dann Schluss: Hinter der nächsten Biegung warten eine Badewiese und ein Biergarten auf die Schlauchbootfahrer - und Annette Irzingers gelber Bus mit dem Anhänger für die Schlauchboote.

© SZ vom 01.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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