Im Juli vergangenen Jahres wurde das Riding-Higher-Benefizfestival in Odelzhausen schlagartig Gesprächsthema in ganz Deutschland. Die Polizeiinspektion Dachau hatte vom Veranstalter, dem Move-Together e.V., 45 Zugangskarten für Zivilfahnder angefordert, weil auf dem Fest angeblich verstärkt Marihuana geraucht würde. Die Veranstalter gingen daraufhin an die Öffentlichkeit und lösten in den sozialen Netzwerken eine Welle der Empörung über die Dachauer Polizei aus. Ihr ziviler Ungehorsam wurde von der breiten Öffentlichkeit und dem bayerischen Liedermacher Hans Söllner geradezu gefeiert. Das Lifestyle-Magazin Vice erklärte die bayerische Polizei gar zur "Heulsuse der Woche".
Was in der deutschlandweiten Berichterstattung damals deutlich zu kurz kam, war sowohl die kulturelle und integrative Bedeutung, die das Festival seit nunmehr 15 Jahren für den Landkreis Dachau einnimmt, als auch die bemerkenswerte ehrenamtliche Leistung, die dahinter steckt. Den Veranstaltern ist es bei allen neun Veranstaltungen gelungen, mit verhältnismäßig kleinem Budget national wie international bekannte Künstler und Bands, insbesondere aus der Reggae-Szene, in die zugewachsene Sandgrube am Ortsrand von Odelzhausen zu locken. Reggae-Fans aus ganz Deutschland bis nach Italien schätzen das Fest für seinen familiären Charme und das besondere Ambiente.
Friedliches Fest der Kulturen
In der Sandgrube, auf den Wiesen und im Wald zwischen den Bäumen werden mehrere Bühnen aufgebaut. Es ist ein buntes, friedliches Fest der Kulturen. Ein Fest der Vielfalt und der Toleranz, bei dem Menschen, egal welcher Herkunft, welchen Alters und welcher Gesinnung für zwei Tage zu einer großen Familie werden. "Es geht darum, sich zu begegnen, die Natur zu genießen und sich gegenseitig kulturell zu inspirieren", sagt Ralf Scheck, der das Festival mitbegründet hat.
Die Odelzhausener empfinden das Fest trotz des internationalen Anstrichs immer noch als ein Event, das zu ihrem Ort gehört. Beschwerden über den verstärkten Verkehr oder die Lautstärke gibt es kaum. Stattdessen mischen sich die Bewohner der 4500-Einwohner-Ortschaft unter das feiernde Volk und tragen so zu der besonderen Atmosphäre bei.
Ohne kommerzielle Absichten
Neben den Konzerten und DJ-Auftritten bekommen die Besucher auch zahlreiche Redebeiträge, Workshops, Performance-Shows und afrikanische Kulinarik geboten. Es ist besonders der soziale Gedanke, der dem Fest einen besonderen Charme verleiht. Die bis zu 100 ehrenamtlichen Helfer und das 20-köpfige Organisationsteam stellen das Benefizfestival seit Anbeginn ohne kommerzielle Absichten auf die Beine. "Wir wollen auf öffentliche Missstände wie mangelnde Freiräume für Jugendliche und die Situation von illegalisierten Menschen aufmerksam machen", sagt Scheck.
Für diese Zwecke werden die Erlöse größtenteils an kleinere, soziale Projekte gestiftet. Im vergangenen Jahr kamen sie dem Bayerischen Flüchtlingsrat, einem Kindergartenprojekt in Tansania und einem Nottelefon für Menschen in Seenot zugute. In München hat bereits mehrfach das Café 104 finanzielle Unterstützung erhalten, eine Einrichtung, die medizinische Versorgung und Beratung für Migranten ohne Aufenthaltsstatus gewährleistet. Insgesamt sind bereits fast 40 000 Euro an karitative Initiativen geflossen. Der restliche Gewinn wird ausschließlich für die Veranstaltung der Festivals verwendet. Seit 2001 wurden etwas mehr als 1000 Musiker und Kulturschaffende für das Festival engagiert.
Monatelange Vorbereitung
Der Verein versteht sich als stetig wachsender Freundeskreis oder wie Gründungsmitglied Ludwig Gasteiger es formuliert, "als große Community Kulturschaffender, die gerne Zeit miteinander verbringen". Gefestigte Hierarchien sucht man in dem Verein vergeblich. "Wir möchten die Zusammenarbeit demokratisch aufbauen und jedem Gehör und kreativen Freiraum bieten", sagt Gasteiger. Während das Fest anfangs noch von einer Handvoll Organisatoren und unter Mithilfe der Eltern und Verwandten organisiert wurde, erstreckt sich die Helfergemeinde heute von Odelzhausen über Dachau bis hin nach München und Augsburg. Die monatelange Vorbereitung des Festivals ist für die Helfer eine große Herausforderung und ein großes Wiedersehen zugleich.
Für ihr ehrenamtliches Engagement und ihren außergewöhnlichen Einsatz sind die Veranstalter des Riding Higher nach 2012 nun bereits zum zweiten Mal für den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung nominiert. Mit der Auszeichnung möchte die SZ junge Künstler und Kulturschaffende fördern und ihnen besondere Aufmerksamkeit verschaffen. Wenn es nach Hans Söllner ginge, wäre die Entscheidung wohl schon gefallen. "Auf diesem Festival möchte ich auch mal spielen", bot sich der gesellschafts- und systemkritische Liedermacher im Sommer letzten Jahres an. Die Mitglieder des Move-Together e.V. aber wollen ihr Festival, das rund 2000 Menschen besuchen, klein und familiär halten.