Kirchweih in Dachau:Ohne Grenzen essen und trinken

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Kirchweih war einst ein ausschweifendes Fest, vor allem auf dem Land. Kreisheimatpfleger Norbert Göttler erzählt, was davon heute noch übrig ist.

Melanie Staudinger

"Beim Unterbräu geht es am lustigsten zu; da wird getanzt. Der Baß brummt und die Klankenetten pfeift. Aus dem Dunst tauchen die rotglühenden Gesichter auf und verschwinden wieder; gesprochen wird nichts, man hört bloß Keuchen und Schnaufen, und ab und zu im Übermaß des Entzückens ein gellendes Schreien und Pfeifen." So beschreibt Ludwig Thoma in seiner Kurzgeschichte "Kirta" ein Kirchweihfest, das er selbst in Dachau erlebte. Kirchweih war früher im bäuerlichen Leben einer der wichtigsten Feiertage - heute ist davon kaum etwas übrig geblieben. Melanie Staudinger sprach mit Kreisheimatpfleger Norbert Göttler über Kirchweih.

Zu Kirchweih gab es früher die Kirta-Hutschen - eine große Schaukel für bis zu 20 Personen. (Foto: dpa)

SZ: Herr Göttler, haben Sie ein gutes Rezept für Gänsebraten?

Göttler: Nein. Ich stamme zwar von einem Bauernhof, aber bei uns wurde an Kirchweih keine Gans gegessen. Bei uns wird es irgendwas anderes zu Essen geben.

SZ: Was wird an Kirchweih gefeiert?

Göttler: Ursprünglich sind Kirchen gebaut und bestimmten Patronen geweiht worden. Damals hatte jede Kirche ein eigenes Kirchweihfest, nämlich den Patroziniumstag. Das kann man ab dem dritten, vierten Jahrhundert nachweisen. Das waren freudige Feste - sehr ausschweifend und zügellos. Das Kirchweihfest war über viele Jahrhunderte hinweg das Hauptfest im bäuerlichen Alltag. Irgendwann ist die Kirche eingeschritten. Es sollte nicht in jedem Landgericht hundert verschiedene Termine geben und so hat man sich auf einen Termin geeinigt, den dritten Sonntag im Oktober. Die Zweigleisigkeit hat bis heute Nachwirkungen: In manchen Dörfern gibt es noch immer zwei Kirchweihfeste.

SZ: Auch im Landkreis Dachau?

Göttler: In Inhausen in Haimhausen gibt es einen kleinen Kirta. Das ist aber selten.

SZ: Wie passt die Kirche mit ausschweifenden Festen zusammen?

Göttler: Das Kirchweihfest ist weitgehend auf katholische Gebiete beschränkt. Das hängt ein bisschen mit der Theologie zusammen. Im protestantischen Glauben herrscht mehr das calvinistische Denken vor, dass man in der Gesellschaft etwas leisten muss, dass man arbeiten muss, dass man möglichst wenig an den sinnlichen Genüssen teilhaben sollte. Das ist im Katholizismus nicht so.

SZ: Wie wichtig war das Kirchweihfest?

Göttler: Gerade in bäuerlichen Regionen war das Kirchweihfest lange das wichtigste Fest im Jahr, wichtiger als Weihnachten oder Ostern. An diesem Tag konnte man ohne Begrenzung essen und trinken. An manchen Bauernhöfen wurde auch das Grammophon nur an diesem einen Tag herausgeholt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

SZ: Wie kommt es dazu, dass viele Menschen an Kirchweih Gänsebraten essen?

Göttler: Die Fleischversorgung war früher auf Bauernhöfen eine sehr karge Angelegenheit. Man hat sehr wenig Fleisch gegessen. Die Gänse, die das ganze Jahr über gefüttert wurden, waren im Herbst so richtig fett. Das Essen war ein Highlight. Es wurden aber nicht nur Gänse, sondern auch Schweine geschlachtet.

SZ: Welche Bräuche gibt es?

Göttler: Es gab früher Belustigungen, die die Menschen auf Bauernhöfen sonst nicht hatten, zum Beispiel die Kirta-Hutschen. Da wurde ein großes Gebälk aufgehängt, auf dem 20 Leute sitzen und schaukeln konnten. Die Kirchweihnudeln waren wahrscheinlich früher mehr verbreitet als die Gänse. Die mussten besonders schön sein. Große Rituale gab es aber an Kirchweih noch nie. Man ist in der Früh zum Gottesdienst gegangen und hat danach relativ schnell mit dem Feiern begonnen. Im Grunde genommen war es ein Ess- und Trinkfest.

SZ: Manche Rathäuser haben am Montag nach Kirchweih geschlossen. Warum?

Göttler: Die alte Gesellschaft kannte keinen Urlaub. Es gab über das Jahr verteilt freie Tage zur Erholung. Nach Festen, die sehr ausschweifend waren, war man wahrscheinlich gar nicht in der Lage, sehr viel zu arbeiten. Da hat man einen freien Tag angehängt, um sich zu erholen. Mit der Industrialisierung ist das eigentlich verschwunden. Aber der Kirchweihmontag ist wohl so ein Relikt aus dieser Zeit.

SZ: Sind die Menschen damals nie in Urlaub gefahren?

Göttler: Es gab die Möglichkeit, auf Wallfahrt zu gehen, wenn man mal andere Leute oder eine andere Landschaft sehen wollte. Das war gerade zu Feiertagen wie Kirchweih sehr beliebt. Im Barock gab es im Landgericht Dachau etwa 30Wallfahrtsorte. Man konnte in ein paar Stunden hingehen und wieder zurück. Manche sind auch nach Freising oder Altötting gewandert. Es gibt den Bericht eines Mannes, der eine Reise nach Jerusalem gemacht hat. Das war aber selten, er dürfte ein paar Wochen gebraucht haben.

© SZ vom 16.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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