Kommunalpolitik:Eine Herkulesaufgabe

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Schulneubau, Fernwärmeausbau, Verkehrsentwicklung: Bürgermeister Stefan Kolbe erläutert seinen Karlsfeldern, wie schwierig es ist, eine Gemeinde zu führen, die schneller wächst, als sie es sich leisten kann

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Nach dem mehr als einstündigen Vortrag von Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) meldet sich Helmut Fink zu Wort, um sich zu bedanken. Er sei ganz erstaunt vom "Feuerwerk der Aktivitäten", sagt der CSU-Politiker, der selbst 27 Jahre im Gemeinderat gesessen hat. "Das ist ein Kraftakt - großes Kompliment!" Der Rathauschef lächelt und schwitzt, obwohl es im Bürgerhaus Karlsfeld nicht besonders warm ist. Aber der mehr als einstündige Vortrag von Kolbe zeigt, was es heißt, diese Gemeinde zu führen: Kinderbetreuung, Finanzen, Schulneubau, Sanierungen, Verkehrsentwicklungsplan, Wirtschaftsförderung, Fernwärmeausbau, Brunnensanierung, dann noch die von der Kommunalaufsicht aufgezwungene Straßenausbaubeitragssatzung, die die Gemeinderäte im Grunde genauso verabscheuen wie die Bürger. Manchmal erscheint die kleine Kommunalpolitik wie eine Herkulesaufgabe. Da darf man auch mal schwitzen.

"Wir investieren wahnsinnig viel in unsere Familien"

Mit schätzungsweise 200 Bürgern ist der Festsaal nicht gerade rappelvoll. Wäre da nicht die Blaskapelle Karlsfeld unter Reinhard Hagitte, die munter aufspielt, könnte sich sogar ein trügerisches Gefühl von Leere einstellen. Trügerisch auch deshalb, weil die Gemeinde in den vergangenen zwei Jahren geradezu explosionsartig gewachsen ist. "Karlsfeld ist attraktiv und wächst", sagt der Rathauschef. "Wir investieren wahnsinnig viel in unsere Familien." Das heißt vor allem in die Kinderbetreuung. 1485 Plätze gibt es inzwischen in der Gemeinde Karlsfeld, von der Krippe bis zum Hort. Das sind gut doppelt so viele wie 2006. Kolbe tupft sich die Stirn und lächelt. "Das ist schon eine stolze Bilanz."

Einerseits. Andererseits geht es ihm wie im Märchen vom Hasen und dem Igel. Egal wie eifrig die Gemeinde plant und baut und Leute einstellt - die Nachfrage ist immer schon höher als das Angebot. Für 52 Prozent der Karlsfelder Kleinkinder gibt es Krippenangebote, bei den Kindergartenplätzen sind es mehr als 80 Prozent, bei den Hortplätzen knapp über 60 Prozent. Vor allem im Hortbereich wird es schwierig, allen Kindern einen Platz anzubieten. Die Nachfrage ist außerordentlich hoch. "Die Gemeinde arbeitet an Lösungsmöglichkeiten", verspricht Kolbe. Und schwitzt. Doch Zeit zum Verschnaufen gibt es nicht. Trotz mehrfacher Ausschreibung konnten viele Stellen in der Kinderbetreuung nicht besetzt werden. "Der Arbeitsmarkt ist leergefegt", sagt der Rathauschef. Wenigstens bei den Krippen hat sich die Situation etwas entspannt, nachdem das BRK-Kinderhaus "Schatzinsel" an der Röntgenstraße und die Awo-Kinderkrippe "Zaubergarten" an der Gartenstraße den Betrieb aufgenommen haben.

"Das Wachstum zieht einen Rattenschwanz an Infrastrukturmaßnahmen nach sich"

Und die größten Investitionen kommen erst noch. Der Neubau der sechszügigen Grundschule mit Dreifachturnhalle an der Krenmoosstraße wird etwa 30 Millionen Euro kosten. Dazu kommt der Neubau der Kindertagesstätte westlich der Bahn, der noch einmal rund sechs Millionen Euro kosten wird, die späteren Betriebskosten noch gar nicht eingerechnet. "Das Wachstum zieht einen Rattenschwanz an Infrastrukturmaßnahmen nach sich", sagt Kolbe. Wie soll eine Gemeinde das leisten, deren Kosten für neue Betreuungsplätze schneller stiegen als der Anteil, den sie von der Einkommensteuer ihrer Neubürger erhält? Die Betreuungsgebühren wurden bereits um 20 Prozent heraufgesetzt, die Hebesätze um 30 Prozentpunkte erhöht.

"Wir haben die Absicht, jetzt wieder etwas auf die Bremse zu treten", sagt Kolbe. "Diesen enormen Bevölkerungszuwachs vertragen wir jetzt überhaupt nicht." Die mehreren Tausend Neubürger sind den Neubaugebieten am Prinzenpark und Neue Mitte geschuldet. Aber auch ohne Neuausweisungen wächst Karlsfeld weiter. Alte Wohngründstücke gehen in den Besitz von Erbengemeinschaften über, die aus einem Häuschen einen Wohnblock für acht Parteien machen. Wenn das Baurecht für das Grundstück das hergibt, wuchert Karlsfeld eben weiter.

Genervt vom Slalom fahren

Davon sind auch die Bürger zunehmend genervt, und fast aus jedem Ortsteil sind Klagen zu hören über zugeparkte Straßen und Einmündungen, in die man sich mühsam vortasten muss, weil man nichts mehr sieht. Paula Kaps, eine Anwohnerin der Rathausstraße, beklagt sich über widerrechtlich zugeparkte Straßen. "Man muss Slalom fahren", sagt sie. "So geht das nicht weiter. Wann unternimmt die Polizei hier endlich mal was?" Thomas Rauscher, Leiter der Polizeiinspektion Dachau, sagt, dass seine Leute immer mal wieder in der Rathausstraße kontrollierten und bei Verstößen auch Bußgelder verhängten. "Aber offenbar ist es noch nicht genug." Auch in Karlsfeld-West scheint es massive Probleme zu geben. "Bei uns gibt es jeden Tag einen Kampf um Parkplätze", berichtet Doris Sperlich aus der Schützenstraße. Wohnungen würden dort ohne Stellplätze vermietet, die Autos stünden auf der Straße und blockierten teilweise auch Gehwege, auf denen Kinder unterwegs seien.

Trotzdem scheint das Wachstum mancherorts immer noch nicht auszureichen. Westlich der Bahn wohnen inzwischen 4000 Menschen, einen Einkaufsmarkt gibt es dort aber immer noch nicht. "Wir warten schon seit 17 Jahren", sagt Anwohner Johann Kristmann. Bürgermeister Kolbe hat mit einigen Interessenten gesprochen. "Das Interesse der großen Ketten scheint nicht so groß zu sein - was mich sehr wundert." Es liefen aber noch Gespräche mit ein oder zwei Interessenten. Überlegungen der Firma Erlbau, die den Komplex für Betreutes Wohnen am Bahnhof hochzieht, auf Kosten von Gewerbeflächen, weitere Wohnungen auf dem Areal ausweisen zu lassen, erteilt Bürgermeister Kolbe eine kategorische Absage. "Das werden wir mit Sicherheit nicht tun!"

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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