Landkreis Dachau:Alle hängen an der Nadel

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Früher war Stricken nur was für Omas, heute begeistern sich auch junge Leute dafür: Ein Besuch im Dachauer Cotton Club.

Aline Pronnet

DachauWer sich zum Stricken Wolle kauft, tritt meist in etwas zu ruhige Lädchen, die von älteren Damen geführt werden. Anders ergeht es einem im Cotton Club in der Dachauer Altstadt. "Früher war hier ein typisches Wollgeschäft, eng, finster, staubig und irgendwie gruselig", sagt Barbara Reischl, die junge und dynamische Inhaberin des Cotton Clubs.

Hier kriegt sich keiner in die Wolle: Im Cotton Club in der Dachauer Konrad-Adenauer-Straße stricken Alt und Jung einträchtig miteinander bei Kaffee und Kuchen, allen voran Kathi Kraft (rechts). (Foto: DAH)

Im April 2008 eröffnete sie an ihrem Geburtstag das moderne Wollgeschäft. Die gelernte Physiotherapeutin hatte eigentlich nie vor, ein Wollgeschäft zu betreiben, doch als die alte Inhaberin eine Nachfolgerin suchte, griff sie zu. Um den Umbau zu bewältigen, halfen Freunde und Bekannte. Nahezu alles wurde herausgerissen, etwa zwei Tonnen Sperrmüll mussten aus dem Laden geschafft werden. Ihr damals zehnjähriger Sohn half, die großen Schaufenster auf Hochglanz zu polieren.

Seitdem tritt man in einen hellen, freundlichen Laden. Durch das Schaufenster des blauen Ladens blickt man auf die raumhohen braunen Regale, die bis obenhin mit bunten Knäuel, nach Marken und Farben sortiert, gefüllt sind. Und sollte man in Sortiment einmal nicht fündig werden, kann man es auf der eigenen Internetseite in der Tauschbörse versuchen.

Mit ihrem Laden versucht Barbara Reischl dem "altbackenen Strick-Image" entgegenzuarbeiten. Damit hat sie genau den Nerv der Zeit getroffen, denn weltweit wird Stricken, gerade bei jungen Leuten, wieder modern. Auch durch Guerilla Knitting, eine urbane Kunstbewegung, die durch Gestricktes an Ampeln oder Bäumen auch in München auffällt, werden viele junge Leute neugierig. An den meisten Kunstwerken ist der Link zu Blogs angehängt, auf denen die Künstler Fotografien ihrer Handarbeit zeigen, die an Gegenständen im öffentlichen Raum hängen.

Handarbeit ist immer etwas Persönliches und in einer Welt, in der jeder dieselben Sachen von bekannten Textilketten trägt, suchen junge Leute nach einer Ausdrucksform ihrer Individualität, auch durch selbst gemachte Kleidung. Dass immer mehr junge Leute, auch Jungs, in ihren Laden kommen und nach neonfarbener dicker Wolle fragen, stellt Barbara Reischl fest. "Gerade Mützen sind diesen Winter voll im Trend, oder die Schlauch-Schals, das bekommt mit ein bisschen Geduld jeder hin."

Man braucht meist nicht einmal eine geduldige Oma, die einem die richtige Technik zeigt oder die Fehler ausbessert: Auf Youtube findet man diverse Videos mit guten Anleitungen. Natürlich müssen viele erst einmal das Trauma überwinden, das sie seit dem Handarbeitsunterricht der Grundschule mit sich schleppen: Mit kratziger, starrer, meist mausgrauer Wolle mussten sie sich eher weniger erfolgreich abmühen.

Für Fortgeschrittene reichen Youtube-Videos nicht, sie suchen in Strickmagazinen, die im Cotton Club ausliegen, nach Herausforderungen. "Mich hat das immer gestört, dass man sich die Strickmagazine in anderen Läden nicht richtig ansehen kann", also hat Barbara Reischl Sessel, Couchen und kleine helle Marmortischen aufgestellt. Wöchentlich wird dieses kleine Strickkaffee, wie der Cotton Club auch heißt, bei Stricktreffs genutzt: Gemeinsam wird bei Kaffee und Kuchen gestrickt - Freitag, Samstag, Mittwoch.

Der harte Kern besteht aus 15 Damen, das Altersspektrum kann von 19-jährigen Abiturientinnen bis zu 75-jährigen Großmüttern reichen. Die meisten Damen kennen sich, in gemütlicher Runde tauschen sie sich über Haustiere und Kinder aus, nur nebenbei über ihre pinken, türkisen und lila Strickarbeiten, die sie ohne hinzusehen stricken. Immer wieder betonen sie, dass sie, nur weil sie stricken, keine Omas seien.

Wer trotz verständlicher Videos nicht selbst zu den Nadeln greifen will, kann sich im Cotton Club von Hannah, Anfang 70, zum Beispiel einen komplizierten Pulli stricken lassen. Hannah ist die Verkörperung des modernen Strickladens, mit Chucks, Baggy-Jeans und kurzen Haaren wirkt sie nicht wie die typische Oma-Wolleverkäuferin. Aber auch wenn Stricken nach und nach sein altmodisches Image ablegt und sich zu einer coolen, individuellen Freizeitbeschäftigung mausert: Was spricht denn eigentlich generell gegen mit viel Liebe gestrickte Wollsocken, Gemütlichkeit und Kaffee und Kuchen?

© SZ vom 28.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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