Medizin:Die neue Volkskrankheit

Lesezeit: 3 min

Warum Norbert Grüner als neuer Chefarzt des Heliosklinikums die Therapie von Lebererkrankungen als Schwerpunkt eingeführt hat

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Der neue Chefarzt für Innere Medizin Norbert Grüner inmitten der diagnostischen Apparate. (Foto: Toni Heigl)

Dass die Leber still ihren Dienst als zentrales Organ des Stoffwechsels und der Abwehrkräfte eines jeden Menschen verrichtet, ist ihr Vorteil und gleichzeitig ihr Nachteil. Sie kann belastet werden. Sie kann sich von allzu viel Schadstoffen sehr gut erholen. Ja, sie wächst sogar nach. Der Mensch weiß also, dass sie wichtig ist. Aber was soll's? Sie hält vieles bis alles aus. Erfahrungsgemäß meldet sich die Leber mit ihren Problemen erst, wenn es wortwörtlich zu spät oder im besten Fall fast zu spät ist. In der Rangliste der Organe führt die Leber ein Schattendasein. Wer nach ausgewiesenen Leberspezialisten sucht, findet in München und Umgebung gerade mal eine Handvoll niedergelassener Ärzte. Die Faszination für das Organ in Fachkreisen entspricht offenbar dem Gleichmut im Volksmund. Da kommt die Leber nur in einem zur sarkastischen Überheblichkeit verdichteten Trinkerspruch vor: "Die Leber wächst mit ihren Aufgaben."

Insofern ist es überraschend, dass am Heliosklinikum in Dachau der neue Chefarzt für die Innere Medizin und damit Nachfolger von Gunter Kachel ein Lebespezialist vom Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München ist. Anscheinend hat Norbert Grüner ein spezielles Verhältnis zur Leber, die er im Lauf des Gesprächs über seine Tätigkeit quasi zum Leben erweckt. Sie reift zu einer eigenständigen Persönlichkeit, so dass sich die Frage aufdrängt, wie denn ein Arzt zu seinem Fachgebiet kommt. Wählt er das jeweilige Organ aus oder ist es eher umgekehrt? Im Fall von Norbert Grüner ist die Antwort eindeutig. Lassen wir ihn erzählen:

Es wäre ja wunderbar, sagte er, wenn sich Leberprobleme auf den Alkoholkonsum als einzig relevante Ursache zurückführen ließen. "Außerdem ist Alkohol in Maßen nicht unbedingt schädlich für die Leber." Das Problem ist das Maß. "Man weiß sogar, dass geringfügiger Konsum von Alkohol lebensverlängernd wirken kann." Eine knappe Halbe Bier pro Tag für den Mann und ein viertel Liter für die Frau sind also durchaus drin. Aber aus seiner Erfahrung als Oberarzt am Klinikum Großhadern weiß er, dass die Gefahren für die Leber noch ganz andere sind.

Norbert Grüner ist 47 Jahre alt, stammt aus Weiden in der Oberpfalz und spricht ein weiches bayerisch geprägtes Deutsch. Er hat Medizin in Erlangen studiert und ist bereits als Arzt im Praktikum, der letzten Phase des Studiums, nach Großhadern in München gekommen. Dort hat er sich sehr bald auf die Innere Medizin spezialisiert und ist in einer Forschungsgruppe aufgenommen worden, die - jetzt kommt's - sich bis heute der Leber verschrieben hat. Außerdem war das kollegiale Verhältnis untereinander so groß, dass es Norbert Grüner auch nicht schwer fiel, dort zu bleiben. Er spricht von einem "Glücksfall." Der möchte Grüner auch für Stadt und Landkreis Dachau werden. Seit kurzem trägt er den Titel eines Professors der Ludwig-Maximilians-Universität München.

"Nicht alkoholbedingte Fettlebererkrankungen in Industriestaaten haben eine Inzidenz, also Häufigkeit, von 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung." Demnach ist die Fettleber "die hepatische Manifestation des metabolischen Syndroms". Einfach gesagt: Die Ernährungsweise führt dazu, dass die Fettleber entsteht, weil sie all die Zusatzstoffe in Lebensmitteln wie Fructose nicht mehr verarbeiten kann. Zehn Millionen Menschen in Deutschland haben sie. Und eine Vielzahl von ihnen braucht dringend eine Therapie.

Dann listet Grüner all die Erkrankungen auf, die direkt mit der Leber zu tun haben. Da kann es einem schummrig werden, und man würde sich wünschen, die Leber wäre nicht so geduldig mit einem oder würde unmittelbar auf jede Missachtung sofort reagieren, wie ein verstimmter Magen. "Virushepatitiden, Autoimmunhepatitiden, das Rheuma der Leber, Stoffwechselerkrankungen und Speichererkrankungen, um nur einige zu nennen. Hepatitiden bedeutet übersetzt Leberentzündungen.

Grüner sagt: "Die Leber ist ein ganz breites Feld." Anscheinend ist es ein so bedrohliches, dass man froh sein muss, einen Spezialisten am Klinikum zu haben. Und wenn die Müdigkeit sich meldet, die im Volksmund als "der Schmerz der Leber", gilt, dann, sagt Grüner, "befinden wir uns schon im fortgeschrittenen Stadium". Denn: "Im Frühstadium einer Lebererkrankung gibt es kein Symptom."

Was also tun? Der Arzt kann versuchen, über Blutwerte herauszufinden, ob und wie die Leber des Patienten ausschaut. Aber der Blick darauf reicht nicht aus. Aus seiner Erfahrung weiß er, dass "erhöhte Leberwerte oftmals nicht weiter verfolgt" werden. Hier will Grüner das Bewusstsein der niedergelassenen Ärzte schärfen. "Es wäre wünschenswert, wenn Leberwerte Teil der Vorsorgeuntersuchungen würden." Grüner macht auch Hoffnung: "Lebererkrankungen sind heutzutage gut behandelbar, wenn auch nicht in allen Fällen heilbar."

Aber fühlt er sich dann an einem eher kleineren Krankenhaus im Vergleich zu Großhadern am richtigen Platz? Zunächst allein schon, weil er in Bayern bleiben kann. Nach Norddeutschland wäre der gebürtige Oberpfälzer nach eigenen Worten "wohl nicht gewechselt". Dann strebte er, wie viele andere Kollegen der Universitätsklinik, einen Führungsposten in einer Klinik an. Dachau liegt außerdem nahe zu seinem Puchheimer Zuhause, wo er mit seiner Frau lebt. Sie ist Tourismusmanagerin. Außerdem sagt er: "Ich bin mir sicher, dass ich viele Fälle anvertraut bekommen werde." Nach ersten Fachvorträgen im Landkreis hätten ihm schon einige niedergelassenen Ärzte mehrere Patienten geschickt.

Außerdem ist die Leber nicht sein einziger Schwerpunkt. Er will die anderen diagnostischen Verfahren, die Vorgänger Gunter Kachel entwickelt hat, weiterführen und auch ausbauen. Dazu zählt er die Behandlungen für Darmentzündungen. Dafür hat er eigens einen Kollegen mitgenommen. "Insgesamt kann ich auf einem hervorragenden medizinischen Fundament aufbauen."

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: