Portrait zum Jubiläum:Kompromisslose Kämpferin

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Lili Schlumberger-Doğu versteht sich selbst als Pazifistin. Doch nun steht sie nicht mehr so im Rampenlicht. (Foto: oh)

Es ist still geworden um Lili Schlumberger-Doğu. Jahrzehntelang prangerte sie Missstände an, schrieb zahlreiche Leserbriefe, doch ihre politische Laufbahn in Dachau war kurz. Jetzt hat sie 70. Geburtstag gefeiert

Von Thomas Balbierer, Dachau

Lili Schlumberger-Doğu schreibt keine Leserbriefe mehr. Zeitung lese sie nur noch selten, sagt sie. Ist ja lange her, dass sie sich mit Zuschriften an die Süddeutsche Zeitung in das politische Leben in Dachau einmischte. Kurz nach der Jahrtausendwende verging kaum eine Woche ohne Zuschrift von ihr. Sie schrieb über Krieg und Frieden, begründete Rücktritte und wetterte gegen Bundes- und Lokalpolitik. "Menschenrechte eklatant verletzt" stand als Titel über ihrem vorerst letzten Brief, er erschien am 14. November 2008. Darin kritisierte sie den Umgang mit Asylbewerbern in Dachau - eines ihrer Herzensthemen. Schlumberger-Doğu gibt ein knappes Lachen von sich, wenn man sie heute auf ihre Karriere als Leserbriefschreiberin anspricht. Die Zeit ist längst vorbei.

Als linke Stimme im konservativen Dachau eckte Schlumberger-Doğu an. In den 1980ern und 1990ern protestierte sie als Pazifistin gegen die Aufrüstung, setzte sich als Sprecherin des Bayerischen Flüchtlingsrates für die Rechte von Ausländern ein und kämpfte gegen die Luftverschmutzung in der Stadt. 1994 scheiterte sie als Kandidatin der Grünen knapp am Einzug in den Bundestag. Immer wieder prangerte sie öffentlich Missstände im Umgang mit Minderheiten an. 2005 verdammte sie in einem Leserbrief das reformierte Sozialsystem: Durch Hartz IV würden Arbeitslose "zerwaltet", schrieb sie. Inzwischen ist es still um die einst so streitbare Frau geworden. Am Mittwoch wurde Schlumberger-Doğu 70.

Blickt man auf ihre politische Laufbahn, bleibt man unweigerlich an der Kommunalwahl vor 18 Jahren hängen. 2002, das Schicksalsjahr ihrer Karriere. Sie trat als OB-Kandidatin für das junge Bündnis für Dachau an. Ihr Ziel: eine sozialere und ökologischere Stadt. "Kein Wachstum um jeden Preis", lautete damals ein Wahlkampfspruch. Das Ergebnis im März enttäuschte. Gegen Amtsinhaber Karl Piller (ÜB) und CSU-Herausforderer Peter Bürgel hatte sie keine Chance. Schlumberger-Doğu schaffte immerhin den Sprung in den Stadtrat. Doch es sollte ein kurzes Mandat werden.

Wenige Tage nach der Wahl wurde der Verdacht öffentlich, dass die Abstimmung durch CSU-Politiker manipuliert wurde. Der Verdacht erwies sich als richtig. Auch weil Politiker wie Schlumberger-Doğu den Skandal in die Öffentlichkeit brachten. Am 26. März 2002 forderte sie - wiederum per Leserbrief in der SZ - eine "schonungslose Aufklärung" der Affäre und prognostizierte einen schweren Vertrauensverlust der Bürger in die Politik. Es kam anders. Der CSU blieb ein Desaster erspart, bei hoher Wahlbeteiligung verlor sie nur zwei Sitze. Noch bitterer für Schlumberger-Doğu: Auch ihr Bündnis büßte bei der Wahl ein Mandat ein - ihr eigenes. Die Dachauer schienen ihre Rolle bei der Aufklärung des Skandals nicht honoriert zu haben.

"Dass wir abgestraft wurden, hat mich damals schon geärgert", sagt die Politikerin 18 Jahre später. Für sie ist die Skandalwahl noch immer der "Tiefpunkt der politischen Kultur". Aus ihrer Sicht sei die Affäre "nie richtig aufgearbeitet" worden. 2003 wurden die beiden Wahlfälscher zu Bewährungsstrafen verurteilt. Wut spüre sie aber längst nicht mehr. "Ich sehe das inzwischen emotionslos", sagt die Rentnerin. "Man darf in der Politik nicht verbittern."

Nach dem Aus im Stadtrat überwarf sich Schlumberger-Doğu mit ihrer eigenen Partei und trat aus dem Bündnis aus. Es war nicht der erste Bruch in ihrer politischen Vita. Ende der 1990er verließ sie wegen der Beteiligung der rot-grünen Bundesregierung am Kosovo-Krieg die Grünen. Später kehrte sie wegen Auseinandersetzungen auch der von ihr mitgegründeten WASG den Rücken. Seit 2007 ist sie Mitglied der Linken.

Als Einzelkämpferin will sich die selbsterklärte Pazifistin jedoch nicht sehen. "Ich wollte nur nicht jeden faulen Kompromiss mitmachen", betont sie. Peter Heller, einer der Gründer des Bündnisses für Dachau, hat Schlumberger-Doğu als "geradlinige und kompromisslose" Politikerin in Erinnerung. Sie habe sich als "aufrechte Vertreterin für Minderheiten, Diskriminierte und Verfolgte" stets der Sache verpflichtet gefühlt, so Heller. Mit ihrer Art, den Finger in die Wunde zu legen, habe sie aber viele Leute vor den Kopf gestoßen.

Das wird deutlich, wenn man ihre politischen Konkurrenten von damals befragen will. Alt-OB Kurt Piller, gegen den Schlumberger-Doğu 2002 angetreten war, möchte lieber nichts sagen. "Schreiben Sie was Schönes", sagt Piller, dann endet das kurze Gespräch. Auch Bündnis-Stadtrat Kai Kühnel, der Schlumberger-Doğus Parteiaustritt vor 18 Jahren mit einem trockenen "Gott sei Dank" kommentierte, lässt sich heute keine Einschätzung mehr entlocken. Eine CSU-Politikerin bittet um Verständnis, sie wolle wirklich nichts sagen.

Lili Schlumberger-Doğu hat Dachau verlassen. Nach dem Tod ihres Mannes, dem Dichter Cengiz Doğu, hat sie im vergangenen Jahr ihre Wohnung in der Stadt aufgegeben und ist nach München gezogen. Dort lebt sie als Rentnerin in einer WG und sitzt für die Linke im Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg. Auf die Entwicklung Dachaus blickt die 70-Jährige heute nicht mehr so kritisch. "Die Stadt wird moderner", sagt Schlumberger-Doğu. Sie klingt fast ein wenig versöhnlich.

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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