Landwirtschaft:Unmut auf weiter Flur

Lesezeit: 4 min

Seit Jahresbeginn müssen Landwirte Öko-Zonen auf ihren Äckern einrichten, sonst werden ihnen die Subventionen gekürzt. Die Bauern beklagen die Bürokratie, Naturschützer den geringen Effekt, nur das Amt ist zufrieden. Eine Zwischenbilanz

Von Sebastian Jannasch, Dachau

Bis zur Hüfte steht Landwirt Josef Brandmair, 51, kräftig, dunkelgrüner Pullover, olivfarbenes Basecap, im Gestrüpp. "Das hier", ruft er und reißt entschlossen einige Stängel aus dem Acker, "sind Phacelia, Ramtillkraut und Perserklee - Zwischenfrüchte." Die Pflanzen reichern den Boden an, bieten Tieren Nahrung und schützen vor Erosion. Landwirte dürfen diese Anbaugebiete deshalb als Öko-Fläche ausweisen. Das hilft der Umwelt - und sichert den Bauern Zahlungen aus Brüssel.

Seit Anfang des Jahres gelten strengere Umweltvorschriften, die Bauern einhalten müssen. Andernfalls werden ihre Direktzahlungen von der EU empfindlich gekürzt. Um bis zu 30 Prozent. Bei massiven Verstößen sogar noch mehr. Das sogenannte Greening ist ein Schreckgespenst für viele Landwirte. Dahinter verbergen sich Auflagen für eine schonendere Landwirtschaft und größere Artenvielfalt. Für konventionelle Betriebe mit mehr als 15 Hektar Ackerfläche bedeutet das, dass sie fünf Prozent davon als "ökologische Vorrangfläche" bereitstellen müssen. Landwirte können zum Beispiel Brachen anlegen, Blühstreifen säen, Pufferzonen zu Gewässern schaffen oder bodenaufbereitende Zwischenfrüchte anbauen.

1 / 3
(Foto: Niels P. Joergensen)

Um die Öko-Bilanz aufzubessern, können Bauern Zwischenfrüchte säen, die den Boden aufbereiten.

2 / 3
(Foto: Niels P. Joergensen)

Landwirt Brandmair stöhnt über die bürokratischen Auflagen.

3 / 3
(Foto: Niels P. Joergensen)

Naturschützern reichen sie aber nicht: Sie wollen mehr Brachen, in denen Tiere Schutz finden.

Doch viele Bauern lehnen diese Einmischung vehement ab. Sie wollen ihre Felder effizient und gewinnbringend bewirtschaften. Freiflächen dagegen kosten Geld. "Es gibt zu viele Begehrlichkeiten an den Ackerflächen, der Existenzgrundlage für Bauern. Irgendwann erreichen wir den Punkt, an dem es zu kostspielig wird, die Lebensmittelversorgung in Dachau eigenständig zu sichern", fürchtet Simone Strobel, Geschäftsführerin des Bauernverbandes im Landkreis. Landwirt Brandmair aus Haimhausen wollte die Öko-Zone auf seinen 48 Hektar nicht ungenutzt lassen. "Ich habe Acker- und Sojabohnen angebaut, um die EU-Auflagen zu erfüllen." Einen Teil der Eiweißpflanzen kann er gleich als Futter für seine Mastbullen nutzen.

Aktuelle Zahlen des für Dachau zuständigen Landwirtschaftsamtes in Fürstenfeldbruck zeigen nun, dass die Landwirte im Kreis die EU-Regeln einhalten - wenn wohl auch widerwillig. Insgesamt sind 534 Bauern im Kreis verpflichtet, Umwelt-Flächen einzurichten. Befreit sind beispielsweise Bio-Bauern. Auf mehr als 80 Prozent der Öko-Flächen werden Zwischenfrüchte angebaut. Mit weitem Abstand folgen Eiweißpflanzen (etwa acht Prozent) wie Sojabohnen, die Stickstoff im Boden binden. Gerade einmal sieben Prozent der Sonderflächen liegen brach. Freie Streifen an Wäldern, Feldern oder Gewässern, die Tieren Zuflucht und Nahrung bieten sowie Wasserverunreinigungen verhindern können, werden verschwindend selten eingerichtet. Denn das ist aufwendig und bringt nichts ein.

Quelle: SZ-Grafik (Foto: N/A)

Damit verfehlt die EU-Reform ihr eigentliches Ziel, kritisieren Naturschützer. Ginge es nach ihnen, sollten Flächen brachliegen oder mit Hecken und Wiesen versehen werden. "Vögel, Rehe, Feldhasen und Käfer benötigen Rückzugsflächen. Um deren Lebensraum wirkungsvoll zu schützen, braucht es mindestens zehn Prozent ganzjährig ungenutzte Ackerfläche", erklärt Florian Schöne, Agrarexperte beim Naturschutzbund NABU. Das sei auch ursprünglich der Vorschlag auf EU-Ebene gewesen. Dagegen seien aber die Bauernverbände mit dem Kampfbegriff der "Zwangsstilllegung" zu Felde gezogen. Dank der Lobbyarbeit wurde die Vorgabe schließlich auf fünf Prozent zurechtgestutzt - und die landwirtschaftliche Produktion auf einigen Flächen doch zugelassen. Der positive Effekt sei nun nur noch "mikroskopisch klein", beklagt Schöne. Unverständlich findet auch Roderich Zauscher vom Dachauer Bund Naturschutz, dass auf bestimmten Öko-Flächen gespritzt und gedüngt werden darf. Das führe den erklärten Vorrang ökologischer Ziele ad absurdum. Dem einzelnen Bauern möchte er aber nicht den schwarzen Peter zuschieben: "Das ganze System ist kaputt."

Auch Max Lederer, Vorsitzender des Dachauer Jägervereins, reichen die jetzigen Öko-Zonen bei weitem nicht. "Das Wild braucht größere Schutz- und Nahrungsflächen, gerade im Winter", erklärt er. Lederer macht die expandierende Landwirtschaft dafür verantwortlich, dass die Bestände bestimmter Arten wie Rebhuhn und Fasan so geschrumpft sind.

Während Brachen die Herzen von Naturschützern höherschlagen lassen, ist es für Landwirt Brandmair ein "Verbrechen", fruchtbaren Boden für den Anbau von Lebensmitteln ungenutzt zu lassen. Auch ärgert ihn der enorme bürokratische Aufwand. "Das liebe Büro", sagt der 51-jährige Landwirt ironisch stöhnend, als er zurück vom Feld durch die Tür seines stattlichen Bauernhauses in Haimhausen tritt und auf das Zimmer gleich hinter dem Eingang weist. Dort lagert ein schwerer Aktenordner, in dem Brandmair haarklein dokumentiert, wie er den Umweltanforderungen nachkommt. 124 Seiten dick ist allein das Werk des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das regelt, wie die Vorschriften aus Brüssel auf dem Acker umgesetzt werden müssen. Auf Seite 50 heißt es etwa, dass ökologisch wertvolle Waldrandstreifen höchstens zehn Meter breit sein dürfen. Öko-Flächen an Feldern dagegen maximal 20 Meter, heißt es zwei Seiten vorher. Landwirt Brandmair ärgert so etwas. "Es ist zu verworren. Jedes Jahr hocke ich länger in meinem Büro anstatt auf dem Acker zu sein."

Auch Simone Strobel vom Bauernverband beklagt die Bürokratie. "Die einzelnen Greening-Regeln mögen nachvollziehbar sein, aber sie sind sehr komplex. Sie sind auch bei weitem nicht die einzigen Umweltvorschriften. Viele Bauern sind heillos überfordert." Werde dann mal bei einer amtlichen Überprüfung ein Fehler in der Flächennutzung entdeckt, stehe der Bauer gleich im Verdacht, böswillig getäuscht zu haben. Bisher gibt es dafür allerdings keinen Anlass. Bei etwa fünf Prozent der Landwirte werden die Öko-Zonen kontrolliert. Noch sind die Überprüfungen nicht abgeschlossen. Birgit Scharrer, Oberinspektorin beim zuständigen Landwirtschaftsamt, ist aber zufrieden mit der bisherigen Umsetzung der Greening-Anforderungen, da "der Großteil der Landwirte sich an die Vorgaben hält". Sanktionen wegen unzureichender Öko-Flächen wurden noch nicht verhängt, auch weil sich das Greening noch in der Einführungsphase befindet. Das bayerische Landwirtschaftsministerium sieht dennoch Nachbesserungsbedarf. Die Kritik der Bauern an den bürokratischen Lasten hat die Behörde an den Bund und die EU weitergegeben. Bayern setzt sich beispielsweise dafür ein, die Anforderungen an Öko-Vorrangflächen zu vereinfachen. Bis Anfang 2017 will die EU-Kommission die Umweltregeln überprüfen. Anschließend könnte die Reform der Reform folgen. Landwirt Brandmair ist gewappnet. Im Aktenordner ist noch Platz.

© SZ vom 17.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: