Mitten in Dachau:Revolution mit dem Rad

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Seilbahn, Kapselsystem oder ein U-Bahn-Tunnel? Für die Verkehrswende in Dachau mangelt es nicht an Vorschlägen. Eine Idee kommt in der Debatte jedoch zu kurz.

Kolumne von Thomas Balbierer

Mit visionären Verkehrsprojekten hatten die Deutschen in ihrer Geschichte immer mal wieder so ihre Probleme. Als sich zum Beispiel Anfang des 20. Jahrhunderts das Automobil anschickte, die Straßen zu erobern, schlug deren Fahrern mancherorts blinder Hass entgegen. Dokumentiert ist etwa das Attentat von Hennigsdorf, einem Ort nördlich von Berlin. 1913 spannten bis heute unbekannte Täter in der Abenddämmerung ein dickes Drahtseil quer über eine Waldstraße, um ein entgegenkommendes Fahrzeug zu demolieren. Es traf, wie der Münchner Autoexperte Hans Straßl einmal schrieb, eine wohlhabende Juweliersfamilie. Als ihr rund 40 km/h schneller Opel "Torpedo" auf die Falle traf, starben Vater und Mutter, eine Tochter wurde schwer verletzt. Die Angst vor dem von vielen als brutal empfundenen Auto machte Menschen zu Mördern.

Weniger fatal, dafür umso unterhaltsamer lief der Streit um die zwischen Münchner Hauptbahnhof und Flughafen geplante Transrapid-Strecke ab. 2002 hatte CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber dem Projekt in seiner Zehn-Minuten-Rede zu legendärer Berühmtheit verholfen: "Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München ... mit zehn Minuten ... ohne, dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen ... am Hauptbahnhof in München starten Sie Ihren Flug." Doch trotz aller Wortgewandtheit sollte sich Stoibers Einsatz für den Transrapid nicht bezahlt machen, 2008 wurde das teure Projekt nach großem gesellschaftlichem Widerstand begraben.

Von derartigen Tiefschlägen sollte sich die Dachauer Politik bei der Suche nach Lösungen von Verkehrsproblemen wie Stau und Umweltverschmutzung aber nicht entmutigen lassen. Das Auto wurde schließlich doch zum Erfolgsmodell und der Transrapid fährt heute auch - zumindest in Shanghai. Wenn in Dachau also nun vorsichtig über Seilbahnen nach München und autonom fahrende Kapselsysteme gesprochen wird, scheint sich zumindest der Stau in den Köpfen der Politik zu lösen. Und wer immer noch glaubt, dass Verbrennungsmotoren Teil der Lösung sind, der ist entweder Gebrauchtwagenhändler oder Bundesverkehrsminister der CSU.

An Visionen für die Dachauer Verkehrswende mangelt es nicht. Die Linken und die Partei in Stadt- und Kreisrat wünschen sich sogar einen U-Bahn-Tunnel unter der Münchner Straße. Mit jeweils einem Mandat in beiden Gremien dürfte sich die politische Umsetzung jedoch ähnlich schwierig gestalten wie die von Stoibers Transrapid. Für alle, die auf Schwebe- und Untergrundbahnen nicht warten, aber trotzdem Teil der Verkehrswende sein wollen, gibt es ein weiteres revolutionäres Verkehrsmittel, das gar nicht erst erfunden werden muss. Es nennt sich Fahrrad.

© SZ vom 06.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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