Kuriose Zensur:Dachau - die unanständige Stadt

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In einem Online-Spiel wollte ein Spieler seine Stadt nach seinem Heimatort Dachau benennen. Prompt bekam er die Verwarnung, er solle gefälligst einen "anständigen Städtenamen" wählen.

Melanie Staudinger

Dachau bezeichnet sich heute als Lern- und Erinnerungsort. Jährlich besuchen an die 800.000 Menschen aus der ganzen Welt die KZ-Gedenkstätte. Die Stadt verleiht den Zivilcourage-Preis, erinnert jährlich an die Opfer der Pogromnacht von 1938 und veranstaltet die Symposien zur Zeitgeschichte. Spätestens seitdem Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU) eine Kooperation mit der israelischen Stadt Rosh Haayin angekündigt hat, ist der offene Umgang Dachaus mit der eigenen Vergangenheit international bekannt. Einem Unternehmen aus Karlsruhe aber sind die Bestrebungen der Stadt entgangen, ebenso, dass Dachau überhaupt eine Stadt ist.

Modell der Stadt Dachau: Robert Wanninger wollte seine Stadt auch in einem Online-Spiel vertreten sehen, allerdings gefiel das dem Game-Operator nicht. (Foto: DAH)

Diese Erfahrung musste der Dachauer Robert Wanninger machen, der seit einigen Monaten beim Internetspiel Ikariam des Betreibers Gameforge angemeldet ist. Hier baut er online Städte auf, besiedelt Inseln und handelt mit den anderen Mitspielern. Als Hauptstadt wählte er Dachau - schließlich ist das seine Heimatstadt. Seine anderen Städte heißen Frankfurt, Rom, London, Bozen und München. Vor einigen Tagen erhielt er dann aber eine E-Mail von einem Game-Operator, einer Art Schiedsrichter. "Ulja" schrieb: "Ich habe einen oder mehrere deiner Städtenamen editiert. Diese sind in dieser Form nicht erlaubt, da diese entweder Wörter unserer 'blacklist' enthalten oder beleidigend gegen andere wirken. Editiere diese und nutze stattdessen anständige Städtenamen."

Auf deutsch heißt das, dass Dachau in der Welt von Ikariam ein verbotener Städtename ist: unanständig und beleidigend für andere. Doch damit nicht genug. "Ulja" wollte auch keine Widerrede zulassen: Dies sei die erste und letzte Verwarnung - beim nächsten Verstoß würde Wanninger vom Spiel ausgeschlossen.

"Da war ich schon verärgert. Ich lasse mich doch nicht in die rechte Ecke drängen, nur weil ich in Dachau wohne ", sagt Wanninger. Sofort schrieb er dem eifrigen Schiedsrichter zurück - doch auf eine Antwort wartete er zunächst vergeblich. Die Vorkommnisse schilderte er auch im Ikariam-Forum. Mehr als 1000 Mitspieler haben den Beitrag bisher gelesen, knapp 20 auch geantwortet. Der überwiegende Tenor: Unverständnis für die Aktion des Game-Operators. "Jeder darf seine Heimatstadt öffentlich benennen, ohne sich dafür entschuldigen zu müssen", schreibt einer. Er beurteilte das Vorgehen des Schiedsrichters als Einschränkung der Meinungsfreiheit, Bevormundung und Ausgrenzung.

Wanninger meldete den Vorfall bei Gameforge-Geschäftsführer Alexander Rösner. Dessen PR-Managerin Kerstin Müller sagte auf Nachfrage der SZ, dass es sich um einen bedauerlichen Zwischenfall gehandelt habe. Bei Ikariam gebe es ein Team aus etwa 8000 ehrenamtlichen Helfern, das die Einhaltung von Regeln und Gesetzen kontrolliere. "Wir haben eine Blacklist mit verfassungsfeindlichen Ausdrücken, die bei Ikariam nicht verwendet werden dürfen", sagt sie. Dort stünden auch die Namen der nationalsozialistischen Konzentrationslager. "Im vorliegenden Fall hat der Nutzer natürlich verfassungskonform gehandelt. Wir werden in Zukunft genauer darauf achten, in welchem Zusammenhang die Worte verwendet werden", sagt Müller.

Wanninger schaltete auch die Stadt Dachau ein. Hauptamtsleiter Günther Domcke protestierte daraufhin ebenfalls: Eine generelle Sperrung des Namens Dachau sei unverständlich, zumal die Stadt 42.000 Einwohner habe und auf eine 1200-jährige Geschichte zurückblicke. Dachau stehe zu ihrer Vergangenheit, "also auch zu den zwölf Jahren der Nazi-Verbrechen", und verstehe sich heute als Lern- und Erinnerungsort, gerade auch für junge Menschen. Dachaus Zeitgeschichtsreferent Günter Heinritz (SPD) fand ebenfalls einen faden Beigeschmack an der Angelegenheit.

Keine vier Stunden später, nachdem Domcke an Gameforge geschrieben hatte, bekam Wanninger elektronische Post von Ulja, der ihn um Entschuldigung bittet. "Das ist ein sehr sensibles Thema und ich habe in deinem Fall überreagiert", schreibt der Game-Operator. Für Wanninger ist der Fall damit nicht ganz erledigt. Er wird zwar weiter bei Ikariam siedeln. Eine Frage stellt sich ihm jedoch weiter: "Warum sollte ich mich schämen, dass ich in Dachau wohne?" Diese Antwort blieben ihm sowohl der Game-Operator als auch sein Geschäftsführer schuldig.

© SZ vom 05.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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