Lebensborn-Kinder:Schuld und Schande

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Heilwig Weger wurde in der NS-Zeit als uneheliches Kind geboren - ihr Trauma verarbeitet sie jetzt in einem Buch.

Von Petra Neumaier

Als „Verbrecherkind“ geschmäht: Weil ein SS-General zu ihrem Stiefvater wurde, zeigten Nachbarn und Kinder auf Heilwig Weger. Foto: Heigl (Foto: Toni Heigl)

Sie ist kein typisches Lebensbornkind. Keines, das nicht weiß, wer es ist und woher es kommt. Keines, das während des Zweiten Weltkrieges geraubt, abgegeben oder zur Adoption freigegeben wurde. Die 75-jährige Heilwig Weger, die im Rahmen der Ausstellung "Der Lebensborn" im Ludwig-Thoma-Haus ein Zeitzeugengespräch führte, steht jedoch für die Kinder jener Zeit, die ihr Leben lang Schuld auf ihren Schultern tragen - einfach, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort auf die Welt kamen. Und weil sie Kinder waren, die ihren Eltern vertrauten und nicht sahen, was sie nach Meinung der heutigen Generationen hätten sehen müssen.

Sie ist eine Nummer: Als Lebensbornkind 364 kommt Heilwig im Jahre 1938 auf die Welt. In dem Vorzeigeheim für ledige Mütter bei Steinhöring. Anonym, unehelich, in Schande geboren - wie die 363 Kinder vor und noch viel mehr nach ihr. Ihre Mutter ist die junge Witwe Eleonore von Brüning, die aus erster Ehe schon zwei Kinder hat und nach dem Tod ihres 29 Jahre älteren Gatten ein kurzes Verhältnis zu einem verheirateten Mann hatte. Die Familie will von dem "Bastard" nichts wissen, Eleonore lässt die Tochter zunächst im Heim. Täglich fährt sie ihre Muttermilch zu dem Kind, bis der Bruder dem Versteckspiel ein Ende setzt und sie heimholt. Weiterhin von der Großmutter verachtet.

Vermutlich ist es ein Lichtblick für die Mutter dreier Kinder, dass sich schon im Lebensbornheim Heinrich Himmler bei einem Besuch für sie interessiert. Er nimmt sich der großen, schlanken, blonden Frau und ihres hübschen Babys an, holt sie auch von ihrem Schuldenberg runter. Schließlich verkuppelt er sie mit dem SS-General Oswald Pohl. Das Spießrutenlaufen als vaterloses Kind hat für das vierjährige Mädchen ein Ende. Endlich ist der "Papi" da, ein lieber, aufmerksamer und lustiger Papi, der die Familie auf das SS-Gut Comthurey in Mecklenburg holt, wo sie drei unbeschwerte Jahre verbringen. Himmler kommt oft zu Besuch, Hand in Hand geht er mit der ahnungslosen kleinen Heilwig spazieren. Dass Oswald Pohl sie nur adoptiert hat, wird ihr verheimlicht. Wie vieles andere auch.

Ja, sagt die Rentnerin heute, KZ-Häftlinge haben bei ihnen gearbeitet. Aber es ging ihnen recht gut, dafür habe besonders die Mutter gesorgt. Und dann liest sie einen Brief der ehemaligen Kinderfrau vor, die die "schöne Zeit" auf dem Gut dankbar beschreibt. Stille. Und eine Menge Fragezeichen im Raum. Die glücklichen Jahre, die nur durch die Geburt der behinderten Schwester getrübt werden (dank der Beziehungen darf sie aber überleben), währen nicht lange: Zum Ende des Krieges muss die Familie nach Bayern flüchten, der Vater wird verhaftet und zum Tode verurteilt. "Wenn ein Krieg verloren ist, müssen immer welche den Kopf dafür hinhalten", sagt die Mutter der Achtjährigen. Immer wieder besuchen sie Oswald Pohl im Gefängnis, einmal mit einer im Saum ihres Kleidchens versteckten Zyankali-Kapsel, die der Vater jedoch in der Toilette verschwinden lässt. Am 7. Juni 1951 wird er hingerichtet.

"Dein Vater ist tot, aber er ist ja gar nicht dein richtiger Vater". Heilweg Weger klingen die gehässigen Kindergesänge auf der Straße immer noch nach. Denn erst im Alter von 13 Jahren erfährt sie, dass Oswald Pohl, der verurteilte NS-Verbrecher, gar nicht ihr leiblicher Vater ist. Erleichterung? Heilwig Weger schüttelt den Kopf. Krank wird sie als 14-Jährige, Gelenkrheuma und anderes. Lange muss sie ins Sanatorium, die Gymnasien versagen trotz guter Noten die Aufnahme des "Verbrecherkindes", wieder zeigen Nachbarn, Rektoren, Kinder und Jugendliche mit dem Finger auf sie. Arbeit findet die junge Frau nur schwer. Heilwig Pohl beginnt zu schweigen. Und nach ihrem leiblichen Vater zu suchen. Mit 18 findet sie ihn. Und Antworten auf ihre vielen Fragen.

Und dann heiratet Heilwig Weger. Ihre Mutter zerbricht an der Vergangenheit und der Pflege für die behinderte Tochter. Nach der Geburt des ersten Kindes ihrer Tochter Heilwig nimmt sie sich das Leben. Zwei weitere Kinder folgen, der Älteste stellt schließlich Fragen. Heilwig Weger muss antworten, erzählt ihre Geschichte. Die Kinder sind schockiert, recherchieren, ein Sohn wird zum Historiker. Die Schwiegertochter bricht mit ihr, jahrelang verweigert sie den Kontakt zum Enkel. Vielleicht war das der Auslöser, dass Heilwig Weger ihr Schweigen bricht und mit Dorothee Schmitz-Köster ein Buch über ihr Leben schreibt. Dass sie auch Kontakt zu anderen Lebensborn-Kindern aufnimmt, die sich mit der Vergangenheit auseinander setzen. Das Schuldgefühl bleibt. Das Gefühl, schuld zu sein, dass die Mutter wegen ihr in ein Lebensbornheim musste, wo sie Himmler traf, mit Pohl verheiratet und in seine Verbrechen hineingezogen wurde, ein behindertes Kind bekam. "Wenn sie mich nur zur Adoption freigegeben hätte", sagt sie heute.

© SZ vom 20.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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