Notbetreuung:Ohne Vertrauen geht es nicht

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Viele Eltern sind froh darüber, dass ihre Kleinen nun bald wieder in die Kita können, doch es gibt auch große Verunsicherung darüber, wie ein kindgerechter Alltag mit Infektionsschutz organisiert werden soll

Von Jacqueline Lang, Dachau

Von Montag an dürfen auch Vorschulkinder wieder die Kita besuchen, ebenso deren Geschwister - vorausgesetzt, sie besuchen die gleiche Einrichtung. Die Notbetreuung wird damit abermals ausgeweitet, doch noch immer versuchen Familien im Landkreis seit nunmehr fast acht Wochen, Home-Office und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen. Ihre Rufe nach einer möglichst schnellen Öffnung für alle Kindergartenkindern werden lauter. Einige sorgen sich aber offenbar auch, ob unter den derzeitigen Bedingungen eine optimale Versorgung ihrer Zöglinge möglich ist.

Von den Gerüchten, dass in manchen Kindergärten im Landkreis Dachau regelmäßig Fieber gemessen und Kleinkindern der Schnuller weggenommen werde, hat Eckart Wolfrum auch schon gehört. Eine Einrichtung, die das so handhabt, kennt er jedoch nicht. Der Leiter der heilpädagogischen Tagesstätte (HPT) Hebertshausen hält solche Methoden "für sehr fragwürdig". Die Leiterin einiger Dachauer Einrichtungen, die namentlich nicht genannt werden möchte, warnt indes vor einer Pauschalisierung. Ohne den jeweiligen Einzelfall zu kennen, dürfe man nicht über solcherlei Maßnahmen urteilen. Anders als etwa eine Kassierin, die immerhin durch eine Kunststoffscheibe teilweise geschützt sei, gebe es für Betreuer keinerlei Schutz vor einer Ansteckung durch die Kinder, die nicht einmal Masken tragen müssen. Deshalb dürfe "die Arbeit der Pädagoginnen nicht durch solcherlei Äußerungen durch den Dreck gezogen werden", sagt sie. Im Dachauer Caritas-Kindergarten Nazareth dürfen zum Schutz aller derzeit nur drei Elternteile gleichzeitig ihre Kinder abgeben. Durch den einen Eingang kommen sie ins Gebäude, durch den anderen verlassen sie es wieder. Acht Kinder sind momentan in der Notbetreuung, das jüngste ist drei Jahre alt. "Da klappt das mit dem Abstandhalten noch ganz gut", sagt Leiterin Stefanie Birkl. Mit mehr Kindern könnte es ein wenig schwieriger werden, aber man arbeite derzeit an einem Konzept, auch im Austausch mit anderen Häusern. Dieser Austausch sei notwendig, denn die Vorgaben des Ministeriums seien "ein wenig schwammig", findet Birkl.

Ein großer Schritt für kleine Menschen ist der Eintritt in den Kindergarten. In Dachau findet die Vergabe der Plätze über eine Online-Plattform statt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ähnlich sieht das Eckart Wolfrum. Die Einrichtung in Trägerschaft des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising, die er leitet, hat anders als die meisten Kindergärten schon seit zweieinhalb Wochen wieder geöffnet. "Die HPTs der Jugendhilfe werden wegen des hohen pädagogischen und therapeutischen Förderbedarfs der dort betreuten Kinder von den Betretungsverboten ausgenommen", heißt es dazu in einem Newsletter des Bayerischen Familienministeriums vom 20. April. Die sogenannten Durchführungsbestimmungen der Regierung, unter welchen Voraussetzungen er öffnen darf, hätte er, so sagt Wolfrum, am Montag vor eben rund zweieinhalb Wochen erhalten sollen, letztlich aber erst am Freitag bekommen; öffnen musste er trotzdem. Zumindest mit dem zuständigen Jugendamt würden die Absprachen gut funktionieren, und so gibt es nun ein Konzept: In vier Gruppen, je zwei für Kindergartenkinder und zwei für Schulkinder, werden derzeit je fünf Kinder betreut. Demnächst soll auf sechs Kinder erhöht werden. Die regulär acht Kinder pro Gruppe unter den derzeit geltenden Regelungen zu betreuen, sei aber nicht möglich, so Wolfrum. Deshalb werden die Belegtage pro Monat auf die Kinder aufgeteilt: Manche teilen sich einen Platz, einige kommen drei Tage die Woche, andere vier Tage die Woche.

"In der Realität sieht das ein bisschen aus wie ein Flickenteppich", sagt Wolfrum. Grundsätzlich kollidiere in der aktuellen Situation häufig der Wunsch nach Klarheit mit vielen Unklarheiten. Das müsse man aushalten. Wolfrum jedenfalls ist froh, dass er seine Einrichtung wieder öffnen durfte, denn auch er hatte für seine Mitarbeiter schon über Kurzarbeit nachgedacht und deshalb befürchtet, Fachpersonal zu verlieren. "Wir müssen schauen, dass wir unsere guten Leute halten können", so Wolfrum. Deshalb sei Flexibilität gefragt. Eine Mitarbeiterin mit einer Vorerkrankung etwa sei derzeit per Video zugeschaltet. Ob das gerecht für die übrigen Mitarbeiter ist? Sicher sagen kann Wolfrum das nicht. Er weiß nur eines: "Das generell zu regeln, ist fast unmöglich."

Eckart Wolfrum ist Leiter der heilpädagogischen Tagesstätte in Hebertshausen. Von Fiebermessen in Kitas hält er nichts. (Foto: Toni Heigl)

Froh dass ihre fünfjährige Tochter nun wieder die HPT besuchen darf, ist auch Bianca Franke. Die Dachauerin ist Mutter von insgesamt drei Kindern, alleinerziehend und arbeitet seit dieser Woche wieder Teilzeit als Individualbegleiterin und unterstützt Kinder mit einer Behinderung. Der Alltag zuhause in den vergangenen Wochen sei ein Kraftakt gewesen - emotional, aber auch finanziell. Vom Staat fühlt sich Franke alleine gelassen. "Den Informationen musste man immer hinterherlaufen." Dass nun zumindest ein wenig Normalität zurückkehrt, freut sie. Ihre drei- und ihre fünfjährige Tochter dürfen nach Wochen in der kleinen Wohnung ohne Garten wieder in den Kindergarten, ihr siebenjähriger Sohn besucht nun im wöchentlichen Wechsel die Schule und den Hort. Die Angst vor einer zweiten Infektionswelle bleibt. "Das wäre eine Tragödie", sagt Franke. Denn wie solle man dieses Hin und Her den Kindern erklären? Schon jetzt sorgt sich Franke, dass das ewige Nein-Sagen-Müssen Auswirkungen auf deren Entwicklungen haben könnte. Umso wichtiger findet sie es, dass in der Kita keine strengen Abstandsregelungen gelten und die Kinder einfach Kinder sein dürfen.

Leon Grasshoff, Leiter des AWO-Waldkindergartens Hollerbusch in Odelzhausen, hat zumindest eines nicht: ein Platzproblem. Seine Schützlinge sind ohnehin die meiste Zeit im Freien, trotzdem muss auch er nun versuchen, Tagesabläufe zu entzerren, damit es nicht zu "konzentriertem Kontakt" kommt. Bei aller Vorsicht sei es wichtig, ein "Stück Normalität zu erhalten" und Maßnahmen, wie das regelmäßige Händewaschen "kindergerecht zu verpacken", etwa durch das Singen eines Liedes. Davon in den Einrichtungen ständig Fieber zu messen, hält auch Grasshoff nichts. Stattdessen plädiert er dafür, den Eltern auch in der jetzigen Situation zu vertrauen und die Kindern nicht noch mehr zu verunsichern.

Heidi Schaitl ist die Kreisgeschäftsführerin des Caritas-Zentrums Dachau. Ihre Angestellten freuen sich auf die Rückkehr der Kinder. (Foto: Toni Heigl)

Derzeit werde die Notbetreuung von weniger Eltern genutzt als Anspruch darauf hätten, sagt Kuhr, stellvertretender Leiter des Amts für Schule, Kinderbetreuung, Soziale Einrichtungen und Sport. Betreuer, die zur Risikogruppe gehören, könne man daher derzeit noch "kinderfern einsetzen". Auf die Frage, wie ein regulärer Betrieb mit den geltenden Regelungen umgesetzt werden kann, gebe es derzeit noch keine "überzeugende Antwort". Grundsätzlich versuche man so viel Entlastung für Eltern zu schaffen wie möglich - etwa durch nicht erhobene Gebühren während der Schließung - aber der "limitierende Faktor" sei letztlich vor allem das Personal. In die Mitarbeiter der Einrichtungen hat Kuhr großes Vertrauen, wenn es darum geht, kranke Kinder zu identifizieren - auch ohne Fieberthermometer. Die Eltern würden ohnehin derzeit keine Kinder mit Krankheitssymptomen in die Kitas bringen. "Den Schuh will sich keiner anziehen", sagt Kuhr. Von verständnisvollen Eltern berichtet auch Heidi Schaitl. Umso verwunderter ist die Kreisgeschäftsführerin des Caritas-Zentrums Dachau über die kursierenden Gerüchte. Für all ihre Einrichtungen gebe es ein Hygienekonzept, aber der pädagogische Auftrag dürfe darunter niemals leiden. Der Illusion, dass man beim Arbeiten mit kleinen Kindern Abstände einhalten könne, dürfe man sich jedenfalls nicht hingeben. Stattdessen gelte es darauf zu achten, die Bring- und Abholsituation mit den Eltern gut zu regeln und mit den Kleinen regelmäßig die Hände zu waschen. Ob es Betreuer gibt, die sich trotzdem Sorgen um ihre eigene Gesundheit machen? Natürlich gebe es diese, sagt Schaitl, aber ihr Eindruck ist: "Die Freude darüber, dass die Kinder zurückkommen, überwiegt."

© SZ vom 23.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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