Karlsfelder Nachkriegsgeschichte:Endlich hört jemand zu

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Als Kuratorin Ilsa Oberbauer und Hans Pajung die Nachkriegsgeschichte Karlsfelds erforschen, erleben sie, wie sehr es die Menschen danach drängt, ihre Geschichten erzählen zu können.

Von Julian Erbersdobler

So sah der Karlsfelder See nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Gebadet wurde dort trotzdem. Jetzt ist er eine grüne Erholungsfläche für ganze Region. (Foto: joergensen.com)

Ilsa Oberbauer ist besonders von der Kooperationsbereitschaft der Zeitzeugen begeistert. "Erst waren es nur drei oder vier, die uns über ihre Erfahrungen berichten wollten", sagt sie. "Die haben es dann weitererzählt, und schon haben sich weitere Zeitzeugen bei uns gemeldet." Sie erzählt, wie sie vor 20 Jahren für ein ähnliches historisches Projekt vergeblich nach Zeitzeugen suchte. Ihrer Einschätzung nach war damals die Bereitschaft, über die eigene Vergangenheit zu sprechen, "nicht vorhanden".

Ilsa Oberbauer hat die aktuelle Ausstellung über die Nachkriegsgeschichte ihrer Heimatgemeinde Karlsfeld kuratiert. Sie ist Teil des landkreisweiten Geschichtsprojekts, in dem Historiker und Laien gemeinsam der Frage nachgehen, wie Menschen nach 1945 die Befreiung vom Nationalsozialismus und den beginnenden Aufbau der Bundesrepublik Deutschland erlebten. Diese Geschichtswerkstatt wird von den Gemeinden, dem Landkreis und der Europäischen Union über den Regionalentwicklungsverein Dachau Agil finanziert.

Knapp 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begaben sich die Forscher auf Spurensuche und erfuhren, wie die Erinnerungen gerade die älteren Menschen regelrecht bedrängen und wie das Gefühl wächst, sie erzählen zu müssen. Ein 83-jähriger Zeitzeuge erzählte Kuratorin Oberbauer, dass ihn die Erinnerung "überfallen" habe. Auch Horst Pajung, der sich seit Jahren mit der Karlsfelder Geschichte beschäftigt, weiß um die Bedeutung der Zeitzeugen. Mehr als die Hälfte der Informationen haben die Aussteller ihrer Gesprächsbereitschaft zu verdanken: "Jetzt oder nie - die Zeitgeschichte lebt von den Augenzeugen, deshalb ist nun genau der richtige Zeitpunkt für diese Ausstellungsreihe."

An großen Tafeln, Originaldokumenten, Bildern, Modellbauten und Grafiken soll an das Kriegsende und die Zeit danach in Karlsfeld erinnert werden. Eine Luftaufnahme aus dem Jahr 1946 zeigt beispielsweise Bombeneinschläge rund um das örtliche BMW-Flugmotorenwerk. Diesem Standort kommt ohnehin eine unglaublich große Bedeutung zu: Als die Amerikaner das Werk beschlagnahmten und in "Karlsfeld Ordnance Depot" umbenannten, fanden dort bereits in den ersten Nachkriegsjahren mehr als 7000 Menschen Arbeit. Damit entwickelte es sich zum größten Arbeitgeber der Region.

Auf einer Grafik lässt sich die Bevölkerungsentwicklung zurückverfolgen. Während 1939 noch rund 1000 Menschen in Karlsfeld wohnten, waren es 20 Jähre später fast 6700. "Das lag vor allem an der Tatsache, dass hier sehr viele leer stehende Lager als Wohnraum genutzt werden konnten", erklärt Horst Pajung. Aus solchen Lagern entstanden nach dem Krieg ganze Siedlungsgebiete mit eigener Infrastruktur. Karlsfeld sei damals ein "Sammelsurium einzelner Siedlungssplitter" gewesen . "Das merkt man auch heute noch. Eine Karlsfelder Ortsmitte sucht man vergebens", so Pajung weiter.

Auf einem Tisch liegen ein Hobel aus Holz und ein schwarzes Köfferchen, die eine Geschichte verbindet. Sie waren stille Begleiter auf der Flucht zweier Familien. Der Hobel wanderte 1950 im Fluchtgepäck einer Familie von Jugoslawien nach Karlsfeld, anschließend nach Arizona und als Flugpost wieder zurück nach Karlsfeld - als Geschenk an das Heimatmuseum. Der kleine schwarze Koffer begleitete eine ostpreußische Familie mit allen wichtigen Dokumenten auf der Flucht. Über Mecklenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen führte ihn die Reise nach Karlsfeld. Auf solche Raritäten sind die Aussteller besonders stolz.

Auf die Rolle der amerikanischen Besatzung gehen die Aussteller ebenfalls ein. "Die Anwesenheit und der Einfluss der Amerikaner haben sich positiv auf die Entwicklung Karlsfelds ausgewirkt", sagt Horst Pajung. Ein Beispiel: Um die Kinder von den Straßen zu holen und vor einer neuen totalitären Ideologie zu bewahren, entstanden Jugendclubs. Die Amerikaner organisierten Zeltlager und Sprachkurse. "Einen Bücherbus hat es auch gegeben, da konnten die Kinder auch die amerikanische Literatur kennenlernen", so Pajung weiter.

Die Ausstellungen über das Kriegsende und die Nachkriegszeit in den Gemeinden Schwabhausen, Haimhausen, Petershausen, Weichs, Sulzemoos, Großberghofen, Kollbach, Ampermoching, Vierkirchen und Egenburg waren bereits ein voller Erfolg. Nach Karlsfeld wird die Ausstellung noch in Odelzhausen, Feldgeding, Altomünster und Indersdorf gezeigt. Die Abschlussveranstaltung findet in Dachau statt.

Im Karlsfelder Heimatmuseum ist die Ausstellung nach der feierlichen Eröffnung am Sonntag um 14 Uhr, am Donnerstag, 6. März, 17 bis 19 Uhr, am Sonntag, 9. März, 14 bis 17 Uhr, am Donnerstag, 13. März, 17 bis 19 Uhr, am Samstag, 15. März, 14 bis 17 Uhr, und am Sonntag, 16. März, 14 bis 17 Uhr geöffnet. Zusätzliche Öffnungszeiten und Führungen für Gruppen sind nach Absprache mit Ilsa Oberbauer, Telefon 0 81 31/ 9 13 80, möglich. Am Samstag, 8. März, 15 Uhr wird zudem ein Erzählcafé mit Karlsfelder Zeitzeugen im Bürgertreff auf dem Rathausplatz veranstaltet.

© SZ vom 01.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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