Mitten in Dachau:Mensch ärgere dich nicht

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Eine Woche nach der endgültigen Volksfestabsage ist der Tag des Verzeihens

Kolumne von Jacqueline Lang

Ärger und Wut, diese Gefühle dürften wohl jedem bekannt sein - selbst dann, wenn man versucht negative Gefühle zu unterdrücken. Der Ärger etwa darüber, dass das Dachauer Volksfest nun endgültig und alternativlos abgesagt worden ist, dürfte gerade bei Schaustellern, die um ihre Existenz bangen, nach wie vor groß sein - und das ist wohl für die meisten Menschen auch nur allzu gut nachvollziehbar.

Nun will es Zufall, dass an diesem Freitag, 26. Juni, und damit nur eine Woche nach der Entscheidung der Stadt Dachau, der Tag des Verzeihens ist. Wer ihn nicht kennt: Das ist einer dieser kuriosen Feiertage, die kaum bekannt sind und die auch niemand feiert. Petra Arenberg, Soziologin und Verhaltenswissenschaftlerin an der SRH Fernhochschule, hat sich dennoch anlässlich dieses Tages die Mühe gemacht, zu erklären, dass Verzeihen ein Prozess ist, "in dem sich der Wunsch nach Rache oder Vergeltung in eine proaktive Orientierung und Motivation wandelt, hin zur positiven Gestaltung einer zwischenmenschlichen Beziehung. Gedanken, Emotionen und Verhalten gegenüber dem Täter verändern sich durch den Prozess." Danach stünden Vergeltung für den Schaden oder die Kränkung nicht mehr im Vordergrund, heißt es dazu in einer Pressemitteilung. Das Verzeihen sei eine bewusste Entscheidung, sie geschehe freiwillig. Dem "Täter" - in diesem Beispiel wäre das dann wohl die Stadt, beziehungsweise der Bund oder auch einfach das Virus - werde vergeben, dessen "Schuld" - in diesem Fall also die Volksfestabsage - bleibe aber trotzdem bestehen. Na dann.

Für alle, die sich mit dem Verzeihen schwertun, hat Arenberg gute Nachrichten: Verzeihen kann man lernen. "Mittlerweile gibt es Trainings und Therapien. Hilfreich sind auch Gedanken darüber, dass die Wirklichkeit und die Vergangenheit nicht mehr zu ändern sind. Man hat es selbst in der Hand und kann die Bedeutung des Konfliktes oder der Verletzung bestimmen." Denn, so versichert die Soziologin, verzeihen lohne sich: Die Forschung zeige, dass Personen, die verzeihen können, bessere Beziehungen haben. Sie gewinnen inneren Frieden, die positiven Gefühle und die Selbstachtung erhöhen sich. Aber das ist offenbar längst nicht alles: Menschen, die verzeihen, können besser schlafen, haben weniger Angst und sind seltener traurig. Auch eine Senkung des Blutdrucks und weitere gesundheitsförderliche Parameter konnten laut Arenberg nachgewiesen werden. So weit, so gut. Aber ob all das wirklich hilft, wenn man nicht weiß, wie es weitergehen soll? Im schlimmsten Fall führen solcherlei gut gemeinte Ratschläge doch wohl eher dazu, das Aggressionspotenzial noch weiter zu erhöhen. Vielleicht ist es deshalb also gar nicht so schlecht, dass kaum jemand den Tag des Verzeihens begeht, geschweige denn kennt.

© SZ vom 26.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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