Kunst:Heitere Verstörung

Lesezeit: 3 min

Annekathrin Norrmann spielt in ihrer neuen Ausstellung "Zufrieden ist der Königspapagei" virtuos und ironisch mit den vielfältigen Techniken und Mechanismen der Collage

Von Gregor Schiegl, Dachau

Eine defekte Trockenhaube, ein Maßband, Plastikborsten eines Besens, ein rosa Teller mit aufgemaltem Wellensittich, eine Plastiktüte, ausrangierte CDs, Stuhlbeine ohne Stuhl und eine Resopaltischplatte. MacGyver, der geniale Tüftler aus der gleichnamigen US-Serie aus den Achtzigern, hätte daraus wahrscheinlich ein Notstromaggregat gebastelt - mit Wellensittichteller als Isolator. In der Wirklichkeit hätte das Ding natürlich nie funktioniert. Macht aber nichts. Was zählt, ist die Idee. Das gilt auch für Annekathrin Norrmann, die in der KVD-Galerie eine erstaunliche Vielfalt an Collage-Arbeiten zeigt - auf Basis der oben genannten Bauteile. Das Resultat wirkt manchmal rätselhaft, oft skurril, selten praktisch, dafür durchweg ausdrucksstark bis hin zu den kleinen Drahtarbeiten, die sich wie Fühler aus den Wänden in den Ausstellungsraum tasten. Mehr Collage geht nicht.

Auf den ersten Blick sehen die Wände der Ausstellung mit dem seltsamen Titel "Zufrieden ist der Königspapagei" aus, als hätte jemand eine Rumpelkammer voller seltsamer Objekte ausgeräumt und erst mal alles gleichmäßig in der Fläche verteilt. Ein Sammelsurium aus Verpackungshohlformen mit Bilderrahmen, eine lindgrünes Puzzle in Kartoffelform, Vortragsfolien, die kaum zu entziffern sind, weil sie in einem Schaukasten übereinandergeschichtet sind, auf einem Spiegel der grüne Schriftzug: "Wir sind die Guten!" Ein zweiter Spiegel an einen dicken schwarzen Band, wie stranguliert an der Wand und auf dem Glas in dicken schwarzen Lettern: "Kaputt!" Natürlich ist nichts hier Zufall, alles hat seine verborgene Ordnung - wenn man lange genug hinsieht, sieht man sie auch. Annekathrin Norrmann nennt es die "Rekonstruktion des nicht Wahrnehmbaren". Das menschliche Gehirn ist von der Evolution darauf konditioniert, Muster zu erkennen und Zusammenhänge notfalls zu konstruieren. Hier findet die Collage auch im Kopf statt: Alte Zusammenhänge werden aufgelöst, neue werden geknüpft, das Nichtgreifbare konkret. Kompilieren und Kapieren gehen Hand in Hand.

Die Collage mit Brettern, Schrauben, Wandfarbe und Hemd weckt Assoziationen mit einem Portrait. (Foto: Toni Heigl)

Die Ausstellung animiert zum spielerischen Umgang mit Bruchstücken und Assoziationen, und die Künstlerin befeuert sie mit Zeitungsüberschriften zwischen den Collagen. "Das große, eisige, sabbernde Nichts". "Poesie für Möpse". "Chinese werden". Oder eben die titelgebende Schlagzeile "Zufrieden ist der Königspapagei". All das ist so aus dem Kontext gerissen wie die triviale schwarze Plastikschale für Topfblumen, die zerschnitten auf einer Tischplatte aufgeklebt die Ästhetik einer technologisch überlegenen Alien-Zivilisation entfaltet. Zumindest ist das eine der galaktisch vielen möglichen Wahrnehmungen im Norrmannschen Collagen-Kontinuum.

"Früher dachte ich, ich müsste Bilder machen, die funktionieren wie Wärme und Kälte", sagt sie. Aber das hat nicht funktioniert. Bei Kälte frieren die Leute, bei Hitze schwitzen sie, aber auf Kunst reagiert jeder anders, je nach Prägung und Präferenz. Wirklichkeit ist Konstruktion, das weiß die Künstlerin. Also zerlegt sie diese Konstruktion und setzt aus den Bestandteilen etwas Neues zusammen. Ein ontologisches Lego-Spiel, wenn man so will, das im Idealfall Mechanismen der Wahrnehmung offenlegt. Erleuchtung ist dadurch kaum zu erwarten. Für den, der bereit ist, sich auf die witzige und raffinierte Versuchsanordnung einzulassen, ist diese Ausstellung aber allemal reizvoll und lohnend.

Viele Bauteile findet Künstlerin Annekathrin Norrmann auf Flohmärkten - und manchmal auch im Feuerholz für ihren Kamin. "Die muss ich dann vor den Flammen retten." (Foto: Toni Heigl)

Das bedeutet keineswegs, dass die Arbeiten und Zitatschnipsel willkürlich angebracht wären und die Ausstellung nur ein beliebiges Vexierspiel. Die Wandseite in der KVD-Galerie ist in gewisser Weise ein einziges Gesamtkunstwerk, das die Künstlerin aus ihrem alten Haus in Biberbach fast eins zu eins nach Dachau transferiert hat. Was sich die Schöpferin im Einzelnen gedacht hat, ist wie in der echten Welt mal offenkundige Binse, mal unergründliches Mysterium. "Vieles ist heute verschleiert oder überlagert sich", sagt Norrmann. "Manches liegt offen da." Unter einem Foto, auf dem zwei Großwildjäger neben einem erschossenen Zebra posieren, hängt das Zitat: "Widerlich". Man kann es kaum anders lesen als ein persönliches Statement Norrmanns. Beim "Erbarmungswürdigen Feinripp" wird die Sache diffiziler. Kunst ist eben keine exakte Wissenschaft.

Aber manchmal ist Wissenschaft Kunst und bedient sich auch der Mittel der Collage. Dazu hat die Künstlerin einen Beitrag der Süddeutschen Zeitung von 2013 aufgehängt, Titel "Die Dada-Papers". Darin geht es um künstlich generierte Aufsätze, die Wissenschaftler in Tagungsbänden abdrucken ließen, um die Zahl ihrer Publikationen künstlich in die Höhe zu treiben. Tatsächlich ergaben die mit Fachausdrücken vollgestopften Texte überhaupt keinen Sinn. Wer aus einer Komposition aus Pappe und Glitzerfolie samt herrenlosen Stuhlbeinen nicht recht schlau wird, muss also nicht gleich an seinem Verstand verzweifeln. Bei Dada gehört das so, und ein bisschen Dada leistet sich diese Ausstellung explizit auch, wie die Künstlerin einräumt. Und wenn. "Verhalten Sie sich normal", rät eine Zeitungsschlagzeile den Besuchern.

"Zufrieden ist der Königspapagei": Ausstellung von Annekathrin Norrmann in der KVD-Galerie Dachau. Vernissage Donnerstag, 19. Januar, um 19.30 Uhr. Zur Eröffnung spricht Jutta Mannes. Öffnungszeiten Donnerstag bis Samstag, 16 bis 19 Uhr, Sonntag, 12 bis 18 Uhr. Die Ausstellung geht noch bis 12. Februar.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: