Kunst:Reizvoller Gegensatz

Lesezeit: 2 min

Puristische Linien und üppige Formen: Nina Märkls feingliedrige Tuschezeichnungen und die geflochtenen Skulpturen von Susanne Thiemann gehen in der Kleinen Altstadtgalerie eine spannende Verbindung ein

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Der Reiz liegt in der krassen Gegensätzlichkeit. Hier der akademisch spitze Federstrich, fast schon manieriert in seiner puristischen Klarheit. Dort üppig quellende Formen, die selbstbewusst und gelassen den Raum erobern und den Betrachter mit ihrer Sinnlichkeit einnehmen. In ihrer körperlichen Präsenz sind sie einfach da. Die Zeichnerin Nina Märkl und die Korbflechterin Susanne Thiemann eröffneten in der Kleinen Altstadtgalerie die Gemeinschaftsausstellung "Concurrent lines". Unterschiedlicher könnten die Darstellungsform und auch der Werdegang der beiden Künstlerinnen nicht sein. Die Linie ist das verbindende Element der Zeichnungen und Skulpturen. Das andere ist die Verwandlung. "Linien, die zusammenlaufen, zusammenstoßen, zusammenfallen oder sich kreuzen", erläuterte Laudatorin Jutta Mannes auf der sehr gut besuchten Vernissage.

Gerade weil die Arbeiten so unterschiedlich sind, können sie gleichberechtigt nebeneinander bestehen, gehen sogar eine spannende Liaison ein. Die Dachauerin Nina Märkl schlug nach dem Abitur zielstrebig die Laufbahn als Künstlerin ein und studierte an der Akademie der Bildenden Künste Zeichnung, Bildhauerei und Installation. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit der Transformation der Zeichnung in einen skulpturalen Zustand. Susanne Thiemann, in Kiel geboren, entschied sich Ende der 1970er Jahre auf der alternativen Welle der "Back to the crafts"-Bewegung für ein aussterbendes Handwerk. Sie verfeinerte die Technik der Korbflechterei, experimentierte mit ihrer Geschmeidigkeit und gleichzeitigen Standfestigkeit. Ende der 1990er Jahre begann sie die Weidenruten durch dünne Kunststoffschläuche zu ersetzen und machte das Handwerk zur Kunst. Sie stöberte bei Flechtwarenhändlern und wurde fündig: Altes Kunststoffmaterial aus den 1970er Jahren in den typischen Bonbonfarben, wie es für Sitzmöbel und Kinderwagen verwendet wurde, ist das ideale Material für ihre Skulpturen. Sie haben etwas Organisches und Lebendiges. Ihre Formen werden konturiert durch die vertikalen Linien des feinen Plastikgeflechts. Anmutig wie plissierter Stoff schlängelt sich "White Rabbit" in Richtung Decke. "Twisted" hängt im Raum wie eine bedrohliche schwarze Wolke. Humorvoll ist "Pinkclouds". Die überquellenden, schweinchenrosa Formen erinnern zwangsläufig an eine sehr dicke Frau. Eine aus dem Leim gegangene Figur mit nach vorne hängenden Wülsten in der Farbe altmodischer Unterwäsche. Die langen schwarzen Fransen, am oberen Ende zusammengeschnürt wie ein wilder Haarschopf, und unten offen auf den Boden hängend, verstärken das Gefühl, das der Körper im Begriff ist, sich bald aufzulösen.

Um Auflösung und Veränderung geht es auch in Nina Märkls fragilen Tuschezeichnungen. Sie entstanden während und nach einem Aufenthalt in New York zu Beginn des Jahres. Die feingliedrigen Zeichnungen sind auf Schwarz und Weiß konzentriert, entwickeln sich auf mehreren Ebenen und geben die Zweidimensionalität auf. In den architektonisch aufgebauten Bildern suggeriert die Künstlerin durch Faltungen und Cut outs mit dem Skalpell eine kaum fassbare Räumlichkeit. Wo ist vorne, wo hinten? Es entstehen Räume, die sich durch wechselnde Perspektiven, Öffnungen, Klappen und Ausschnitte überlappen, verändern und sich dem Blick immer wieder entziehen. In der gleißend weißen Fläche des Zeichenpapiers öffnen sich tiefschwarze Löcher, Abgründe, die ins Nichts führen und Unbehagen erzeugen. Auch in der Darstellung gibt es keinen Mittelpunkt, weder Anfang noch Ende. Während in Nina Märkls früheren Zeichnungen noch menschliche Figuren dargestellt waren, reduziert die Künstlerin sie jetzt auf die Andeutung von Körpern und auf einzelne Gliedmaßen wie Hände und Füße. Die Körper sind gesichtslos, halb Mensch und halb Maschine, zerlegt und neu konstruiert. Die Figuren und Apparate verschwinden im Raum. Nichts in diesen fein ausgearbeiteten Zeichnungen kann man greifen oder gar festhalten. "Vexierspiele, in denen alles ineinander übergeht: Der gezeichnete Gegenstand, der sich unablässig in etwas anderes verwandelt, aber auch die Zeichnung selbst, die in Skulptur beziehungsweise ins Objekt übergeht", so Jutta Mannes. Diese Wandelbarkeit war schon immer Nina Märkls Intention. Aber jetzt ist die Zartheit einer subtilen Brutalität gewichen.

Die Ausstellung ist bis Sonntag, 22. November, in der Kleinen Altstadtgalerie zu sehen.

© SZ vom 26.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: