SZ-Adventskalender:Die Angst bleibt

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Sabine und Helmut Weikenstorfer hoffen auf die vollständige Heilung ihrer an Leukämie erkrankten Zwillinge

Von Renate Zauscher, Egenburg

Wer an der Haustürglocke der Familie Weikenstorfer in Egenburg läutet, wird von zwei lebhaften Buben empfangen, die gleich als erstes ihre neuen Sechziger-Schals präsentieren. Leon und Luis heißen die zwei Dreijährigen mit den dunklen Augen im schmalen Gesicht. Sie sind eineiige Zwillinge und haben in ihrem Leben schon mehr durchgemacht als mancher Erwachsener. Vor rund eineinhalb Jahren nämlich geschah das, was die Mutter der Buben, Sabine Weikenstorfer, als ein "Hineinkatapultiert-Werden in ein völlig neues Leben" beschreibt. In ein Leben, das von da an vom Kampf um das Überleben ihrer Kinder bestimmt war und noch immer ist. Die frühere Welt von Sabine und Helmut Weikenstorfer endete am 14. Juli des vergangenen Jahres. In der Kinderkrippe, in der die beiden Zwillinge betreut wurden, hatte Luis an diesem Tag mit einem anderen Buben gerauft, erzählt Sabine Weikenstorfer, und laut der Kindergärtnerin sei er dabei umgekippt und kurze Zeit nicht ansprechbar gewesen. Es muss so etwas wie mütterliche Intuition gewesen sein, was Sabine Weikenstorfer mit Luis zum Kinderarzt gehen und um eine Blutuntersuchung bitten ließ. Das Ergebnis war niederschmetternd: Luis litt an Leukämie.

Nach dieser Diagnose ging alles sehr schnell. Luis bekam noch in der ersten Nacht in der onkologischen Kinderabteilung des Schwabinger Krankenhauses eine Bluttransfusion, ungezählte weitere folgten. 33 Tage musste er, begleitet von seiner Mutter, auf der Isolierstation der Klinik verbringen, damit sein durch die Chemotherapie geschwächtes Immunsystem nicht zu stark belastet würde. Dann geschah das, was eigentlich niemand für möglich gehalten hatte: Unmittelbar vor der Entlassung von Luis aus dem Krankenhaus wurde auch bei Leon Leukämie festgestellt. Diesmal ist es der Vater, der während der Intensivbehandlung mit seinem Sohn im Krankenhaus bleibt.

Leon mit Vater Helmut Weikenstorfer, und Luis mit Mutter Sabine machen eine schwere Zeit durch. (Foto: Renate Zauscher)

Glücklicherweise ist eine kleine, von der Klinik vermittelte Wohnung in München frei geworden, in der die Familie in dieser Zeit leben kann. "Die Nähe zum Krankenhaus hat uns sehr geholfen", sagt die Mutter; schließlich mussten die Buben nach der ersten Chemotherapie-Phase alle zwei bis drei Tage ambulant weiter behandelt werden. Über einen Katheter am Hals wurde ihnen Blut für die nötigen Untersuchungen abgenommen und Medikamente zugeführt, deren Dosis ständig überprüft wurde und wird. Auch jetzt noch fahren die Eltern jede Woche mit den Buben zu diesem Zweck in die Klinik.

Wer Leon und Luis heute sieht, der erlebt zwei lustige, lebhafte Kinder. Sie möchten beim Gespräch mit den Eltern auch am Tisch sitzen, "mitschreiben" so wie die fremde Besucherin und vor allem auch mitreden. Was Größe und Gewicht angeht seien Luis und Leon noch ein klein wenig unter der Norm, sagt Helmut Weikenstorfer, aber alles sei im "grünen Bereich". Die Prognose sei gut, Ärzte und Eltern hoffen auf eine vollständige Heilung. Und trotzdem, sagt Sabine Weikenstorfer, "bleibt da immer auch Angst". Bis zum August 2017 soll die Behandlung der Kinder abgeschlossen sein.

Keinerlei Ängste spürt man bei den Kindern. Sie haben sich klaglos an die vielen Behandlungen, an weiße Kittel, Spritzen und den Mundschutz, den auch die Eltern auf der Intensivstation tragen mussten, gewöhnt. Die vielen Krankenhausaufenthalte haben die Buben dennoch geprägt, glaubt die Mutter: Durch das Zusammentreffen mit so vielen, oft unbekannten Menschen seien sie sehr offen und kontaktfreudig geworden.

Für die Eltern waren die vergangenen 18 Monate eine schwere Zeit. Sie mussten sich vollständig auf das Leben der Kinder in und mit dem Krankenhaus einstellen, für ein normales Familienleben blieben weder Zeit noch Kraft. Auch finanziell war die Zeit für die Weikenstorfers schwierig. Jetzt müssen beide Eltern in den Beruf zurück: Helmut Weikenstorfer wird wieder als Lagerist in einem Odelzhauser Betrieb anfangen, Sabine Weikenstorfer im April als Sachbearbeiterin in München. "Ganz ohne Geld", sagt der Vater, "geht es einfach nicht." Im vergangenen Jahr wurde die Familie durch den SZ-Adventskalender unterstützt; auch heuer will man ihnen helfen, die vielen zusätzlichen Ausgaben, die mit der Krankheit der Kinder verbunden sind, zu bewältigen. Leon und Luis sollen von April an in den Kindergarten gehen - und dort mit ihrer Freude an allem Neuen, Unbekannten auch wieder ein bisschen Spaß haben.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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