Mitten in Dachau:Unerwünschte Leidenschaft

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Barry Whites Soulballaden entzücken nicht jeden. Schon gar nicht nachts um halb vier. Ein uneinsichtiger Liebhaber lauter Musik musste der Polizei Plattenspieler und Schallplatte ausliefern

Von Gregor Schiegl

Barry White trug zu Lebzeiten den Spitznamen "The Walrus of Love". Der gleichermaßen beliebte wie beleibte amerikanische Soul-Sänger brummte brünstige Balladen zu schleppenden Beats, während im Hintergrund die Geigen schmachteten. 2003 starb er im Alter von 58 Jahren, und die deutsche Au sgabe de s Rolling Stones würdigte seine markante Stimme mit dem kühnen Vergleich, sie sei wie ein "kosmischer Vibrator" gewesen. Diese erregenden Schwingungen raubten am Dienstag in der Silnerstraße einigen Dachauern den Schlaf: Barry White vibrierte kurz nach Mitternacht durch Mauern und Wände. Die Hausgemeinschaft war erregt, wenn auch nicht unbedingt sexuell. Man rief die Polizei, damit sie die nächtliche Ruhestörung umgehend abstelle.

Walrossgesänge nachts um halb vier

Die Beamten kamen und fanden einen 51-Jährigen in seiner Wohnung vor, selig von Alkohol und Barry Whites Kieselsteinstimme, die lüstern aus den Boxen grummelte und vielleicht auch schon ein wenig knisterte. Auf dem Plattenteller drehte sich eine Vinylscheibe, "eine immer seltener werdende Leidenschaft", wie im Polizeibericht vermerkt ist. Diese Leidenschaft hätten die Beamten dem audiophilen Mann gerne gegönnt - aber im stillen Kämmerlein, mit Kopfhörern. So dröhnten die Walrossgesänge auch in die anderen Wohnungen des Mehrfamilienhauses. "Normalerweise genügt in solchen Fällen eine freundliche Ermahnung der Beamten", heißt es im Polizeibericht. Doch gegen 3.30 Uhr brummelte Barry White immer noch. "There's just not enough of it, oh babe."

Als die Polizei erneut auf der Matte stand und den uneinsichtigen Mann aufforderte, die Musik endlich auf Zimmerlautstärke herunter zu drehen, eskalierte die Sache: Der unermüdliche Missionar des Souls drohte, die Regler noch weiter hochzuziehen, was womöglich nicht nur den Nerven der Nachbarn, sondern auch der Bausubstanz des Hauses irreparable Schäden zugefügt hätte. Es kam, wie es kommen musste. Die Beamten erklärten, die Höllenmaschine werde über Nacht sichergestellt, was der Besitzer mit allen Mitteln zu verhindern suchte. Gegen die geballte Staatsgewalt war er allerdings machtlos. Plattenspieler und Schallplatte verbrachten die Nacht bei der Polizeiinspektion Dachau.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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