Strafverfahren eingestellt:Missverständnis bei der Polizei

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Ein Mann steht wegen Körperverletzung vor Gericht. Es zeigt sich, dass alles nicht so schlimm war

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Der Tag ist erst wenige Stunden alt, als zwei junge Männer in einer Flüchtlingsunterkunft im Landkreis Dachau aneinandergeraten. Die beiden Nigerianer wohnen auf engstem Raum zusammen, ein Vorhang trennt ihr Zimmer in der Mitte und simuliert so etwas wie Privatsphäre. An diesem Samstag kommt der eine Bewohner, ein 25-Jähriger, um ein Uhr nach Hause. Er schaltet das Licht im Zimmer an und lässt Musik laufen. Der andere, ein 24-Jähriger, liegt schon im Bett. Er will schlafen, er muss am Morgen früh raus. Also schaltet er das Licht wieder aus. Das wiederum stört den 25-Jährigen. In der Dunkelheit kommt es zum Gerangel, beide Männer stoßen mit den Köpfen zusammen. Am Ende kommt die Polizei und nimmt die Sache auf.

Diese Nacht liegt mehrere Monate zurück. Jetzt sitzen sich die Zimmergenossen gegenüber im Sitzungssaal des Amtsgerichts in Dachau. Der 25-Jährige auf der Anklagebank, er muss sich wegen Körperverletzung verantworten. Er soll seinem Mitbewohner eine Kopfnuss verpasst haben. Der 24-Jährige hockt im Zeugenstand, er wohnt inzwischen in einer anderen Unterkunft.

Die vergangenen Monate haben bei den Beteiligten Spuren hinterlassen. Insbesondere der Angeklagte wirkt mitgenommen und übernächtigt. Obwohl die Verhandlung an diesem Tag erst um elf Uhr beginnt, sieht Richter Christian Calame den 25-Jährigen schon um sieben Uhr vor dem Gericht sitzen. Dass es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, damit haben wohl beide Nigerianer nicht gerechnet. Zwar können sie sich nicht ausstehen, das wird deutlich. Aber selbst der 24-Jährige will letztlich nicht, dass sein alter Mitbewohner strafrechtlich verfolgt wird. Auch Calame sieht hier keine Körperverletzung vorliegen, nachdem er die Aussagen der Männer gehört hat. Er stellt das Verfahren schließlich wegen Geringfügigkeit des Vergehens ein. Die Kosten trägt die Staatskasse. Der Richter wirkt ein wenig genervt. "Wie so oft, stellt es sich anders dar, als von der Polizei aufgenommen", sagt er.

Die zwei Männer können sich zwar auf Deutsch verständigen, aber wenn es ins Detail geht, wird es schwierig. Calame möchte deshalb, dass sie auf Englisch aussagen. In der Verhandlung sitzt ein Dolmetscher, der übersetzt. Als der 24-Jährige an dem besagten Abend bei der Polizei aussagt, fehlt ein Dolmetscher. Und Verständigungsprobleme dürften auch der Grund gewesen sein, dass es überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung wegen Körperverletzung kommt. Denn laut einem polizeilichen Bericht soll der 24-Jährige gesagt haben, dass ihm der 25-Jährige eine Kopfnuss verpasst haben soll, wovon er eine Wunde davon getragen habe. Vor Gericht sagt der Angeklagte, die Kopfnuss sei "frei erfunden". Und auch der 24-Jährige kann sich an seine Aussage nicht mehr erinnern. Ja, der 25-Jährige sei alkoholisiert und wütend gewesen. Er habe ihn an der Stirn getroffen, aber im Zimmer sei es dunkel gewesen. Eine blutende Wunde habe er nicht gehabt. Für Calame ist das keine Körperverletzung. Er beendet die Verhandlung. Wie beide Männer übereinstimmend berichten, verlagert sich die Auseinandersetzung am besagten Abend ins Treppenhaus der Unterkunft. Der 24-Jährige ruft irgendwann die Polizei, die schließlich kommt und schlichtet.

© SZ vom 11.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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