SZ Forum "Unsocial Networks":Das surfende Klassenzimmer

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Der 13-jährige Markus hat eine eigene Facebook-Gruppe für die 7g an der Mittelschule Karlsfeld gegründet. Die eingeschworene Gemeinschaft nutzt die Seite rege, um sich auszutauschen. Um schulische Belange geht es dabei allerdings eher selten.

Von Benjamin Emonts

Tinas Platz ist verwaist, sie ist krank. Im Klassenzimmer ist die Schülerin trotzdem präsent - über Facebook. Vor zwei Monaten hat der 13-jährige Markus für die 7g der Mittelschule Karlsfeld eine geschlossene Facebook-Gruppe eingerichtet. Auch jetzt ist die Klasse online, ausnahmsweise auch mal im Unterricht.

Mariateresa, Sabrina, Administrator Markus, Noah und Giulia schauen, was es auf der Facebook-Seite der 7g Neues gibt. (Foto: Toni Heigl)

Über einen Beamer wird die Seite auf eine Leinwand projiziert. Das Chat-Fenster von Tina öffnet sich, gleichzeitig erscheint auf der Seite links oben eine rote Eins. Wer Facebook kennt, der weiß: Eine Nachricht ist angekommen. "Ich liege im Bett", schreibt die kranke Tina. Administrator Markus antwortet: "Wir sind im Klassenzimmer. Alle sehen deine Nachricht auf Beamer." Tina scheint das zu erheitern. Ihr Kommentar: "Haha, ok."

Die Schüler lachen.

Nach dem Unterricht postet der zwölfjährige Göksel: "Jungs nimmt morgen Sportsachen und rotes T-Shirt mit." Grammatikalisch ist das zwar nicht ganz korrekt, aber es ist doch eine hilfreiche Information. "Aktuelle Nachrichten kommen besonders gut an - und bekommen extra viele Likes", sagt Markus. Auch Klassenleiter Sascha Eichelmann findet Göksels Post klasse. Am Vortag hat er vergessen, seine Schüler nochmals daran zu erinnern, für das Fußballspiel passende Kleidung mitzubringen. Ein kleines Versäumnis, das Göksel für den Lehrer noch schnell ausbügelt.

Neuigkeiten und Organisatorisches finden sich auf der Pinnwand der Gruppe ebenso wie lustige YouTube-Clips, Kommentare zum aktuellen Fußballgeschehen ("Robbens Tor voll geil oder") und - wenn es mal ausnahmsweise erlaubt wird - Bilder und Videos aus dem Schulhaus oder vom Pausenhof. Zum Beispiel Lehrer Eichelmann als Model beim schuleigenen Trachtenfest. Unterrichtsthemen, Hausaufgaben- und Klausurbesprechungen sucht man hier allerdings vergeblich. Es geht um Kommunikation, darum, sich im Chatroom auszutauschen. "Wir haben ja keine Hausaufgaben, weil wir eine Ganztagsklasse sind", erklärt Markus.

Der 13-Jährige ist mit Abstand der Aktivste auf der Seite. Täglich postet Markus Videos. Einige werden weder geliked noch kommentiert. Gesehen werden sie aber von fast allen Gruppenmitgliedern. Immerhin 20 der 24 Schüler sind Teil der privaten Gruppe, sogar die Jugendsozialarbeiterin Tina Rechl und Sportlehrerin Ruth Rudek-Macaluso sind mit dabei - Klassenleiter Sascha Eichelmann allerdings nicht (siehe Interview). Auch vier Schüler der 7g fehlen. Die Vermutung liegt nahe, dass ihre Eltern es ihnen verbieten. Zugeben möchte das vor der Klasse aber keiner. Es könnte uncool rüberkommen.

Der 13-jährige Noah ist seit drei Wochen kaum mehr online. Markus weiß das, denn als Administrator entgeht ihm auf der Seite nichts. "Ist schon blöd, wenn einer nicht so oft online ist", sagt er vorwurfsvoll. Wenn Markus nach Hause kommt, schaltet er sofort den Computer ein und loggt sich in Facebook ein. Ist kein Computer in der Nähe, ist er, wie die meisten seiner Mitschüler, über sein Smartphone online. 22 der 24 Schüler besitzen ein solches Mobiltelefon mit Internetflatrate. Angesichts des noch jungen Alters der Schüler eine doch recht erstaunliche Zahl.

Als Administrator pflegt Markus die Seite. Er achtet darauf, dass niemand Blödsinn schreibt oder mit Beleidigungen um sich wirft. Was er überhaupt nicht leiden kann ist, wenn jemand sagt, seine Posts seien uninteressant. Markus hat deswegen kürzlich zwei seiner Mitschüler aus der Gruppe verbannt. Eine Wiederaufnahme ist jedoch immer möglich. Die Schülerin Mariateresa kann darauf gut verzichten. "Andauernd wird irgendetwas gepostet und man bekommt eine Nachricht. Das langweilt", sagt die 13-Jährige. Einige ihrer Mitschüler äußern sich ähnlich. Mediales Dauerfeuer kann auch anstrengend sein.

Über die Gefahren der sogenannten Neuen Medien wie Facebook wähnen sich die Schüler der 7g bereits bestens informiert. Ein Polizist habe ihnen ausführlich über das "Spinnennetz" Internet und dessen Gefahren erzählt. Das Buch, das sie momentan im Unterricht lesen, heißt "Im Chat war er noch so süß" und handelt von einem Pädophilen, der ein junges Mädchen über einen Chatroom in eine Falle gelockt hat. "Wenn einer sich gut einschmeichelt, kann das wirklich passieren", ist sich der 13-jährige Sofian sicher. Sein Ratschlag: "Sich nur mit Bekannten anfreunden."

Was die Schüler sonst noch wissen? "Über Facebook können unsere Daten geklaut und weiterverkauft werden. Und man darf keine Partys über Facebook ankündigen", so Benedikt. Außer man hat gern 200 wildfremde Gäste im Haus.

© SZ vom 01.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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