Rolle der Kirche:Im Dialog mit dem Kardinal

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Erzbischof Reinhard Marx diskutiert mit Katholiken im voll besetzten Thoma-Haus über die Rolle der Kirche und spricht sich für eine pluralistische Gesellschaft aus. Dabei verschließt er sich auch kritischen Fragen nicht

Von Renate Zauscher, Dachau

"Ich habe einen ganz normalen Lebensstil", sagt Kardinal Reinhard Marx gelassen. Die Frage aus dem Publikum, in wie weit er selbst das Armutsideal des Papstes teile, war durchaus kritisch gemeint. Aber Marx lässt sich nicht provozieren. Der Münchner Kardinal war schon oft in Dachau - zu Gottesdiensten, Kirchenjubiläen und Besuchen in der KZ-Gedenkstätte. Aber selten sind ihm die Dachauer so nahegekommen wie am Dienstagabend im vollen Thoma-Haus in der Altstadt. Er stellte sich nicht nur den Fragen des großen, überwiegend älteren Publikums, er ermunterte zu einem Dialog über die zentrale Frage des Abends: In welcher Rolle sieht sich die katholische Kirche in der modernen Welt? Eine, das machte er rasch deutlich, die eine Umkehr im Denken vieler Menschen erfordert.

Das Dachauer Forum, die Einrichtung der Katholischen Erwachsenenbildung im Landkreis, hatte ihn eingeladen. "Die Sendung der Kirche in einer offenen Gesellschaft", lautete der Titel des Vortrags des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Er legte ein eindrucksvolles Bekenntnis zu einer pluralistischen Gesellschaft ab, in der das Prinzip der Freiheit einen zentralen Platz einnehmen müsse. Ihn persönlich habe die Frage nach der Zukunft der Kirche schon als Ministrant bewegt, sagte Marx. Heute gebe es manche, die "zurück wollen" vor die Zeit der großen Umbrüche im 20. Jahrhundert, viele andere aber auch, die "dorthin wollen, wo es hingehen kann" und für ihn auch hingehen soll: in eine von Offenheit und Pluralismus geprägte Zukunft, in der gerade auch die Kirche eine wichtige Rolle spielen könne. Mit dem Gedanken, früher sei "alles besser gewesen", könne und wolle er jedenfalls nicht leben.

Kardinal Reinhard Marx im Ludwig-Thoma-Haus in der Dachauer Altstadt. Mit dieser Veranstaltung zur Rolle der katholischen Kirche in der modernen Welt setzte das Dachauer Forum seine kritische Auseinandersetzung mit der Kirche in diesem Jahr fort. (Foto: Toni Heigl)

Aus der Unfähigkeit der Christen, in Toleranz zusammenzuleben, die im Dreißigjährigen Krieg ihren schrecklichen Höhepunkt erlebt habe, sei die Überzeugung auch der Kirche erwachsen, dass die Auseinandersetzung mit der modernen Welt auf dem Boden der Vernunft erfolgen müsse. "Über Vernunft zu gemeinsamem Leben zu kommen": Darin bestehe die Aufgabe und Sendung der Kirche. Im Mittelpunkt dieses Gedankens stehe der einer verantwortungsvoll gelebten Freiheit des Glaubens oder der sexuellen Orientierung.

Kritische Fragen der Besucher

Für Marx gilt: "Jeder Mensch ist ein Bild Gottes - egal ob Mann oder Frau, schwarz oder weiß, hetero- oder homosexuell." Aufgabe der Kirche sei es, "die Kraft der Versöhnung in die Welt hineinzutragen". Gelinge es nicht, "gemeinsam in Verschiedenheit zu leben", dann würden "gefährliche Zeiten" auf uns zukommen.

Viele Besucher hatten kritische Fragen. Etwa der Finanzskandal - "die in den USA versenkten Millionen" - wurde angesprochen. Marx verwies auf die Verantwortung zu Transparenz bei der Verwendung des Geldes, das für Seelsorge, Mitarbeiter, Substanzerhalt der Bauwerke wie für die Armutsbekämpfung nötig sei. Auf Islamisten angesprochen, erklärte Marx, dass der Dialog zwischen den Religionsvertretern vor Ort zumeist an sprachlichen Barrieren scheitere. Allerdings ist es, wie er sagte, "völliger Unsinn" zu denken, jeder Muslim sei "darauf aus, euch umzubringen". Die Gefahr durch fanatisierte Salafisten wolle er nicht kleinreden, aber die, merkte Marx ironisch an, seien in Saudi-Arabien "ja unsere Verbündeten, die von uns Waffen geliefert bekommen". Zur Flüchtlingspolitik hat der Kardinal bei vielen Gelegenheiten deutliche Worte gesagt. Er appellierte an die Besucher mit dem Jesu-Wort, dass der Glaube primär in Taten der Nächstenliebe sichtbar werde.

Natürlich wurde der Kardinal auch gefragt, wie er zur Frage der Frauenordination stehe. Sie sei für die Weltkirche "kein Thema" und somit derzeit auch nicht durchsetzbar, sagte er. Die Kirche aber wäre "verrückt", würde sie das Potenzial vieler Frauen und Männer, die sich in die kirchliche Arbeit auf vielen Ebenen einbringen wollten, "einfach brachliegen lassen". Hier müsse "viel mehr getan werden".

Fast sarkastisch reagierte Kardinal Marx auf die Erklärung eines Zölibat-Kritikers, Jesu habe Frau und Kinder gehabt: "Ach - und das wissen Sie so genau?" In der Aufhebung des Zölibats sieht Marx keine Lösung für das Problem des Priestermangels, das ihm natürlich zu schaffen mache. Er sehe eine große Sehnsucht der Menschen nach einer Vaterfigur, "die nur für sie da ist", deshalb dürfe man den Zölibat nicht nur negativ sehen. Die Frage von Ehe und Ehelosigkeit könnte aber ebenso wie das Gespräch mit Muslimen im Rahmen der Erwachsenenbildung als Thema aufgegriffen werden.

Für die meisten Besucher, die ins Thoma-Haus in der Altstadt gekommen waren, ist Kardinal Marx ohne Zweifel eine solche Vaterfigur: humorvoll, witzig, barock in seinem Äußeren. Und dabei ein Kirchenmann der klaren Worte, der - ganz im Sinne der Verantwortlichen im Dachauer Forum - an diesem Abend Mut zu einer pluralistischen Gesellschaft machen wollte.

© SZ vom 08.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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