Mitten in Dachau:Als Raufen noch Brauchtum war

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Die Überparteiliche Bürgergemeinschaft erinnert sich gern an früher und wünscht sich, das Volksfestschießen wieder aufleben zu lassen

Kolumne Von Viktoria Großmann

Früher war alles besser: Da war die Queen of Soul, Aretha Franklin, noch am Leben und wenn sie sang, weinte der Präsident der Vereinigten Staaten, der damals noch Barack Obama hieß. Damit war allein schon die weltpolitische Großwetterlage besser. Man konnte sich einbilden, dass mitsamt dem politischen auch das echte Klima gerettet werden könne. Womit einer der vielen klugen Sätze Karl Valentins bewiesen ist: Die Zukunft war früher auch besser.

Einleuchtend nachvollzogen werden kann die These, dass früher alles besser war, am Dachauer Volksfest. Da hatte der Kinderfestzug noch genügend Ehrenamtliche, es gab keine Sicherheitsprobleme und keine Kontrollen. Es durfte jeder mit seinem Hirschfänger in der Tracht umher laufen, Taschenmesser bei sich führen, Jugendliche mussten sich nicht durch Bändchen brandmarken lassen, Frauen wurden nicht belästigt, und wenn sich zwei prügelten, dann war das zünftiges Brauchtum. Früher waren die Grünen noch keine Partei, die am politischen Volksfestdienstag mitschnabelt, sondern eine Horde langhaariger Spinner. Die einzige Partei hieß CSU, und deren Köpfe waren damals auch besser.

Da ist es tröstlich zu wissen, dass sich noch eine Handvoll Menschen um Traditionen bemüht und ein bisschen der guten alten Zeit in die neue, ungemütliche Zeit hinüber retten will. Die Überparteiliche Bürgergemeinschaft, eine einzigartige Erfolgsgeschichte in der bayerischen Kommunalpolitik, der auf ewig zu verdanken ist, dass sich die Dachauer über Jahrzehnte nie an einen neuen Bürgermeister gewöhnen mussten, diese ÜB wird 60. Und zwar im nächsten Jahr, und wo könnte das eine volksnahe und traditionsverbundene Gruppierung besser feiern als auf dem Dachauer Volksfest? Aus diesem Anlass möchte sie "die schöne Tradition" des Volksfestschießens "wieder aufleben lassen". Das beantragt die Stadtratsfraktion. Alle Dachauer Schützenvereine dürfen sich beteiligen und können einen Pokal gewinnen. Nun sieht die Allgemeinheit offen getragene Messer und jeglichen Umgang mit Waffen aller Art heute nicht besonders sportlich. Schützenvereine klagen selten über zu große Jugendmannschaften. Das Ärgerliche ist eben, dass es so viele junge Menschen gibt, die sich einfach nicht daran erinnern können, dass früher alles besser war.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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