Mitten in Dachau:Danke, Corona

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Das Jagdfieber ist entfacht. In diesen Zeiten kommen Sammelalben wieder in Mode

Von Benjamin Emonts

Sticker sammeln macht Spaß - das war schon früher mit den Kindern aus der Nachbarschaft so. Von elf hatten gewiss zehn ein eigenes Album, jedes davon ein Unikat. Auf manchen waren Einhörner zu sehen, auf anderen Papageien oder die schöne Barbie. Es gab Sticker als glitzernde Delfine oder kleine Koalas, die mit einem samtigen Stoff überzogen waren. Für einen Vorschulbub waren sie wie kleine Kunstwerke - bis sie eines Tages schlagartig uncool wurden. Auf dem rauen Pausenhofpflaster war Fußball angesagt! Wer nicht verprügelt werden wollte, der sammelte jetzt besser Abziehbilder von Lothar Matthäus als kleine, niedliche Glitzerkaninchen.

Spätestens als pubertierender Bengel war die Freude am Stickern völlig dahin - sie kam erst wieder, als die Coronakrise alles veränderte. Der längst ausgeflogene Junggeselle lebt wieder in seiner alten vertrauten Nachbarschaft, weil er in der Krise die Landluft dem Stadtleben vorzieht. Er geht für die Eltern, die besonderen Schutz vor dem Virus brauchen, regelmäßig zum Einkaufen. Und so kam er wieder zum Stickern.

Neben Produkten wie Hafermilch oder Trockenhefe, die er sonst nicht mal angeschaut hätte, sammelt der Sohn jetzt nämlich Treuepunkte, weil es die Eltern so wollen. Sie werden gesammelt und fein säuberlich in ein Stickeralbum mit Bratpfannen geklebt. Wenn man früher auf die Frage "Sammeln Sie Treuepunkte?" vielsagend den Kopf geschüttelt und "Nein, danke" gestammelt hat, erwidert man jetzt fast schon flehend "Ja, bitte." In Wahrheit hat den Chefeinkäufer der Ehrgeiz längst gepackt. War es damals der Anblick niedlicher Delfine, so ist es heute das triumphale Gefühl, eine angeblich 60 Euro teure Pfanne für lächerliche 7,99 Euro zu erstehen. Ob der Deal wirklich so toll ist? Völlig egal.

Denn dann passiert ohnehin Schreckliches. Viele Leute haben in der Krise offenbar viele Punkte gesammelt. Die Treueaktion, so liest man am Eingang des Supermarkts, wird bis auf weiteres eingestellt. Der Bratpfannenhersteller komme mit der Produktion nicht mehr hinterher. Vielen Dank, Corona!

© SZ vom 27.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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