Prozess:Bis zur letzten Patrone

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Mit Amnestien versuchen die Behörden, illegale Schusswaffen aus dem Verkehr zu ziehen. Trotzdem werden immer wieder Verstöße festgestellt. Die juristischen Folgen können gravierend sein, wie zwei Fälle am Amtsgericht zeigen

Von Christiane Bracht, Dachau

Seit dem Amoklauf von Winnenden 2009, als ein 17-Jähriger 15 Menschen und dann sich selbst erschoss, hat es immer wieder Waffenamnestien gegeben. Damit wollen die Behörden verhindern, dass herumliegende Pistolen, Gewehre oder andere gefährliche Dinge eines Tages noch einmal missbraucht werden und schweren Schaden anrichten. Zwar gibt es derzeit keine Amnestie, dennoch haben allein in diesem Jahr 90 Bürger aus dem Landkreis Dachau ihre Waffen abgegeben. Insgesamt 165 Schusswaffen hat das Landratsamt bisher eingesammelt, knapp die Hälfte davon sind Pistolen und Revolver. Im vergangenen Jahr waren es im gleichen Zeitraum noch deutlich mehr: 343 zählte die Kreisbehörde. Bis Juli 2018 gab es die straffreie Abgabe von unerlaubten Waffen noch.

Doch auch wer jetzt Pistole oder Gewehr erbt und keine Berechtigung hat, kann sie beim Landratsamt abgeben, ohne Folgen befürchten zu müssen. Eine hohe Geldstrafe zu zahlen oder gar ins Gefängnis zu wandern, nur weil Opas alte Flinte noch im Schrank steht - wer will das schon? Der Zufall oder falsche Freunde bringen vieles ans Licht. Das haben gerade wieder zwei Männer aus dem Landkreis Dachau schmerzlich erfahren müssen. Hätten sie eine Berechtigung zum Besitz gehabt oder ihre Schusswaffen inklusive Munition beim Landratsamt beziehungsweise der Polizei abgegeben, wären sie vermutlich nicht auf der Anklagebank des Amtsgerichts Dachau gelandet.

Schießeisen aus dem Nachlass

Ein 54-jähriger Dachauer hat das nicht getan. Sein Erbstück hat ihm jetzt eine siebenmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung eingebracht. "Die Baby Browning war das einzige Erinnerungsstück an meinen verstorbenen Vater, das ich noch hatte", erklärt er dem Richter. Deshalb habe er sie behalten, obwohl er Waffen und Gewalt eigentlich ablehne. Vermutlich hätte niemand bemerkt, dass er die Pistole besitzt, wenn den 54-Jährigen am Silvesterabend nicht der Forscherdrang gepackt hätte. "Ich habe ein großes Interesse an simplen mechanischen Dingen", erzählt er im Gericht. In sehr depressiver Stimmung wollte er unbedingt herausfinden, was an der Pistole klemmte. "Und ich wollte wissen, was passiert, wenn man da drauf drückt." Er zielte auf eine dicke Ziegelwand in seiner Wohnung und "war entsetzt von der Brutalität des Schusses". So sehr, dass er seine Erfahrung sofort einer Bekannten per SMS mitteilte. Diese war höchst alarmiert, hatte der Dachauer doch zuvor schon einmal Suizidabsichten geäußert. Auch wenn der Angeklagte ihr angesichts der Durchschlagskraft der Browning versichert hatte, diese keinesfalls auf sich selbst zu richten.

Die Bekannte lief jedoch zur Polizei und zeigte den 54-Jährigen an. Dabei behauptete sie offenbar auch, dass der Dachauer schon mal wild im Garten ihrer Eltern in Nordrhein-Westfalen herumgeballert und sie bedroht habe. Die Dame überzog ihn zudem mit einigen anderen Anzeigen, die sich allesamt als haltlos erwiesen. Nur der Besitz der Baby Browning und der dazugehörigen Munition ließ sich nicht leugnen. Dafür allein sieht das Gesetz ein Mindeststrafmaß von einem halben Jahr Freiheitsstrafe vor.

Schon die Polizeibeamten hatten Anfang Januar den Kopf geschüttelt über diesen Fall. Als Richter Christian Calame nun wissen will, warum er das getan habe, antwortet der 54-Jährige in sich zusammengesunken: "Die Neugier war zu groß, mein Zustand zu schlecht. Es war ein Moment tiefster Verzweiflung. 350 erfolglose Bewerbungen." Der Dachauer hat eine mittelschwere Depression und ist arbeitslos. "Es war ein Fehler", gibt er zu. "Aber ich habe niemals einen Menschen bedroht, sondern immer peinlichst genau darauf geachtet, die acht Schuss Munition und die Pistole getrennt voneinander aufzubewahren."

Drei Jahre muss sich der 54-Jährige nun bewähren und 1000 Euro an den Verein "Die Brücke Dachau" zahlen, andernfalls wird er wohl ins Gefängnis kommen.

Der Waffennarr

Ein 49-jähriger Röhrmooser kam etwas glimpflicher davon, obwohl die Polizei bei ihm ein ganzes Waffenarsenal aufspürte - aber eben keine halb automatische Kurzwaffe. "Diese haben eine besondere Gefährlichkeit, weil sie schneller abgefeuert werden können und eine höhere Durchschlagskraft haben", erklärt Richter Calame den höheren Strafrahmen.

Es war Zufall, dass die Leidenschaft des Röhrmoosers für Waffen ans Licht kam. Der Mann sollte seine Wohnung räumen, doch er kümmerte sich nicht um die Klage seines Vermieters. Als der Vollstreckungsbeamte sich Anfang August vergangenen Jahres schließlich gewaltsam Zutritt zu der Wohnung verschaffte, erschrak er sehr. Auf dem Küchentisch lag ein Revolver. Sofort alarmierte er die Polizei. Neben dem Revolver Kaliber 38 mit 51 Schuss Munition entdeckten die Beamten in den Räumen Kleinkalibermunition (150 Schuss), sowie vier 8,8-Zentimeter-Panzergranaten der deutschen Wehrmacht, die allerdings nur noch eine geringe Menge Sprengstoff besaßen und nicht mehr zündfähig waren. Außerdem hatte der 49-jährige Waffennarr drei Springermesser mit mehr als 5,5 Zentimeter langen Klingen, einen Waffenschein besaß er allerdings nicht. "Ich sammel solche Sachen eben", erklärt er dem Richter.

Als er die Panzergranaten auf dem Flohmarkt gekauft habe, sei er davon ausgegangen, dass diese entschärft seien. "Sie waren oben aufgeschraubt", verteidigt er sich. Im übrigen sammele er auch Bodenfunde, verschossene leere Patronen aus dem bayerisch-französischen Krieg etwa. Ein Polizist habe ihm versichert, dass nichts dagegen spreche, wenn diese geleert seien. "Das hätten Sie prüfen lassen müssen", sagte Richter Christian Calame. "Sie haben eine erhöhte Pflicht, sich zu informieren, ob sie diese Dinge erlaubnisfrei besitzen dürfen."

"Die Springmesser sind ein Relikt aus meiner Jugend", erklärt der Angeklagte. Er sei früher Türsteher gewesen, bevor er Maurer wurde. Jetzt brauche er sie, um 20 Zentimeter dickes Dämmmaterial zu schneiden. Er habe nie den Gedanken gehabt, die Klingen gegen jemand zu richten, versichert der 49-Jährige. Doch der Besitz reicht bereits, um den Tatbestand zu erfüllen. 2700 Euro muss der Röhrmooser jetzt zahlen (180 Tagessätze). Das kommt ihn hart an. Noch schwerer wiegt für ihn allerdings, dass er ein Schreiben vom Landratsamt bekommen hat, wonach er nun als Gefährder gilt. "Als wär ich ein Terrorist", mokiert er sich in der Verhandlung.

Die Nachwuchsjäger

Die von Polizei oder Landratsamt eingezogenen Waffen werden an das Landeskriminalamt übermittelt. Dort prüft man, ob diese bei Tötungen oder Körperverletzungen involviert waren. Ist das nicht der Fall, werden sie vernichtet.

Es gibt jedoch auch legale Waffenbesitzer. Im vergangenen Sommer waren es im Landkreis Dachau fast 16 000. Heuer sind es sogar 16 264. "Das liegt an der großen Zahl der Nachwuchsjäger", erklärt der Sprecher des Landratsamts Wolfgang Reichelt.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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