Schulanfang:Tag eins

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Die ersten Stunden in der Schule sind für jedes Kind etwas Besonderes. Doch noch aufgeregter als die Erstklässler selbst sind deren Mütter und Väter

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Neun Uhr morgens, die Aula der Grundschule Augustenfeld ist bis in die hinterste Ecke gefüllt. Die Erstklässler sitzen in der Mitte des Raumes, die Augen weit aufgerissen, manche werfen ab und zu einen unsicheren Blick zu ihren Eltern, die sich um sie herum versammelt haben. Sie erleben heute ihren ersten Schultag. Als die Rektorin Helga Schiller zu ihrer Begrüßungsrede ansetzt, blickt sie in die erwartungsvolle Gesichter von Kindern und Verwandten. Ihre Kleinen in die Obhut der Schule zu geben, fällt den meisten Eltern sichtlich schwer: Müttern, Vätern, Omas und Opas merkt man die Aufregung an. Als Schiller später verkündet, dass sie ihre Kinder noch in das Klassenzimmer begleiten dürfen, atmen viele Eltern auf, eine Mutter lächelt.

"Das Wichtigste ist, dass ihr eure Freude von heute bis an euer Lebensende behaltet." Diesen Rat gibt die Schulleiterin ihren neuen Schützlingen mit auf den Weg. Für sie selbst ist es der "letzte erste Schultag", nach 42 Jahren im Lehrberuf wird sie sich am Ende des Schuljahres von der Grundschule Augustenfeld verabschieden.

Plötzlich versammeln sich auf der breiten Treppe in der Mitte der Aula weitere Schüler, es sind die zweiten Klassen, die unter der Leitung von Konrektorin Zeisler ein Lied anstimmen. "Schu, schu, die Zeit vergeht im Nu", singen sie und: "Das Lesen ist nicht für die Katz, es macht uns Spaß und Mut." Von einem Gang, der über die Aula führt, ertönt lautes, rhythmisches Klatschen. Auch hier haben sich ältere Schüler versammelt. Die Erstklässler trauen sich noch nicht, in das Klatschen mit einzusteigen - ehrfürchtig blicken sie zu ihren älteren Mitschülern auf.

Drei erste Klassen gibt es heuer an der Grundschule Augustenfeld. Die exakten Schülerzahlen sind aber noch unsicher, erklärt Schiller. Kurz vor Schulbeginn wurde die Anzahl der Klassen noch geändert, da sich selbst im September viele Eltern noch umentscheiden, auf welche Einrichtung sie ihre Kinder schicken.

Die Lehrerinnen der ersten Klassen stellen sich kurz vor und öffnen gemeinsam eine Schultüte: Darin sitzt "Känguru Kari", das den Kindern die erste Aufgabe stellt. Ob sie denn schon wissen, was sie hier in der Schule machen? "Hausaufgaben", sagt ein Mädchen. Ein Junge in der ersten Reihe antwortet aus voller Überzeugung: "Buchstaben erraten." Claudia Geisenhofer, Klassenlehrerin der neuen 1a, winkt ihre Erstklässler zu sich. Sie alle tragen ein rotes Papierherz, um sich von den Schülern der anderen Klassen zu unterscheiden. Sie läuft in Richtung des Klassenzimmers, zwei Mädchen halten direkt hinter ihr fleißig Schritt. Einem der beiden rutscht dabei der Schulranzen leicht von der rechten Schulter, da sie mit beiden Händen ihre Schultüte halten muss. Die ist fast so groß wie sie selbst.

Die Augen weit aufgerissen, manche Münder stehen offen: Zum Schulanfang blickt man in erwartungsvolle Gesichter der Erstklässler. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Als alle Kinder und Eltern das Zimmer betreten, beginnt das Gewusel. Ein Junge steht vor einem Platz in der zweiten Reihe, unsicher sieht er zu seinem Vater hoch. "Ja, das ist gut, da setz' dich gleich hin", sagt dieser. Drei Mädchen und ein Junge besetzen die hinterste Bank mit ihren Schultüten und packen ihre Federmäppchen aus. Die Eltern versorgen sie dabei mit gut gemeinten Ratschlägen - und versuchen damit, die eigene Aufregung zu unterdrücken. "Der Sitzplatz ist super", stellt eine Mutter fest, "da bist du gleich hinten an deinem Fach und kannst deine Bücher ablegen".

Manchen Eltern ist anzusehen, dass sie noch weiter zur Arbeit müssen, sie begleiten ihre Kinder in Bluse und Blazer oder weißem Hemd und Anzughose. Andere haben hingegen ihre gesamte Kameraausrüstung dabei, ein Vater trägt zwei große Taschen. Manchen genügt der Schnappschuss mit dem Handy - es sind Aufnahmen für die Ewigkeit.

In der hinteren Ecke des Klassenzimmers steht Fabiana Veser, sie ist Referendarin und wird zur Förderlehrerin ausgebildet. Sie wollte unbedingt mal einen Schulanfang miterleben, sagt die angehende Lehrerin. Später sei es ihre Aufgabe, sich Schülern mit Problemen anzunehmen, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen, im Unterricht wieder gut mitzukommen. Ziel sei es, dass jede Schule in Bayern einen solchen Förderlehrer bekommt, um damit die Klassenlehrer zu unterstützen. Die Grundschule Augustenfeld hat außerdem beantragt, zusätzliche Deutschklassen für alle Schüler mit Migrationshintergrund zu schaffen, so die Schulleitung.

Nun ergreift die Klassenlehrerin Frau Geisenhofer das Wort, begrüßt alle Schüler und Eltern und erklärt die wichtigsten Infos für die erste Schulwoche. An der Tafel steht in bunter Schrift: "Herzlich willkommen in der 1a, zusammen starten wir durch!"

Die Eltern müssen den Raum bald verlassen, damit der Unterricht beginnen kann. Ein Mädchen bricht in Tränen aus und drückt sich an ihre Mutter. Auch andere Kinder reiben sich die Augen, bleiben aber tapfer sitzen. Sofort bekommen die Schüler eine Aufgabe: An der Tafel sind Namensschilder angebracht, jedes Kind soll den eigenen Namen finden. Ein Mädchen aus der ersten Reihe meldet sich und läuft nach vorne, um ihr Namensschild abzuholen. "Sehr gut", lobt die Lehrerin. Dann trauen sich auch die nächsten. Einer holt sein Federmäppchen aus der Schultasche, auf dem groß "Maximilian" geschrieben steht. Zufrieden gleicht er es mit seinem Namensschild ab - passt.

Die erste Aufgabe: Sein eigenes Namensschild von der Tafel holen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei seiner Sitznachbarin kullern jedoch die Tränen. Sie würde das alles nicht verstehen, weint sie. Sofort wird sie von ihren Mitschülern getröstet und die Klassenlehrerin nimmt sie in den Arm. "Das wird schon, ich helfe dir", sagt sie. Schon kann die Erstklässlerin wieder lächeln und strahlt in die Kamera, als ein Fotograf kurz darauf ein Gruppenfoto der Klasse macht.

Die Eltern warten in der Zwischenzeit auf ihre Kinder, manche haben sich in der Aula zum Kaffeetrinken versammelt, andere bleiben gespannt vor dem Klassenraum sitzen. Eine Mutter verrät, dass sie ihre Tochter eigentlich gerne noch ein Jahr länger im Kindergarten behalten hätte. Die Kleine hätte selbst aber gar keine Schwierigkeiten mit dem Schulanfang gehabt, auch heute Morgen war sie nicht aufgeregt - und in der Klasse hat sie sich sofort in die erste Reihe gesetzt.

Um kurz vor elf dürfen die Erstklässler heute nach Hause gehen, eine Hausaufgabe bekommen sie aber trotzdem: Sie sollen ihre eigene Schultüte zeichnen - und dürfen sie dabei endlich auspacken.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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