Benefizkonzert im Thoma-Haus:Tada-da-daa. Zack! Bumm!

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Die Bigband Dachau verbindet Tradition und Moderne miteinander. Sie zeigt sich weltoffen und ist gleichzeitig in der Stadt verwurzelt, wie ein Benefizkonzert für Sankt Jakob vor 180 Zuhörern im Thoma-Haus zeigt

Von Gregor Schiegl, Dachau

Aus dem Treppenhaus hört man sie schon, die Bläser und den Beat dieser verrückten Bigband Dachau. Dann wird die Flügeltür in den Stockmann-Saal geöffnet und wie die Marchingband eines schwer angejazzten Disco-Planeten ziehen sie ein, mit geschätzter Windstärke sieben auf der nach oben offenen Bläserskala, wippend und stampfend, ausstaffiert mit Sonnenbrillen, wüsten Hüten und sehr viel Glitzer und Leuchtgirlanden und mittendrin Bandleader Tom Jahn. Er trägt Turnschuhe mit bunt blinkenden Dioden und klatscht und johlt und springt, bis die etwa 180 Besucher im Dachauer Ludwig-Thoma-Haus auch langsam in Fahrt kommen und wippen und klatschen. Es ist ein Heimspiel, oder wie es der ursprünglich aus dem Bayerischen Wald stammende Jahn volkstümlich nennt, ein "Dachauer Hauskonzert". Man sei ja quasi unter sich, versucht er etwaige Berührungsängste abzubauen. "Und im Grunde sind wir alle miteinander verwandt." Am liebsten, scheint es, würde er die ganze Welt umarmen.

Im Juli treten sie alle beim großen Festival in Montreux auf

Dafür gibt es drei gute Gründe: Erstens ist Jahn, Spitzname Tom Tornado, von Haus ein Mensch, der vor Begeisterung überschäumt und beim Dirigieren Luftsprünge von bemerkenswerter Höhe hinlegt. Zweitens ist die erst vor wenigen Jahren gegründete Bigband, die aus zwei Dutzend sehr jungen, aber auch sehr talentierten Musikern besteht, eingeladen, im Juli auf dem Montreux Jazz Festival zu spielen, dem wohl weltweit bedeutendsten Jazzfestival. Davon ist die Band der Knabenkappelle Dachau, die Jahn mit schamlosem Understatement einen "Dachauer Blasverein" nennt, immer noch völlig von den Socken. Und drittens ist Jahn frisch gebackener Vater. Zur Geburt seiner Tochter haben ihm seine Musiker eine Babymütze geschenkt mit der Aufschrift: "Der verdammte Beat der Band meines Papas macht mich verrückt!". Das habe ihn zu Tränen gerührt, bekennt er.

Überhaupt wird viel geredet, bevor es richtig los geht, man muss ja auch einiges erklären. Bei diesem Konzert geht es in besonderem Maße um Dachau: Und das junge, frische, weltoffene Dachau, das diese Bigband geradezu idealtypisch verkörpert - und sicherlich auch in Montreux das Publikum staunen lassen wird. Und dann das traditionell-historische in Gestalt des prägenden Kirchturms der Stadtpfarrkirche Sankt Jakob. Beide stehen nicht mehr in einem ideologischen Gegensatz, wie das noch zu Zeiten war, als die von historischer Schuld stigmatisierte Stadt noch versuchte, mit einer glanzvollen 1200-jährigen Kulturgeschichte zwölf Jahre schlimmster Nazi-Barbarei zu überblenden. Weltoffenheit und Heimatverwurzelung scheinen nun logische Komplementäre zu sein. Organisator Günter Strittmatter dankt der Band, dass sie den Namen Dachau positiv in die Welt hinaustrage. Und Tom Jahn bekennt, dass ihn immer noch eine wohlige Gänsehaut überkomme, wenn er die Kirchenglocken seines eigenen Heimatortes im Bayerischen Wald höre.

"Ein Dachauer Wahrzeichen braucht Ihre HIlfe"

Über Sankt Jakob muss man nicht viele Worte verlieren. Jeder, der schon mal in Dachau war, kennt den Kirchturm mit seiner goldverzierten Uhr und seinem mit Kupferblech gedeckten Zwiebeltürmchen in der Altstadt-Silhouette. Der romanische Vorgängerbau wurde 1624 abgerissen, am Jakobitag, am 25. Juli 1629, wurde die neue Kirche im Renaissance-Stil eingeweiht. Viele Details kamen erst später: die Wendeltreppe im Turm, auch "Schneck" genannt, wurde 1646 gebaut. Bis dahin gab es auch noch keine Kirchturmuhr, die erste gab es 1657. Bis dahin war der Turm auch eher ein Türmchen. Erst 1678 bekam die Kirche ihren achteckigen Oberbau und ihren Zwiebelturm, wodurch sich die Höhe auf ihre heutigen 44 Meter quasi verdoppelte.

Nun muss der Turm allerdings einer grundlegenden Sanierung unterzogen werden. Risse haben sich in der Mauer gebildet, Feuchtigkeit ist eingedrungen, die alten Holztreppen sind marode, der Glockenstuhl angeschlagen. Gut 1,4 Millionen Euro werden die Reparaturen kosten. Das Erzbischöfliche Ordinariat übernimmt davon 987 000 Euro. Den Rest muss die Pfarrgemeinde zahlen, aber für einen Brocken von 424 000 Euro reichen die Rücklagen von Sankt Jakob nicht aus. Die fehlenden 80 000 Euro soll die Aktion "Ein Dachauer Wahrzeichen braucht Ihre Hilfe" bringen. Die Bigband hat ihren Teil dazu beigetragen. Mehr als Werbung für die gute Sache ist für die Kirche dabei leider nicht herausgekommen: Zu überschaubar war die Zahl der Zuschauer. Eintrittsgelder und Spenden am Konzertabend decken gerade mal die Ausgaben für Technik und Werbung.

Power, Präzision und Repetition

Für die Besucher hat es sich freilich gelohnt. Sie erleben eine Band, die einerseits enthusiasmiert ist von ihrem bevorstehenden Auftritt in Montreux und gleichzeitig noch frei ist von Leistungs- und Erfolgsdruck und sich ganz ihrer Spiel- und Experiementierfreude hingeben kann. "Wenn du nicht weißt, was es ist, dann ist es Jazz", zitiert Jahn den Ozeanpianist Danny Boodman T.D. Lemon Novecento, der in der gleichnamigen Geschichte von Alessandro Baricco, die Passagiere mit seiner wilden Musik total verrückt macht.

Nicht weniger tut die Bigband Dachau, die munter alle Stile von Swing, Pop, Funk, Hiphop, Walzer, Balkan-Trompetentechno und Metal zusammenführt. Sänger JJ Jones steuert dazu gerne noch eine funky Soul-Note dazu. Für den Schubadendenker mag das alles ziemlich durchgeknallt und verquer klingen, aber dem angeborenen Tanz- und Zappelzentrum ist das herzlich egal. Power, Präzision und Repetition dieses einzigarten Sounds reißen auch die schon ergrauten Besucher mit, wobei trotzdem genug Freiraum bleibt für Spontaneität und kunstvolle Improvisationen. So locker sitzt das Korsett, dass der Gastauftritt der gebürtigen Albanerin Alma Civeja mit ihrem angejazztem Balkan-Pop nicht aus dem Rahmen fällt. Die Bigband Dachau ist auch musikalisch eine einzige Umarmung.

Balkanpop gibt es von Albanerin Alma Civeja. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Dass die Entwicklung dieser fantastischen Band längst nicht abgeschlossen ist, zeigt die Premiere ihres "Techno No. 5". Ohne technische Frickeleien, nur mit Beat und ordentlich Wumms, bauen die zwei Schlagzeuger einen Beat auf, der jeden tiefergelegten BMW vibrieren ließe. Es folgenMelodiefetzen, die wie Loops eingestreut, variiert und verstärkt werden, bis sich immer mehr zu einer Melodie verdichten und die Bläser volle Kanne einige Takte von "Killing in the Name of" in den Saal schmettern. Rage against the Machine erfreut sich in der Blasmusik schon seit geraumer Zeit großer Beliebtheit, vor allem bei den Tuba-Spielern. Doch die Bigband walzt den Gag nicht aus: Sie nutzt ihn geschickt als Rampe zu Beethovens fünfter Sinfonie. Wenn du nicht weißt, was es ist, dann ist es Jazz: Tada-da-daa. Zack! Bumm!

© SZ vom 28.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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